Flucht über das Mittelmeer:Italien verschafft sich Gehör

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100 Migranten durften Ende Juni in Pozzallo die "Alexander Maersk" verlassen, inzwischen verweigert Italien Schiffen mit Flüchtlingen die Einfahrt. (Foto: Salvatore Cavalli/AP)
  • Italiens Regierung verweigert 441 Flüchtlingen, die sich auf zwei europäischen Schiffen befinden, dass sie an Land kommen dürfen.
  • Damit versucht Italien weiter Druck auf die restlichen Staaten in der EU aufzubauen, verbindliche Zusagen über die Aufnahme von Migranten zu geben.
  • Malta und Frankreich willigten bereits am Samstag ein, je fünfzig Migranten vor allem aus Eritrea und Somalia zu übernehmen. Deutschland zog am Sonntag nach, es nimmt ebenfalls fünfzig auf.

Von Oliver Meiler, Rom

Vor dem Hafen von Pozzallo, unter der Sommersonne Südsiziliens, liegen zwei Boote mit 441 Flüchtlingen und genügend Lebensmitteln für zwei Tage. Die Monte Sperone gehört zur Flotte der italienischen Steuerpolizei, der Guardia di Finanza, die britische Protector zum europäischen Grenzschutz Frontex. Es handelt sich also um offizielle Schiffe, eingebunden in eine europäische Mission. Die italienische Regierung will deren Passagiere jedoch erst aussteigen lassen, wenn sie sicher ist, dass es für die meisten von ihnen Abnehmer gibt. Premier Giuseppe Conte verbrachte das Wochenende damit, Staaten zu finden, die sich solidarisch zeigen wollen mit Italien, wie sie das beim jüngsten Migrationsgipfel versprochen hatten.

Malta und Frankreich willigten bereits am Samstag ein, je fünfzig Migranten vor allem aus Eritrea und Somalia zu übernehmen. Deutschland zog am Sonntag nach, es nimmt ebenfalls fünfzig auf. Mit Spanien und Portugal einigte man sich offenbar mündlich. Conte verkündete auf Facebook: "Endlich wird die Stimme Italiens gehört." Es brauchte in diesem Fall allerdings viele Telefonate, einen Brief an Brüssel und eine brisante Drohung aus Rom.

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Wenn nicht alles täuscht, werden die Italiener in Zukunft bei jeder neuen Ankunft von Migranten nach diesem Muster verfahren wollen. "Modello Lifeline", nennt man es, Modell Lifeline, weil die Methode vor einigen Wochen mit dem Rettungsboot der gleichnamigen deutschen Hilfsorganisation erstmals zur Anwendung gekommen war, damals in Malta. Die maltesische Regierung ließ die Anlandung der Lifeline erst zu, nachdem sich acht Partnerstaaten bereit erklärt hatten, je einen Teil der 234 Migranten aufzunehmen.

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Im jüngsten Fall sind es fast doppelt so viele. Sie hatten am vergangenen Freitag in Libyen abgelegt, wahrscheinlich in Zuwara, einer Hafenstadt in der Nähe der tunesischen Grenze. Die libyschen Schleuser drängten 450 Flüchtlinge auf ein altes Fischerboot aus Holz, wie sie das früher oft getan hatten, bevor sie Gummiboote einsetzten. Der Kutter schaffte es bis in maltesische Gewässer, der Kapitän kontaktierte die dortigen Hafenbehörden. Malta verwies ihn weiter an die Koordinationsstelle in Rom. Das Schiff nahm Kurs auf Italien, worauf Innenminister Matteo Salvini via Twitter ausrichten ließ: "Damit das allen klar ist, den Maltesern, den Schleusern und allen Gutmenschen in Italien: Diese Barke wird und darf nicht in Italien anlegen. Kapiert?"

Doch mittlerweile hatte der Kutter italienische Gewässer erreicht. Die Italiener ordneten an, dass die Flüchtlinge auf Militärboote umsteigen müssten, auf die Protector und die Monte Sperone. Neun Passagiere wurden mit Hubschraubern nach Lampedusa und Palermo gebracht, weil ihr Gesundheitszustand besonders prekär war. Eine Zeit lang wurde in Rom offenbar erwogen, die restlichen 441 Menschen zurück nach Libyen zu bringen. Das jedoch wäre ein denkwürdiger Verstoß gegen die Regeln gewesen: Sowohl die EU als auch die UN schätzen Libyen als gefährlich ein und seine Häfen als unsicher.

Italien wurde 2009 schon einmal vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt, weil es 200 Migranten, die in der Straße von Sizilien gerettet worden waren, nach Libyen zurückgebracht hatte. In jener Zeit regierte in Rom Silvio Berlusconi; Innenminister war Roberto Maroni, der wie Salvini der fremdenfeindlichen Lega angehört. Diesmal sah man davon ab. Warum, ist unklar. Vielleicht war die mögliche Rückschaffung auch nur eine Drohgebärde.

Als die beiden Militärschiffe in Pozzallo einliefen, begann Premier Conte einen langen Reigen von Telefonaten und setzte einen Brief auf mit dem Vermerk "Dringend", den er nach Brüssel sandte. Adressiert war er an alle Staats- und Regierungschefs der anderen 27 Mitgliedsländer. Italien habe einmal mehr seinen Part geleistet und den Migranten geholfen, heißt es darin. "Ich bitte dich", schreibt Conte in familiärem und zugleich forderndem Tonfall, "mit einem unmissverständlichen Signal zu zeigen, dass du die Verantwortung im Umgang mit dem Migrationsphänomen teilst und deshalb in Betracht ziehst, einen Teil der ungefähr 450 Personen in deinem Land aufzunehmen." Damit man den Fall schnell lösen könne, hoffe er auf möglichst prompte Antwort.

"Modell Lifeline" ist eine rabiate Antwort auf den misslungenen Versuch, mit einem Umsiedlungsprogramm einen Teil jener Migranten auf alle europäischen Länder zu verteilen, die in Italien und Griechenland erstmals europäischen Boden betreten. Conte findet nun, sein Kabinett habe in wenigen Wochen mehr erreicht als die Vorgängerregierung in Jahren - und viele Italiener teilen diese Meinung.

Einige Länder im Osten der EU bleiben jedoch hart, es sind die üblichen Verdächtigen. Tschechiens Ministerpräsident Andrej Babiš etwa hält die Verteilmethode der Italiener für einen "Weg in die Hölle". Sie schaffe nur noch mehr Anreize zur Flucht, sagte er. Sein Land werde deshalb keine Flüchtlinge aufnehmen.

© SZ vom 16.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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