Flüchtlinge aus dem Südsudan:Was Europa von Ugandas Flüchtlingspolitik lernen kann

Flüchtlinge aus dem Südsudan: Flüchtlinge aus dem Südsudan stellen sich in einem ugandischen Dorf in eine Schlange, um Wasser zu erhalten.

Flüchtlinge aus dem Südsudan stellen sich in einem ugandischen Dorf in eine Schlange, um Wasser zu erhalten.

(Foto: Charles Lomodong/AFP)

Uganda gehört zu den zehn Ländern, die mehr als die Hälfte aller Flüchtlinge weltweit aufnehmen. Besuch in einem Land, das Neuankömmlinge willkommen heißt und wirtschaftlich von ihnen profitiert.

Von Tobias Zick, Adjumani

Nach einer provisorischen Existenz sieht das nicht aus: eine kleine Schreinerwerkstatt, gut ausgestattet mit Hobelbank, Sägen und Hämmern; ein paar Meter weiter die ebenso solide gezimmerte Hütte für die Familie. Im Garten wachsen Tomaten und Okraschoten, und in einem kleinen Holzverschlag wuseln Meerschweinchen, die züchtet und verkauft er in der Nachbarschaft; ein kleines Zubrot zu dem, was er mit den Türen und Bettgestellen aus seiner Werkstatt verdient. Samuel Manyuon, 45, ist Flüchtling; vor zwei Jahren ist er vor dem Bürgerkrieg im Südsudan geflohen, jetzt hat er hier, in Uganda, ein Zuhause gefunden, das mit den überfüllten Zeltstädten, die man in Kenia oder im Ostkongo sieht, wenig gemein hat.

Nur ein paar weiße Zeltplanen hier und da, mit Logos der Vereinten Nationen, zeugen davon, dass dies kein ganz normales ugandisches Dorf ist. Dies ist ein Flüchtlingslager, in dem jede neu ankommende Familie einen Viertel Hektar Land zugewiesen bekommt, außerdem Holz und Wellblech, um sich eine Unterkunft zu zimmern, und Saatgut, um Gemüse anzubauen. Wer will, darf von Anfang an arbeiten. "Wir können uns nicht beschweren", sagt Samuel Manyuon, "die ugandische Regierung ist sehr freundlich zu uns."

Es gibt viele solcher Lager im Norden Ugandas, und meist grenzen sie direkt an einheimische Dörfer. Etwa Pagirinya. Die ursprüngliche Siedlung besteht nur aus ein paar Dutzend Hütten, ringsherum haben sich inzwischen 46 000 Flüchtlinge angesiedelt. Der Bürgermeister Dunato Amoko, ein schmaler Mann im löchrigen T-Shirt, erzählt, wie er vor gut zwei Jahren von den vielen Menschen erfuhr, die aus dem Südsudan ins Land strömten, auf der Suche nach Schutz - und seine Gemeinde beschloss, einen Teil ihres Landes für die Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen: "Ich war selbst einmal, in den Siebziger- und Achtzigerjahren, Flüchtling im Südsudan. Das habe ich nicht vergessen."

Am Anfang, als die ersten Südsudanesen nach Pagirinya kamen, gab es Probleme, sagt Amoko: "Vor allem mit den jungen Männern. Manche von denen haben sich abends zusammengerottet, sie haben Alkohol getrunken und unsere Leute angepöbelt. Einschließlich mich selbst." Doch man habe die Spannungen in den Griff bekommen, indem sich die Ältesten beider Seiten zusammensetzten. "Unsere Brüder sind hier willkommen", sagt der Bürgermeister, "wir mussten ihnen nur klarmachen, welche Regeln bei uns gelten."

Die ugandische Willkommenspolitik nutzt wirtschaftlich dem Land selbst

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International wies kürzlich darauf hin, dass - während Europa sich über Kontingente und Grenzschließungen streitet - andere, ärmere Staaten deutlich mehr leisten: Zehn Länder auf der Welt von 193 Staaten, nehmen demnach 56 Prozent aller Flüchtlinge auf. Der Generalsekretär von Amnesty International, Salil Shetty, sagte, diese Länder hätten "viel zu viel zu tun", während die reichen Länder ihrer Verantwortung nicht gerecht würden. Dabei sei es zweifellos "eine lösbare Aufgabe, für mehr Flüchtlinge ein Zuhause zu finden."

Eines der zehn Länder ist Uganda. Das ostafrikanische Land hat mittlerweile mehr als eine Million Flüchtlinge aufgenommen; aus den zahlreichen Krisenregionen der Nachbarschaft: dem Kongo, Burundi, Somalia - und dem Südsudan: Allein aus dem nördlichen Nachbarland, der jüngsten Nation der Welt, die schon zweieinhalb Jahre nach ihrer Unabhängigkeit im Dezember 2013 in einen heillosen Bürgerkrieg versunken ist, sind in jüngster Zeit an manchen Tagen bis zu 8000 Menschen über die Grenze gekommen. Und die Regierungslinie in der Flüchtlingspolitik könnte man ungefähr in folgendem Satz zusammenfassen: Wir schaffen das.

Spricht man mit Ugandern in der Region, hört man durchaus von Vorteilen, die ihnen diese Willkommenspolitik selbst gebracht habe: Es sind neue Krankenhäuser gebaut worden, die auch die Einheimischen nutzen; es sind Märkte entstanden, wo früher zu wenige Menschen lebten, um mit Tomaten und Zwiebeln vom eigenen Acker Handel zu treiben.

