Flüchtlinge auf dem ehemaligen Flughafen:Streit um Tempelhof: "Das sind Konzentrationslager, die Sie errichten"

Pläne für Flüchtlingsunterkunft auf dem Tempelhofer Feld

Politiker stellen in der alten Flughafenhalle am Tempelhofer Feld Pläne für eine Flüchtlingsunterkunft vor - und ernten Kritik.

(Foto: dpa)
  • Der Berliner Senat will eine Massenunterkunft für bis zu 7000 Flüchtlinge auf dem Tempelhofer Feld bauen.
  • Dafür muss das nach einem Volksentscheid erlassene Gesetz, das eine Bebauung verbietet, geändert werden.
  • Auf einer Bürgerversammlung entladen sich Wut und Misstrauen - im Wahljahr 2016 ein Problem für den Regierenden Bürgermeister Müller.

Von Hannah Beitzer, Berlin

Die grünen Schilder sind überall in der Haupthalle des ehemaligen Tempelhofer Flughafens zu sehen: "Menschenwürdige Unterkünfte statt Massenlager", "Hände weg vom Tempelhof-Gesetz". In den Zuschauerreihen ragen sie in die Höhe, weisen in Richtung Podium, auf dem sich vier Staatssekretäre und drei Bezirksbürgermeisterinnen mühen zu erklären, warum das jetzt sein muss: Unterkünfte für bis zu 7000 Flüchtlinge auf dem Tempelhofer Feld - obwohl die Bürger per Volksentscheid im Jahr 2014 eine Bebauung des Feldes verhindert haben. Nun soll das seitdem geltende Tempelhof-Gesetz nach nicht einmal zwei Jahren wieder geändert werden.

Berlin braucht zweifellos neue Unterkünfte für Flüchtlinge, das ist das Einzige, worin sich Aktivisten und Politiker an diesem Abend einig sind. Statt der prognostizierten 12 500 Geflüchteten kamen 2015 gleich 79 000 nach Berlin. Dirk Gerstle, Staatssekretär für Soziales, kommt allerdings kaum dazu, Zahlen wie diese zu referieren, schon ertönt der erste Zwischenruf: "Komm mal zum Thema!" Daraufhin Pfiffe, Buhrufe - wie fast immer an diesem Abend, wenn einer der Politiker auf der Bühne das Wort ergreift.

Es kommen da gleich zwei Probleme zusammen, die dem Senat im Wahljahr 2016 zu schaffen machen. Erstens steht die Berliner Politik wegen ihres Umgangs mit Flüchtlingen permanent in der Kritik. Die Situation vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) brachte der zentralen Registrierungsstelle Berlins den Titel "schlechteste Behörde Deutschlands" ein. In den Hangars des alten Flughafens leben bereits Flüchtlinge - unter unwürdigen Bedingungen, beklagt der Flüchtlingsrat. Wie soll da erst ein Massenlager für 7000 Menschen aussehen?, fragen die Redner aus dem Publikum. Eine detaillierte Antwort können die Politiker an diesem Abend nicht geben.

Kritik an Flüchtlingspolitik - und Misstrauen

Zweitens zeigt sich an diesem Abend ein Verdacht, der genauso schwer wiegt: Werden etwa Flüchtlinge missbraucht, um das Feld gegen den Willen des Volkes doch noch für Investoren zu öffnen? Diese Frage stellt Oliver von der Initiative "100% Tempelhofer Feld". "Wie weit können wir da Politikern und Politikerinnen des Senats noch trauen?" Der laute Applaus zeigt, dass die meisten Zuschauer an diesem Abend seine Befürchtung teilen: Erst kommen die Notunterkünfte, dann ist irgendwann das ganze Volksgesetz hinfällig.

Es gab viele Gründe, warum sich die Berliner 2014 gegen die Bebauungspläne des Senats stemmten. Naturschützer äußerten ebenso Bedenken wie Bewohner der anliegenden Stadtteile, die fürchteten, ihre Kieze könnten durch die Bebauung noch teurer werden. Und nicht zuletzt stank den Berlinern das als selbstherrlich empfundene Verhalten des Senats: Dieser habe ohne Beteiligung der Bürger einen Masterplan für das Feld ausgearbeitet, hieß es damals - und sei nicht bereit, sich der Kritik an den Plänen zu stellen.

Die Abstimmung war eine beispiellose Schlappe für den heutigen Regierenden Bürgermeister Michael Müller, der damals noch Bausenator unter Klaus Wowereit war. Da ist es kein Wunder, dass die Ankündigung des Senats im Herbst, das Feld nun doch bebauen zu wollen, schnell als Retourkutsche interpretiert wurde: Ihr mit eurem Volksentscheid könnt uns gar nichts! Die Initiative "100% Tempelhofer Feld" hat daher ihre Anhänger über Flugblätter und soziale Medien dazu aufgerufen, zur Veranstaltung am gestrigen Donnerstag zu kommen.

