Finanzkrise in Europa:Griechenland braucht Solidarität

Griechenland ist das schwächste Glied der Euro-Kette. Was dem Land in der momentanen Krise jetzt noch helfen kann, ist ein "Re-start" der Wirtschaft und des Verwaltungsapparats auf allen Gebieten. Dabei darf das griechische Volk nicht zum Laborkaninchen der Finanzmärkte werden - und muss sich selbst von abenteuerlichem Linkspopulismus abwenden.

Vassilis Vassilikos

Die tiefe Krise, die sich seit 2008 in der südlichen Euro-Zone wie ein Waldbrand ausbreitet, hat Griechenland als das schwächste Glied in der Euro-Kette zwangsläufig hart getroffen. Doch für diesen Waldbrand sind vorwiegend die "griechischen Brandstifter" selbst verantwortlich.

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Vassilis Vassilikos, einer der wichtigsten Romanciers der griechischen Nachkriegsliteratur, hofft auf Solidarität und Solidarisierung.

(Foto: picture-alliance / maxppp)

Seit der Austragung der Olympischen Spiele 2004 haben sich die Regierenden wenig mit den Defiziten der Staatskasse beschäftigt. Zwar konnten die Spiele das Image des Landes kurzfristig aufpolieren (zusammen mit dem Sieg der Griechen bei der Fußball-Europameisterschaft) - danach aber lagen sie schwer auf den Schultern eines wirtschaftlich eigentlich schwachen Landes. Die im selben Jahr neu gewählte Regierung von Kostas Karamanlis äußerte viel zu optimistisch die Hoffnung, ein Boom in der Tourismusbranche könne die Defizite in absehbarer Zeit ausgleichen.

Im Jahr 2009 geriet die Regierung schließlich in Zugzwang und kündigte vorgezogene Neuwahlen an - mit dem Hintergedanken, den schwarzen Peter der inzwischen verstärkten Opposition (Pasok) zuzuschieben. Die Vorbeben waren schon zu spüren, doch die Katastrophe sollte die anderen ereilen.

Der triumphale Sieg, den Giorgos Papandreou jr. dann einfuhr, war ein Pyrrhussieg. Mit der Devise "öffentliches Geld ist genug vorhanden" hatte er Stimmen gesammelt, die miserable Wirtschaftslage geleugnet und seine Politik als Alternative zu einem bitter nötigen Sparprogramm angepriesen. Danach folgte ein kritischer Zeitabschnitt von sechs Monaten, in denen keiner der notwendigen Schritte in Richtung Sanierung unternommen wurde.

Das Memorandum der "Troika"

In diesem Moment tauchte wie ein Deus ex machina die "Troika" aus EU, EZB und IWF auf - mit ihrem "Memorandum of Understanding". Das Wort Memorandum lässt zunächst "Gedächtnis" und "Erinnerung" anklingen - ein anfangs fast harmloser Terminus technicus ohne negative Konnotationen. Doch im griechischen Wort Mnemosyne (Mutter der neun Musen, Göttin der Erinnerung) stecken auch Verbindungen zur "Gedenkfeier" beziehungsweise zur "Totenmesse".

Dieses "Memorandum" wurde von allen Pasok-Ministern unterzeichnet - einige von ihnen gestanden offen, dass sie es kaum gelesen hatten. Seine ersten Auswirkungen jedoch waren erst Ende 2010 zu spüren. Seitdem steht das Land vor einem neuen "Dichasmos" - einer neuen nationalen Spaltung zwischen Befürwortern und Gegnern des Memorandums, im Grunde die 23. Spaltung nach dem Peloponnesischen Krieg, der ausführlich von Thukydides geschildert wurde.

Als Nation besteht Griechenland seit 2000 Jahren. Vorwiegend dank der Sprache, die fast unverändert in Schrift und Etymologie beständig blieb, und dank der Religion - wenn man bedenkt, dass in der (alt)griechischen Sprache, der Lingua franca des Altertums, die Evangelien überliefert wurden. Der neugriechische Staat hat dagegen nur eine Geschichte von 180 Jahren. Volk und Nation waren in dieser Zeit von heftigen Spaltungen, öfters mit verheerenden Folgen, geplagt.

