Flucht aus Afrika:Die wichtigsten Fluchtrouten aus Afrika

Die Strecke Libyen-Italien wird wieder zur Hauptroute über das Mittelmeer nach Europa. Wo die Flüchtlinge herkommen und welche Wege sie hinter sich haben.

Von Isabel Pfaff

Mit neuen "Migrationspartnerschaften" will die EU-Kommission die europäischen Flüchtlingszahlen weiter senken. Nach dem Vorbild des Abkommens mit der Türkei plant Brüssel, sieben afrikanische Staaten zu Partnern im Kampf gegen die sogenannte irreguläre Migration zu machen. Sie sollen abgewiesene Flüchtlinge wieder aufnehmen und ihre Grenzen stärker sichern; im Gegenzug stellt die EU unter anderem Unterstützung beim Grenzschutz, Handelserleichterungen und mehr Entwicklungshilfe in Aussicht.

Den Blick auf Afrika lenken auch die jüngsten Mittelmeer-Flüchtlingszahlen. Seit dem Türkei-Deal im März sinkt die Zahl der täglich in Griechenland Ankommenden rapide, von mehr als 2000 Flüchtlingen im Februar auf knapp 50 im Mai. An der Mittelmeerküste Italiens ist es dafür seit einigen Wochen umgekehrt: Die Zahl der Flüchtlinge, die dort pro Tag ankommen, steigt - von etwa 130 (Februar) auf fast 700 (Mai). Mit der blockierten Route im östlichen Mittelmeer wird die Strecke zwischen Libyen und Italien also wieder zum bedeutendsten Fluchtweg Richtung EU. Damit rücken Herkunftsstaaten in den Fokus, die monatelang im Schatten des Krieges in Syrien gestanden haben: An der libyschen Küste steigen nach Angaben der Vereinten Nationen fast nur Afrikaner in die Boote - und so gut wie keine Flüchtlinge aus Syrien oder Afghanistan, den bisher größten Gruppen unter den nach Europa Geflüchteten.

Knapp die Hälfte der etwa 50 000 Italien-Ankömmlinge des laufenden Jahres kommen aus Nigeria, Gambia, Somalia, Eritrea und der Elfenbeinküste. Warum fliehen Menschen aus diesen Gebieten? Ein Überblick über die neuen wichtigen Herkunftsstaaten.

Nigeria

Sie gilt als die tödlichste Terrorgruppe der Welt: Nicht einmal der "Islamische Staat" hat in den vergangenen Jahren so viele Menschen umgebracht wie die nigerianische Islamistenmiliz Boko Haram. Seit 2009 wüten die Milizionäre im Nordosten Nigerias, inzwischen auch in den Nachbarstaaten Kamerun, Tschad und Niger. Ihrem grausamen Feldzug fielen nicht nur etwa 15 000 Menschen zum Opfer, er hat auch mehr als zwei Millionen in die Flucht geschlagen. Die meisten von ihnen leben als Vertriebene im eigenen Land oder in den angrenzenden Staaten. Solange Boko Haram weiter Anschläge verübt, können sie nicht zurückkehren. Inzwischen bilden nigerianische Männer, Frauen und Kinder auch die größte Gruppe unter den Mittelmeer-Flüchtlingen, die nach Italien übersetzen - etwa 15 Prozent. Der brutale Krieg der Terrormiliz in den nordöstlichen Landesteilen ist wohl der zentrale Fluchtgrund. Einige Nigerianer dürften sich aber auch aus Mangel an Perspektiven auf den Weg machen: Obwohl Nigerias Volkswirtschaft die größte in ganz Afrika ist und das Land über immense Ölreserven verfügt, lebt fast die Hälfte der Bevölkerung in Armut.

