Flüchtlinge:Das Schweigen durchbrechen

Flüchtlinge: Frauen auf der Flucht: Niemand kann genau sagen, wie viele von ihnen Opfer von Gewalttaten werden.

Frauen auf der Flucht: Niemand kann genau sagen, wie viele von ihnen Opfer von Gewalttaten werden.

(Foto: Bulent Kilic/AFP)

Drei Trägerinnen des Friedensnobelpreises warnen in Berlin vor Gewalt gegen weibliche Flüchtlinge. Selbst manche Helfer, sagen sie, verschweigen das Leid - aus Angst, damit Vorurteile zu bekräftigen.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Frauen auf der Flucht sind besonders verwundbar: Sind sie allein oder nur mit Kindern unterwegs, steigt die Gefahr, Opfer von Gewalt zu werden. Diese Erkenntnis ist so alt wie der Krieg, aber erst vor 15 Jahren verabschiedeten die Vereinten Nationen eine Resolution, die Frauen vor sexualisierter Gewalt in bewaffneten Konflikten schützen und an Friedensprozessen beteiligen soll. Umgesetzt ist die Resolution bis heute nicht, und auch Europa muss sich inzwischen fragen, wie Frauen auf der Flucht geschützt werden können.

Drei Friedensnobelpreisträgerinnen sind aufgebrochen, das herauszufinden, sie sind dem Flüchtlingsstrom über den Balkan gefolgt. Am Donnerstag waren sie im Bundeskanzleramt zu Gast. Shirin Ebadi, die als erste Frau Richterin in Iran wurde, bevor man sie einsperrte, kämpft seit Jahren gegen Menschenrechtsverletzungen. Mit der US-Amerikanerin Jody Williams, einer Kämpferin gegen Landminen, hat sie eine Nicht-Regierungsorganisation gegründet, die sich für Frauen in bewaffneten Konflikten einsetzt: "Nobel Women's Initiative" heißt das Unterfangen, das Ebadi, Williams und die jemenitische Journalistin und Nobelpreisträgerin Tawakkol Karman nun in Flüchtlingscamps in Kroatien und Slowenien geführt hat. Gesehen haben die Frauenrechtlerinnen dort vor allem: Männer. Und gehört haben sie: Geschichten vom Schweigen.

"Frauen, die auf der Flucht oder im Krieg geschlechtsspezifische Gewalt erleben, reden nicht darüber. Sie schämen sich, weil Vergewaltigung in ihrer Kultur als Schande betrachtet wird", sagt Shirin Ebadi bei ihrem Besuch in Berlin. Die Juristin kann nicht beantworten, ob mit den Flüchtlingszahlen in Europa auch Übergriffe auf Frauen auf der Flucht zunehmen. Es gibt keinerlei Statistiken. "Solche Frauen gehen nicht zur Polizei, auch weil sie befürchten, dass das ihre Flucht verlangsamt", sagt Ebadi. Das bedeute aber nicht, dass es keine Übergriffe gebe. Frauen sähen sich unterwegs Aggressionen von Sicherheitskräften ausgesetzt, sagt die US-Amerikanerin Jody Williams. In Slowenien habe sie erlebt, wie sie von Polizisten angebrüllt und "wie Vieh" zusammengetrieben worden seien.

Anderswo berichten Flüchtlingshelfer von Kinderehen, die in Camps geschlossen würden - mit der Begründung, sehr jungen Mädchen Schutz durch einen Mann geben zu wollen. Rola Hallam von der Hilfsorganisation Hand in Hand for Syria hat in Berlin junge Eritreerinnen getroffen. "Sie wurden alle mehrfach auf der Flucht vergewaltigt", sagt sie. Eine Betreuerin aus Franken erfuhr von einer Geflüchteten, sie wolle in Deutschland ihrer Zwangsehe entkommen, aber sei Tag und Nacht mit ihrem Mann in einem Raum. Das Leid der Frauen auf der Flucht bleibt fast immer unbelegt.

Im Asylverfahren gelingt es Frauen kaum, von ihren Erlebnissen zu berichten

Das UN-Flüchtlingshilfswerk warnt vor übertriebener Panikmache, einerseits. "Bei uns nimmt die Zahl der Berichte nicht zu", sagt Anna Büllesbach, Leiterin der UNHCR-Zweigstelle Nürnberg. Dennoch gebe es Berichte, auch über Frauen und Kinder, die Schlepper mit Sex bezahlen.

Im Asylverfahren gelingt es den betroffenen Frauen nur selten, solche schambesetzten Erlebnisse detailliert zu schildern, sagt Jenny Baron. Sie arbeitet für die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF) und weiß, wie schwierig es unter den derzeitigen Bedingungen ist, Traumatisierte professionell zu begleiten - oder allein reisende Frauen in den Flüchtlingsunterkünften von Männern zu trennen. Zu viel verlangt in Zeiten wie diesen? "Wir können uns da nicht aus der Verantwortung entlassen", sagt die Psychologin. "Sonst haben die Flüchtlinge keine Chance, sich von ihren Erlebnissen zu erholen."

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