Finanzmarktregulierung:Regieren statt reagieren

Geht es um Delikte auf dem Finanzmarkt, verzichtet der Gesetzgeber auf Zugriff und Verbesserung - das ist nicht Politik, sondern ein Unterlassungsdelikt. Es ist peinlich, dass sich Kanzlerin Merkel jeglichen Anti-Missbrauchsregeln verweigert hat.

Heribert Prantl

Der alte Spruch "Bürgen wird man würgen" ist derzeit nicht beliebt, jedenfalls nicht in der Politik, nicht in Berlin und schon gar nicht in Brüssel. Der Spruch ist abgelöst worden von einem anderen Satz, der aus den USA kommt: "too big to fail", zu groß, um zu scheitern.

Angela Merkel, Reuters

Es ist peinlich, dass sich Kanzlerin Angela Merkel bisher jeglichen Anti-Missbrauchsregeln verweigert hat.

(Foto: Foto: Reuters)

Dieser Größensatz ist in den Zeiten der Großkrisen zu einer geflügelt-sarkastischen Weisheit geworden. Er beschreibt die Illusion, bestimmte Konzerne, Staaten oder Geldhäuser seien zu groß und zu wichtig, um scheitern zu können oder zu dürfen. Wenn Konzerne, Staaten oder Geldhäuser systemrelevante Größe haben, dann bürgt, das besagt der Satz, jeweils die noch größere Institution.

Regieren ist mehr als reagieren

Größe schützt vor Insolvenz: Wenn es einem Großen schlecht geht, kommt der noch Größere und hilft, weil es ihm sonst selber schlecht ergeht. Too big to fail: Das ist angeblich die faktische Garantie dafür, dass es irgendwie immer weitergeht.

Der Größensatz beschreibt aber eine endliche Erkenntnis; sie vertraut einem Mechanismus, der nicht mehr funktioniert, wenn es keine größere Institution mehr gibt. Das ist die eine Gefahr. Die andere erleben wir derzeit: In die Politik schleicht sich der Gedanke ein, schon die blanke Größe, der gigantische Umfang eines finanziellen Hilfspakets sei eine Garantie für den Erfolg dieser Hilfe.

Gewiss: Es ist anstrengend, ein solches Paket zu schnüren; aber solche Anstrengung allein ist noch keine gute Politik. Gute Politik kann sich nicht darin erschöpfen, "too big to fail" in ein Kreditermächtigungsgesetz zu übersetzen. Regieren ist mehr als reagieren. Regieren verlangt Vorsorge: Es muss dafür gesorgt werden, dass der Bürgschafts-Mechanismus nicht noch einmal ausgelöst wird.

Kapitalistische Funktionsmechanismen

Das Packen von Hilfspaketen ist und bleibt Rettungsaktion. Politische Führung ist mehr; sie ist durch Hilfspakete nicht zu ersetzen. Tatkraft zeigt nicht der, der ein Opfer, das unter die Räuber gefallen ist, verbindet - sondern derjenige, der den Räubern den Garaus macht, indem er ihre räuberischen Strukturen aufdeckt, die Logistik zerstört und die Straßen sichert, auf denen bisher die Opfer überfallen wurden.

Die Räuber, das sind die Spekulanten, aber sie sind es nicht unbedingt in Person. Die Krise ist mit der Personalisierung ihrer Ursachen nicht wirklich zu erfassen; Ackermann & Co. sind nicht das eigentliche Problem, auch nicht die Damen und Herren von Goldman Sachs; das Problem sind systemimmanente kapitalistische Funktionsmechanismen, die sich die Finanzwelt zunutze macht.

Hier einzugreifen - das ist Politik. Systemische Krisen müssen systemisch kuriert werden, durch Zivilisierung und Zähmung der kapitalistischen Dynamik von innen. Regieren in Zeiten der Finanzkrise heißt also regulieren und indizieren.

Verzicht von vornherein

Wenn bestimmte Finanzpapiere Giftpapiere sind und ganze Volkswirtschaften vergiften, wenn Kreditausfallversicherungen nicht mehr einen Kreditausfall versichern, sondern mit nackten Papieren Staaten destabilisiert werden, dann besteht Politik nicht in Fatalismus, einem Rettungspaket und dem Satz, dass man ansonsten leider nichts machen könne - und Verbotsgesetze ja eh nur umgangen würden. Mit dieser Begründung müsste man auf fast jedes Gesetz verzichten; bei fast jedem Gesetz gibt es die Versuche, sie zu umgehen.

Die Gesetzgeber in Deutschland und der EU sind stets nachbessernde Gesetzgeber: Kaum ist ein Gesetz in Kraft, wird es nachgebessert. Wenn es um die Kapitaldelikte auf dem Finanzmarkt geht, verzichtet der Gesetzgeber aber bisher von vornherein auf Zugriff und legislative Besserung - mit der Begründung, dass man umfangreich nachbessern müsste.

Das ist nicht Politik, sondern ein Unterlassungsdelikt; das ist Gesetzgebungsverweigerung. Der Grundgesetzartikel 14, wonach "Eigentum verpflichtet", muss neu interpretiert werden, da die brennenden Probleme nicht von Eigentümern, sondern von schuldenmachenden Finanzakrobaten ausgehen. Es geht um die Sozialpflichtigkeit jeglichen Wirtschaftens, auch des Finanzwirtschaftens. Die christliche Soziallehre formuliert das so: "Wirtschaft steht im Dienste des Menschen." Es ist peinlich, dass sich eine CDU-Kanzlerin bisher jeglichen Anti-Missbrauchsregeln verweigert hat.

Reagieren statt Lamentieren

Regieren heißt, die Kapitulation vor den Finanzmärkten zu beenden und die Komplexität der Reformaufgaben nicht zu scheuen. Ein Rechtssystem, dem solche Aufgaben "too big" sind, diskreditiert sich selbst. Demokratische Politik braucht Kredit von ihren Bürgern. Sie wird ihn wieder erhalten, wenn sie es endlich schafft, Finanztransaktionen mit einer Umsatzsteuer zu belegen. Seit zwei Jahren lamentiert die Politik nur, agiert aber nicht. Und die Investmentbanker und Finanzjongleure tun so, als habe es einen 15. September 2008 nie gegeben.

Die institutionellen Voraussetzungen in Europa sind nicht einfach: Die Eurozone hat zwar eine Währung, aber 16 Regierungen, Parlamente und Verfassungsgerichte. Wollen sich Merkel, Sarkozy und Co. dahinter verstecken? Sie haben es bei den Hilfspaketen erstmals nicht getan; die EU hat so beherzt eingegriffen, wie es bisher nur die Fed in den USA und die Bank of England getan haben, um Angriffe auf ihre Währungen abzuwehren. Wer Hilfspakete packen kann, packt auch komplexere Aufgaben: Er muss regieren.

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