Flüchtlinge:Asylpaket II: Wer hat gewonnen, wer verloren und was bringt es?

Drei Monate lang haben sich CDU, CSU und SPD über das Asylpaket II in die Haare gekriegt. Jetzt ist der Streit mit einem dünnen Kompromiss beigelegt.

Analyse von Thorsten Denkler, Berlin

Manche Kompromisse sind so schlicht, dass die Frage erlaubt ist, warum das dann so lange gedauert hat. Seit Anfang November suchen die Koalitionspartner in Berlin eine Lösung im Konflikt um das Asylpaket II. Das war damals eigentlich schon beschlossen. Jetzt gibt es seit Donnerstagabend eine Lösung, die problemlos auch schon weit früher hätte gefunden werden können.

Es gab im Vorfeld schwere Missverständnisse um den Familiennachzug für Syrer. Die Beschlusslage im November war: Sogenannte subsidiäre Flüchtlinge sollten zwei Jahre lang ihre Familien nicht nachholen können. SPD-Chef Sigmar Gabriel ist davon ausgegangen, dass Syrer nicht unter diese Regelung fallen. Die CSU allerdings schon.

Als subsidiär schutzbedürftig gelten Flüchtlinge, die keinen anderen Fluchtgrund haben, als dass sie aus einem Kriegs- oder Bürgerkriegsgebiet kommen. Damit sind sie zwar einer allgemeinen Gefahr ausgesetzt, aber nicht individuell verfolgt. Weshalb bewaffnete Konflikte weder vom Asyl noch von der Genfer Flüchtlingskonvention als Fluchtgrund gedeckt sind. Seit 2013 gibt es deshalb für diese Flüchtlinge den subsidiären Schutz. Der gilt nur für ein Jahr, kann dann aber verlängert werden. Seit August 2015 dürfen subsidiäre Flüchtlinge auch ihre Familien nachholen. Das war Teil des auch von der CSU mitgetragenen Asylpaketes I.

Ein Problem für manche Syrer ist jetzt: Ein Jahr lang wurden sie pauschal als Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt. Bedeutet: drei Jahre Bleiberecht und Anspruch auf Familiennachzug.

Seit dem 1. Januar aber gilt wieder die Einzelfallprüfung. Es wird angenommen, dass unter 100 000 neu ankommenden Flüchtlingen aus Syrien etwa 20 Prozent nur noch den subsidiären Schutz in Anspruch nehmen können. Und damit nach den Plänen der CSU für zwei Jahre auch vom Familiennachzug ausgeschlossen sind.

Im am Donnerstag geschlossenen Kompromiss hat sich die CSU hier durchgesetzt. Im Detail aber ist erkennbar: Ein Durchbruch zur Verringerung der Flüchtlingszahlen ist das nicht.