"Kein Ort, an dem Flüchtlinge viele Monate leben sollen"

Das wirft natürlich auch die Frage auf, wie repräsentativ der Unmut dieses Abends überhaupt ist. In solchen Fällen lautet die Argumentation häufig: Eine vollbesetzte Flughafenhalle ist immer noch nur ein Bruchteil der Berliner Bevölkerung, von der nur der besonders empörte Teil überhaupt Lust und Zeit hat, den Donnerstagabend auf einer solchen Informationsveranstaltung zu verbringen. Doch mit dieser Sicht lag der Senat 2014 schon einmal falsch - und will das Risiko sicher nicht wieder eingehen, zumal die Wahl zum Abgeordnetenhaus kurz bevorsteht.

Die Staatssekretäre versuchen daher durchaus geduldig, die Position des Senats klarzumachen: So soll die Unterkunft auf dem Feld nur für begrenzte Zeit stehen, bis maximal Ende 2019. Auch soll sie für die Menschen nur eine Durchgangsstation sein. "Wir alle wissen: Das Tempelhofer Feld ist kein Ort, an dem Flüchtlinge viele Monate leben sollen", sagt Dieter Glietsch, Staatssekretär für Flüchtlingsfragen. Allerdings konnte bereits im Herbst nur durch die Belegung des ehemaligen Flughafens Obdachlosigkeit vermieden werden.

Die "größte, schlechteste, teuerste Flüchtlingsunterkunft"

Allein: Die Zuschauer glauben all das nicht. "Das hier ist die größte, schlechteste und wahrscheinlich teuerste Flüchtlingsunterkunft in Berlin", sagt etwa Georg Classen vom Flüchtlingsrat Berlin über die Hangars, in denen bereits Flüchtlinge untergebracht wurden. Eine Übergangsstation sei sie auch nicht, die Menschen lebten dort auf zwei Quadratmetern pro Person, ohne Privatsphäre, ohne Perspektive, auf unabsehbare Dauer. Tatsächlich müssen die Politiker auf der Bühne später zugeben, dass bisher noch keiner der Flüchtlinge, die seit Herbst im Flughafen leben, in eine bessere Unterkunft weitergeleitet werden konnte.

"Auch unsere Standards haben sich verschoben", sagt Staatssekretär Glietsch. Noch vor einem Jahr hätte auch die Politik Unterkünfte wie diese für unmöglich gehalten. "Doch die Realität hat uns dazu gezwungen." Das sehen die Aktivisten und ihre Unterstützer anders. Sie fordern zum Beispiel, illegale Ferienwohnungen und leer stehende Büroflächen zu beschlagnahmen, um darin Flüchtlinge unterzubringen. Auch eine Liste von angeblich geeigneten Bundesimmobilien kursiert schon seit Monaten in Berlin.

Dazu sagt Franziska Giffey, Bezirksbürgermeisterin von Neukölln: "Man kann nicht einfach überall reingehen und beschlagnahmen, was gerade leer steht." Eine Aussage, die besonders laute Buhrufe nach sich zieht. Schließlich sagt Christian Gaebler, Staatssekretär für Verkehr und Umwelt: "Wir brauchen im Moment alles. Es gibt kein Entweder-oder mehr."

Kein Verfassungsbruch, sondern eine "politische Frage"

Diese Rhetorik der Alternativlosigkeit kommt nicht gut an beim Publikum. Je später der Abend, desto emotionaler und auch feindseliger werden die Redebeiträge. "Zum Kotzen" fände sie die Politik, sagt etwa eine Frau und erklärt, bei der Abgeordnetenwahl zu Hause zu bleiben. "Das sind Konzentrationslager, die Sie errichten!", ruft ein Mann sogar. Ein Nazi-Vergleich - mehr rhetorische Eskalation geht nicht.

Auch wenn nicht alle Zuschauer zu so drastischen Worten greifen, ist die Empörung groß darüber, dass das Volksgesetz schon innerhalb einer Legislaturperiode wieder ausgehebelt werden soll. "Wenn Sie sich an das Gesetz des Volkes nicht halten - wie sollen wir Ihnen da glauben?", fragt ein Anwohner. Und sei das überhaupt mit der Verfassung zu vereinbaren? Staatssekretär Gaebler entgegnet darauf, was rein rechtlich richtig ist - aber nicht zur Entspannung beiträgt: Natürlich könne das Abgeordnetenhaus als Gesetzgeber auch ein vom Volk eingebrachtes Gesetz ändern, wenn es sein muss. "Das ist kein Verfassungsbruch, sondern eine politische Frage."

Eine politische Frage, die Senat und Abgeordnetenhaus nun wohl oder übel vor der Wahl beantworten müssen. Am 28. Januar schon sollen die Parlamentarier über die Gesetzesänderung abstimmen. "100% Tempelhofer Feld" hat die eigenen Anhänger aufgefordert, den Abgeordneten zu schreiben. Für Samstag ist die nächste Demonstration geplant. Die Initiative verspricht auf ihrer Webseite einen "heißen Januar".

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