Finanznot:Hauptstadt der Schulden

Berlin klagt vor dem Verfassungsgericht gegen den Bund. Ob das Land dadurch saniert wird, ist auch im Erfolgsfall keineswegs sicher und so heißt die Devise auch in Zukunft: sparen, sparen, sparen.

Von Annette Ramelsberger

(SZ vom 2.9.2003) - Böse Menschen sagen jetzt natürlich: Ist ja nichts Neues. Berlin will doch immer Geld vom Bund - für die Opern, für die Sicherheit der Staatsgäste, für das Regierungsviertel.

Was soll Besonderes daran sein, dass Berlin nun schon wieder Geld will? Dabei ist es diesmal richtig ernst: Die Hauptstadt will nicht nur ein paar Millionen Euro Zuschuss für die drei Opern.

Berlin reicht jetzt in Karlsruhe Verfassungsklage ein gegen die Bundesrepublik Deutschland. Und wenn die Klage in zwei, drei Jahren entschieden ist, muss Finanzminister Hans Eichel der Stadt vielleicht mehr als 25 Milliarden Euro überweisen - ein finanzieller Dammbruch.

Nach den Berliner Vorstellungen müsste der Bund fast dreimal so viel hinblättern wie beim Elbhochwasser im vorigen Sommer. Das kostete neun Milliarden Euro.

Am Dienstag wird der Berliner Senat über die Klage auf Hilfe in seiner "extremen Haushaltsnotlage" offiziell entscheiden. Eine Hilfe, die nicht etwa dazu dienen soll, das Leben in Deutschlands Hauptstadt ein bisschen netter zu gestalten.

Keine Alternative

Nein, das Geld soll die Stadt nur davor bewahren, von ihren Schulden aufgefressen zu werden. Verbunden mit der Klage ist ein Sanierungsprogramm, das die Berliner zu Recht schon jetzt stöhnen lässt.

Allein - es gibt keine Alternative. Gerade ist durchgesickert, dass die Kita-Gebühren um 30 Prozent steigen, für etwas besser verdienende Eltern sogar um 40 Prozent: von derzeit 286 auf 423 Euro im Monat, pro Kind. Das ist ein Satz, der auch in Städten mit wohlhabenderen Einwohnern wie Hamburg oder München für Entsetzen sorgen würde.

Schon jetzt kostet das Schwimmbad vier Euro pro Besuch. Nun wird auch der Zuschuss zur U-Bahnkarte für Sozialhilfeempfänger abgeschafft, die Sozialmieten steigen, und Langzeitstudenten müssen Gebühren entrichten.

Die Lehrer arbeiten mehr, die Beamten verdienen weniger. Die Berliner bekommen handfest zu spüren, dass die angestrebte Hilfe vom Bund etwas kostet.

Einmalige Situation

Die Situation ist nahezu einmalig. Das Land Berlin hat derzeit 47 Milliarden Euro Schulden, im Jahr 2007 werden es trotz aller Einschnitte 67 Milliarden Euro sein. 41,7 Prozent seiner Steuereinnahmen gibt Berlin schon jetzt für die Bezahlung der Zinsen aus - die anderen Länder müssen für ihre Zinszahlungen im Durchschnitt 11 Prozent ihrer Einnahmen aufwenden.

Und dieser Zinskostenanteil wird trotz allen Sparens automatisch so stark ansteigen, dass Berlin in absehbarer Zeit nicht mehr fähig sein wird, seine verfassungsmäßigen Aufgaben zu erfüllen: Schulen, Polizei, Verkehr. Pro Kopf haben Länder und Gemeinden im Schnitt 6100 Euro Schulden, ein einzelner Berliner aber steht mit 14000 Euro in der Kreide.

"Der erreichte Schuldenstand und die Neuverschuldung des Landes sind seit der Inflationszeit der Zwanziger Jahre in Deutschland ohne historisches Beispiel", sagt Professor Joachim Wieland von der Universität Frankfurt am Main.

Streng weitersparen

Schon einmal hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eine Bundesregierung dazu verurteilt, Ländern zu helfen, die sich nicht mehr allein aus der Schuldenfalle befreien konnten: 1992 hatten Bremen und das Saarland mit ihrer Klage Erfolg.

Saniert sind die beiden Länder aber nicht. Und auch Berlin müsste in jedem Fall streng weitersparen.

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