  • Der Familiennachzug wird also tatsächlich für alle subsidiär Schutzbedürftigen für zwei Jahre ausgesetzt. Auch für Syrer. Womöglich bleibt diese Neuregelung aber relativ wirkungslos. Das Verfahren zum Familiennachzug ist aufwendig und zeitraubend. Von der Antragstellung an bis zu dem Zeitpunkt, zu dem Frau, Mann und Kinder wieder vereint sind, dauert es in der Regel zwei Jahre. Das Zugeständnis von Gabriel an Seehofer war also ein eher überschaubares. Was die Syrer angeht, dürfte die Zahl der betroffenen Angehörigen relativ gering sein.
  • Dafür hat Gabriel das Wort Kontingente in das Kompromisspapier mit der Union hineingebracht. Gabriel will, dass aus den Flüchtlingslagern im Libanon, in der Türkei oder in Jordanien eine bestimmte Zahl von Angehörigen von bereits jetzt in Deutschland lebenden Flüchtlingen "vorrangig berücksichtigt" werden. Was dafür allerdings noch fehlt, ist eine europäische Einigung auf solche Kontingente. Dafür müssen sich alle EU-Länder zur Aufnahme von Flüchtlingen bereiterklären. Das aber ist wohl noch ein sehr weiter Weg.
  • Hinzu kommt, dass Betriebe, die Flüchtlingen einen Ausbildungsplatz geben wollen, künftig mehr Rechtssicherheit bekommen. Und Flüchtlinge, die hier eine Ausbildung erfolgreich abschließen, sollen danach für mindestens noch zwei Jahre in Deutschland leben und arbeiten können.
  • Einig geworden sind sich die Koalitionäre auch, wie hoch der Eigenbeitrag von Flüchtlingen für Sprachkurse sein soll. Künftig werden dafür zehn Euro monatlich verlangt.
  • Marokko, Tunesien und Algerien werden zudem zu sicheren Herkunftsländern erklärt. Dann wohl auch mit Unterstützung des grünen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, ohne den es im Bundesrat dafür wohl keine Mehrheit geben würde. Die Anerkennungsquoten von deutlich unter zwei Prozent sind kaum von der Hand zu weisen. Mit einem Erfolg wie im Fall der Balkanländer dürfte allerdings kaum zu rechnen sein. Vom Balkan kommen auch deswegen nur noch wenige Menschen, weil sie sicher sein können, dass sie tatsächlich umgehend wieder in ihre Heimat zurückgebracht werden. Die Behörden vor Ort kooperieren eng mit den deutschen Kollegen. Flüchtlinge aus Marokko, Algerien und Tunesien dürften nicht so leicht abgeschoben werden können. Diese Länder weigern sich oft, ihre Landsleute zurückzunehmen.

Nicht neu aufgemacht wurden die restlichen, bereits beschlossenen Punkte aus dem Asylpaket II vom November:

  • Für Asylbewerber und Flüchtlinge soll es einen gemeinsamen Ausweis und eine Datenbank geben, um die aufwendigen Registrierungsverfahren einfacher zu machen. Die mussten Flüchtlinge bisher mehrfach durchlaufen, weil etwa der Bundesgrenzschutz seine Daten nicht mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge austauschen konnte.
  • Für Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten wird eine neues, beschleunigtes Verfahren eingeführt. Es soll alles in allem nicht länger als drei Wochen dauern.
  • Für dieses neue Verfahren sollen sogenannte "besondere Aufnahme-Einrichtungen" oder Registrierzentren aufgebaut werden, in denen sich die Mitarbeiter ausschließlich um Asylbewerber und Flüchtlinge mit erkennbar geringer Bleibeperspektive kümmern. Wer in diese Kategorie fällt, soll Sozialleistungen erst bekommen, wenn er sich in so einer Einrichtung hat aufnehmen lassen. Für ihn gilt eine verschärfte Residenzpflicht. Er darf sich nur im Bezirk der unteren Ausländerbehörde aufhalten. Das können ganze Landkreise sein oder in großen Städten nur bestimmte Stadtregionen.
  • Eine Ausweisung hat oft noch nicht direkt die Abschiebung zur Folge. Häufig liegt das daran, dass die Herkunftsländer nicht kooperieren. Dafür soll in der bereits vorhandenen Clearingstelle für solche Fälle in Berlin und Potsdam eine neue Stelle aufgebaut werden, die "in ständigem Kontakt mit den Botschaften der Herkunftsländer steht", heißt es im Beschlusspapier zum Asylpaket II. Die Mitarbeiter werden mit anderen Worten Klinken putzen müssen, damit sie die für eine Abschiebung notwendigen Papiere beschaffen können.
  • Außerdem soll es bald einheitliche Kriterien für ärztliche Atteste geben, mit denen ausgewiesene Personen unter Umständen ihre Abschiebung verhindern oder verzögern können. Damit soll ein Missbrauch des ärztlichen Attestes vermieden werden.

Das Asylpaket II soll noch im Februar von Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden.

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