Gambia

Gambia ist ein winziger Streifen Land an der westafrikanischen Küste, umschlossen vom großen Nachbarn Senegal. Gerade einmal 1,8 Millionen Menschen leben hier - und doch stammen zehn Prozent der Mittelmeerflüchtlinge, die in Italien ankommen, aus diesem Ministaat. Ein beachtlicher Exodus, der mit dem Mann zu tun hat, der das Land seit 1994 regiert: Yahya Jammeh. Als junger Offizier hatte er sich an die Macht geputscht; ein paar Jahre später war aus dem kleinen Gambia ein lupenreiner Militärstaat geworden. Inzwischen gilt das Land als eine der härtesten, aber auch unbekanntesten Diktaturen der Welt. Berüchtigt ist vor allem der Geheimdienst NIA, der Andersdenkende nach Berichten von Menschenrechtsorganisationen verhaftet, foltert und mitunter auch im Gefängnis umbringen lässt. Beobachter warnen davor, sich von dem skurril anmutenden Präsidenten täuschen zu lassen: Mit seinen Äußerungen zu Hexerei, Aids und Homosexualität lenkt Jammeh erfolgreich von dem stalin-artigen Angstregime ab, das er seit mehr als 20 Jahren unterhält.

Somalia

Nach Syrien und Afghanistan ist Somalia das bedeutendste Herkunftsland von Flüchtlingen weltweit - mehr als 1,1 Millionen Somalier leben derzeit als Vertriebene in anderen Ländern. Der Grund liegt auf der Hand: Seit Beginn der Neunzigerjahre hat in dem Land am Horn von Afrika kein echter Frieden mehr geherrscht. Auf den Bürgerkrieg zwischen rivalisierenden Clans folgte ein Machtvakuum, das den Aufstieg der Terrormiliz al-Shabaab ermöglichte. Die Islamisten kontrollierten zeitweise große Landesteile, wurden aber zuletzt von einer internationalen Eingreiftruppe zurückgedrängt. Der Bevölkerung nützt das wenig: Anschläge werden weiter verübt, und der Krieg zwischen den Islamisten und den internationalen Truppen macht ein Leben in Frieden unmöglich. Hunderttausende Somalier haben Zuflucht im Nachbarland Kenia gefunden, viele andere haben sich auf den Weg nach Europa gemacht. Manche folgten der Route über Ägypten und den Nahen Osten, andere versuchten, von Libyen aus nach Europa zu gelangen. Inzwischen ist nur noch die Libyen-Route offen. Auch wenn der Weg weit ist, zeigen die Zahlen, dass ihn viele Somalier auf sich nehmen.

Eritrea

Aus keinem afrikanischen Land sind 2015 so viele Menschen geflohen wie aus Eritrea. Auf den ersten Blick verwunderlich, denn der Staat am Horn von Afrika ist kein Kriegsschauplatz. Dafür wird er beherrscht von einem ehemaligen Rebellen, der einst die Unabhängigkeit Eritreas von Äthiopien erkämpfte - und seitdem die Bevölkerung autoritär kontrolliert. Der Präsident schottet sein Land ab, unterhält einen engmaschigen Überwachungsapparat und verpflichtet alle Einwohner zu einem unbefristeten Nationaldienst, der in den meisten Fällen viele Jahre dauert. Vor allem junge Eritreer wollen diesem Zwangsarbeitssystem entkommen. Nach UN-Schätzungen entscheiden sich monatlich 5000 von ihnen zur Flucht.

Elfenbeinküste

Lange hatte die westafrikanische Elfenbeinküste als Aufsteigerland gegolten, das drauf und dran war, zum Schwellenland zu werden. Doch 2002 teilte eine Rebellion den Staat in zwei Teile. Internationale Truppen intervenierten, trotzdem folgten auf kurze Friedensphasen immer wieder Gewaltausbrüche. Erst 2011 endete der Konflikt - mit dem militärischen Sieg der Rebellen aus dem Norden. Seither regiert Alassane Ouattara und es ist ruhiger geworden in der Elfenbeinküste. Doch gespalten ist sie noch immer, Anhänger der gestürzten Regierung berichten von Verfolgung. Manche entscheiden sich wohl deshalb für die Flucht, andere tun es aus wirtschaftlichen Gründen. Acht Prozent der Italien-Ankömmlinge in diesem Jahr waren Ivorer.

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