Flüchtlinge aus Nordafrika:Zeit der Zäune

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In ihrer Sympathie für die Aufstände der Araber sind sich die Europäer einig. Doch nun strömen immer mehr Nordafrika-Flüchtlinge nach Italien. Während die EU noch überlegt, wohin die Menschen sollen, hat die CSU schon eine Antwort: nicht nach Deutschland. "Italien muss sein Problem selbst regeln", sagt Innenminister Friedrich.

Stefan Braun und Martin Winter

Schauen die Innenminister der Europäischen Union nach Nordafrika, dann sind es vor allem zwei Ungewissheiten, die sie beunruhigen: Wie viele Kriegsflüchtlinge und Wirtschaftsmigranten werden in den nächsten Wochen den Weg über das Mittelmeer suchen? Und wie kann die langfristige, von aktuellen Umwälzungen unabhängige Zuwanderung so kanalisiert werden, dass sie kontrollierbar bleibt? Für beides will die EU-Kommissarin für Inneres, Cecilia Malmström, den europäischen Innenministern Vorschläge machen, wenn die sich an diesem Montag in Luxemburg treffen.

Wer die Bootsfahrt übers Mittelmeer überstanden hat, der lässt sich womöglich nicht allzu lange im Auffanglager einsperren. Hier überwinden Flüchtlinge den Zaun im Lager nahe der Stadt Manduria in Apulien. (Foto: AFP)

Kurzfristig plädiert sie in einem Brief an den ungarischen Innenminister Sandor Pinter, der seinen Kollegen derzeit vorsitzt, dafür, den Einsatz der EU-Grenzschutzagentur Frontex vor allem in Italien auszudehnen. Sie soll dabei helfen, "kriminellen Organisationen" das Handwerk zu legen, die Menschenschmuggel betreiben. Zugleich soll mit den Ländern der Region über eine bessere Zusammenarbeit bei der Grenzkontrolle verhandelt werden. Die EU stellt einen zweistelligen Millionenbetrag bereit, damit die von der Zuwanderung besonders betroffenen Länder wie Italien oder Malta darüber nicht auch noch finanziell in Probleme geraten.

Diese Vorschläge Malmströms dürften kaum strittig sein. Uneinig sind sich die Mitgliedsländer, wenn es um die Lastenverteilung geht. Malta dringt darauf, die "Richtlinie zum zeitweiligen Schutz" von 2001 zu aktivieren, in der sich die EU-Staaten im Falle eines "Massenzustroms" von Flüchtlingen "freiwillig" verpflichten, den betroffenen Ländern einige abzunehmen. Malta findet, dieser Fall sei eingetreten. Diplomaten anderer Länder sagen, dass die 800 Flüchtlinge, die in den vergangenen Tagen aus Libyen nach Malta kamen, "kaum ein Massenzustrom" seien. Auch Malmström scheint die Zeit noch nicht für gekommen zu halten. Aber wie es heißt, sei sie bereit, die Richtlinie zu aktivieren, "wenn die Bedingungen dafür erfüllt sind".

"Italien muss sein Flüchtlingsproblem selbst regeln"

Unabhängig davon hat sich Deutschland schon bereiterklärt, hundert dieser Flüchtlinge aufzunehmen. Ein hoher deutscher Diplomat in Brüssel begründet es damit, dass 800 Flüchtlinge für einen kleinen Inselstaat "schon sehr viel sind". In Berliner Regierungskreisen ist indes auch zu hören, dass Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) die Hilfe für Malta gerne mitträgt und hervorhebt, um Deutschlands innereuropäische Solidarität zu unterstreichen. So hält er ein erstes Pfund in Händen, auf das er verweisen kann, wenn Italien seinerseits mehr Hilfe einfordert.

Denn darauf will Friedrich nicht eingehen. "Italien muss sein Problem selbst regeln", sagte er der Welt. Zuvor war schon deutlich geworden, dass die CSU von Solidarität mit Italien oder den Flüchtlingen aus Tunesien nichts hält. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann erklärte, Italien sei groß genug, um mit dem Problem alleine fertig zu werden. Insbesondere müsse Italiens Marine doch in der Lage sein, eine solche Zahl von Flüchtlingen ins Herkunftsland zurückzubringen.

Im Übrigen fühlte sich Herrmann, unterstützt vom CSU-Innenpolitiker Hans-Peter Uhl, stark genug, die Wiedereinführung von Grenzkontrollen anzudrohen, sollte die Regierung Berlusconi tunesische Bootsflüchtlinge quasi wie Touristen behandeln. Weder Herrmann noch Uhl ficht es an, dass von den gut 20.000 Flüchtlingen bislang selbst nach Kenntnis des Bundesinnenministeriums nur 200 nach Deutschland kamen.

In der Bundes-CDU schaute man am Wochenende staunend auf die beiden aus Bayern. Hinter vorgehaltener Hand wird schon über die Frage diskutiert, wie zwei CSU-Politiker solche Forderungen aufstellen können, und der Bundesinnenminister aus derselben Partei nicht klarstellt, dass im Fall der Fälle allein er über derlei entscheidet. Mancher Christdemokrat schimpft über den "blanken Populismus" aus Bayern - und fürchtet, dass sich dieser in der CSU nach Monaten relativer Ruhe wieder ausbreiten könnte.

20.000 Wirtschaftsmigranten aus Tunesien

So weit will der FDP-Innenpolitiker Hartfried Wolff nicht gehen. Von der Wiedereinführung von Grenzkontrollen im Schengen-Raum hält er gleichwohl nichts; derlei "Gedankenspiele lehne ich ab", sagte er der SZ. Er plädiert dafür, eine "europäische Lösung für das neue Flüchtlingsproblem zu suchen".

Gleiches fordern auch die Grünen und die SPD. Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck sagte, man müsse auch jetzt Wege suchen, um die Lasten "in der europäischen Solidargemeinschaft zu teilen." Becks SPD-Kollege Thomas Oppermann sprach gar von der "Rückkehr national-egoistischer Politik". Italiens umstrittene Visa-Pläne wie der Ruf nach Wiedereinführung von Grenzkontrollen seien "ein Offenbarungseid für eine gemeinsame europäische Innenpolitik".

Europa hat es gegenwärtig mit zwei Sorten von Hilfesuchenden zu tun: mit Kriegsflüchtlingen aus Libyen, die Anspruch auf internationalen Schutz haben und ihn in der EU auch bekommen. Ihre Zahl ist eher gering, weil die meisten Kriegsflüchtlinge den Weg nach Ägypten und Tunesien suchen.

Daneben gibt es mittlerweile 20.000 Wirtschaftsmigranten aus Tunesien, die nach Ansicht der EU in ihre Heimat zurück müssen, weil sie weder unter Krieg noch Verfolgung zu leiden haben. Gerade diese Gruppe ist es, die der EU das meiste Kopfzerbrechen bereitet. Langfristig wird sie eher größer als kleiner. Um das in den Griff zu kriegen, will Kommissarin Malmström im Juni Vorschläge für eine "langfristige Partnerschaft für Zuwanderung, Mobilität und Sicherheit" vorlegen. Zum Thema freilich dürfte es schon an diesem Montag beim Treffen in Luxemburg werden.

© SZ vom 11.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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