Eine Studie der Universität Oxford kommt zu dem Ergebnis, dass die ugandische Willkommenspolitik dem Land selbst wirtschaftlich nutze: Mehr als jeder fünfte Flüchtling in der Hauptstadt Kampala etwa betreibt demnach inzwischen ein Geschäft mit mindestens einem Angestellten, und 40 Prozent dieser Angestellten sind Ugander. Die Politik des Landes, Flüchtlingen relativ große Freiheiten zu gewähren, sei zwar längst nicht in allen Details perfekt, sagt Alexander Betts, der Leiter der Studie, "aber sie bietet ein Modell, von dem andere Länder lernen könnten."

"Europäer können sich nicht vorstellen, dass sie selbst Flüchtlinge werden könnten"

Leute wie George Baliraine, Teamleiter des ugandischen Rotkreuzes in der Region Adjumani, haben die Aufgabe, diese Regierungspolitik in die Tat umzusetzen. "Natürlich gibt es Schwierigkeiten", sagt er. "Allein schon kulturell. Viele der Männer aus dem Südsudan sind es gewohnt, Konflikte eher mit Gewalt zu lösen als mit Worten." Zudem seien in vielen Gegenden durch die höhere Nachfrage die Preise gestiegen: Ein Liter Milch etwa kostet in der Stadt Adjumani heute 2500 Ugandische Schilling, etwa 65 Eurocent, vor einem Jahr waren es noch 1500.

Und manchmal muss er, dieser geduldige Helfer, kurz durchschnaufen, wenn ein paar Südsudanesen sich beschweren, dass es vom Welternährungsprogramm nur rote Hirse gibt statt der weißen, die sie von zu Hause gewohnt sind. Oder dass sie hier keine Kühe halten können wie in der Heimat, sondern mühsam die Erde umgraben müssen, um etwas zu pflanzen. "Aber wir stellen uns all diesen Herausforderungen", sagt George Baliraine, "so lange, wie unsere Regierung sagt, dies ist die politische Linie."

An ihrer politischen Linie lässt die Regierung keinen Zweifel. "Diese Menschen sind unsere Brüder und Schwestern", sagt Bantariza Shaban, Sprecher der ugandischen Regierung, "sie sind zu uns gekommen, um sich in Sicherheit zu bringen, viele von ihnen haben zu Hause all ihren Besitz verloren." Das Land habe allein schon eine moralische Verpflichtung, die Flüchtlinge aufzunehmen und gut zu behandeln: Schließlich sind in den 1970er- und 1980er-Jahren aus Uganda selbst viele Menschen vor Diktatur und Bürgerkrieg in die Nachbarländer geflohen; "inzwischen haben wir unser Land stabilisiert und helfen nun den anderen. Wir tun, was wir können, damit sie sich hier zu Hause fühlen."

Natürlich verfolgt Bantariza Shaban von Uganda aus, welche Konflikte um die Flüchtlingspolitik zur Zeit die EU bis an den Rand des Zerreißens strapazieren. "Angela Merkel hat doch recht", sagt er, "man kann die Menschen, die vor dem Krieg in Syrien fliehen, nicht ernsthaft zurückschicken wollen." Für Forderungen wie jene, die Grenzen komplett zu schließen, hat er eine Erklärung: "Den Europäern geht es so gut", sagt er, "die meisten Leute dort können sich offenbar nicht vorstellen, dass sie selbst eines Tages mal zu Flüchtlingen werden könnten."

Die Willkommenskultur hat auch Grenzen

Allerdings plädiert er dafür, eine klare Linie zu ziehen zwischen Kriegsflüchtlingen und sogenannten Wirtschaftsmigranten - "die sollen lieber zu Hause hart arbeiten und helfen, ihre eigenen Länder aufzubauen". Und auch die "echten" Flüchtlinge hier in Uganda beherberge man solange, bis in ihren Heimatländern wieder Friede herrsche: "Dann sollen sie selbstverständlich zurückgehen."

Das allerdings bezweifeln manche Kritiker der ugandischen Regierung. Der Oppositionspolitiker John Ken-Lukyawuzi etwa sagt: "Der Zustrom von Flüchtlingen könnte unser Land destabilisieren." Uganda habe schon jetzt ein extrem hohes Bevölkerungswachstum, die landwirtschaftlich nutzbaren Flächen würden immer knapper, die Arbeitslosigkeit unter jungen Männern sei ohnehin schon gefährlich hoch. Viele der Flüchtlinge würden auf lange Sicht im Land bleiben - "und wenn sie dann wählen dürfen, dann wählen sie natürlich Präsident Yoweri Museveni, den Mann, der sie hier so freundlich aufgenommen hat. Der Präsident weiß, dass er damit rechnen kann."

Flüchtlinge als künftiges Stimmvieh, um die eigene Macht zu zementieren? Regierungssprecher Shaban bestreitet solche Vorwürfe: Seine Regierung ziehe weder wirtschaftliche noch politische Vorteile aus ihrer Willkommenspolitik gegenüber Flüchtlingen; es gehe nur um moralische Beweggründe: "Wir sind doch alle Angehörige ein und derselben Menschheit."

Freilich hat auch die ugandische Willkommenspolitik ihre Grenzen, und die werden in Pagirinya inzwischen spürbar. Bürgermeister Dunato Amoko hat kürzlich beim örtlichen Regierungsvertreter vorgesprochen, um zu erklären: Inzwischen wird es eng; noch mehr Menschen könne man rund ums Dorf beim besten Willen nicht mehr aufnehmen. Im selben Gespräch hat er allerdings auch gleich eine Lösung vorgeschlagen: "Unsere Gemeinde hat ein paar Kilometer von hier ein weiteres Stück Land - da wäre noch Platz."

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