Staatsgründungen brauchen Zeit, um Stabilität zu erlangen

In der jüngeren Geschichte des Landes gab es nur drei Politiker, die konsequent dafür gekämpft haben, einen modernen Staat zu gründen und auszubauen - seltene, positive Sonderfälle. Das waren der erste Gouverneur Griechenlands, Ioannis Kapodistrias (1776-1831), der in seinem dritten Amtsjahr in Nafplion ermordet wurde; Charilaos Trikoupis (1832-1896), dessen Name unglücklicherweise mit einem Staatsbankrott verbunden bleibt; und Eleftherios Venizelos, der 1920 als Wahlverlierer das Land verlassen musste, während des griechisch-türkischen Krieges in Kleinasien. In diesem Sinne ist der Versuch, einen stabilen und modernen Staat in Griechenland zu errichten, dreimal gescheitert.

Dieser kurz gefasste Rückblick auf drei wichtige Staatsmänner Griechenlands mag der deutschen Leserschaft merkwürdig vorkommen, doch die Geschichte lehrt uns, dass Staatsgründungen in der Tradition der europäischen Aufklärung eine lange Zeit brauchen, um Stabilität zu erreichen. Unter extrem schwierigen Bedingungen besteht die Gefahr einer rasanten Destabilisierung - Griechenland ist ein Beispiel dafür.

Ein "Re-start" der griechischen Wirtschaft und des Verwaltungsapparats auf allen Gebieten ist unabdingbar. Er wird nur gelingen mit der engen Kooperation aller Euro-Partner und der nötigen Entschlossenheit der politischen Kräfte im Lande. Dabei wird sich die gemeinsame Währung, der Euro, als eine wichtige Hilfe erweisen - und zugleich als "Stolperstein" in einem mühseligen, komplexen Prozess.

Die "Euro-Krankheit"

Solange die nationalen Währungen innerhalb Europas noch existierten, bewältigte Griechenland manche ökonomische Krise mit der Abwertung der Drachme - zur Stärkung vorwiegend des Exporthandels. Die Inflation, die das mit sich brachte, nahm man in Kauf. Doch diese Option ist heute Geschichte: Ein Austritt aus der Euro-Zone und eine forcierte Rückkehr zur Drachme würden verheerende Folgen für Griechenland haben. Man kann also von einer "Euro-Krankheit" reden, wenn man an die Defizite innerhalb der Euro-Zone denkt, und an die harten Sparpakete, die seitdem geschnürt wurden. Doch die Meinungsumfragen bestätigen, dass eine breite Mehrheit der Griechen den Euro behalten will.

Hinzu kommen die neuen Global Players wie China und Indien, gefolgt von Russland und Brasilien, die im Rahmen der Globalisierung ihre Position weiter verstärken wollen - in Konkurrenz zur gemeinsamen Handels- und Währungspolitik der EU. Somit verlieren alte Erklärungsmodelle wie "Nord-Süd-Gefälle", "Ost-West-Verhältnis" oder "rechte" und "linke" Politik ihren ursprünglichen analytischen Wert und Inhalt.

Verfassung für Europa

Ein starkes, gemeinsames Europa in einer globalen Konkurrenz der Wirtschaftsmächte braucht, abgesehen vom Euro, aber dringend die Stabilisierung in einer gemeinsamen Verfassung - worauf Jürgen Habermas schon öfter hingewiesen hat. Auch auf dem Weg zu einer einheitlichen Verteidigungs- und Außenpolitik gibt es noch Defizite. Und es ist wahrlich schade, wenn Europa von den Rating-Agenturen getadelt wird - wie ein Schüler, dessen enttäuschende Leistungen ins Klassenbuch eingetragen werden.

Doch woher holen diese Agenturen eigentlich ihre Legitimation - wenn man bedenkt, dass ein Richter im Namen des Volkes und der Verfassung sein Urteil fällt, und ein Schiedsrichter nach den Richtlinien der Uefa pfeift? Ausschließlich von den Finanzmärkten, die oft unabhängig von jeder nationalen und internationalen Arbeitsteilung rein spekulativ agieren und reagieren? "Alles dreht sich ums Geld", sagt man - aber dabei werden nicht selten Angebot und Nachfrage, Produzenten und Konsumenten, Bedürfnisse und Notwendigkeiten manipuliert.

Literarische Brückenbauer zwischen Deutschland und Griechenland

Ich kann mich noch gut an Hannah Arendt erinnern, die ich 1963 in Thessaloniki traf, als wir gemeinsam nach den Spuren der Vernichtung der jüdischen Gemeinde in der Stadt meiner Jugend suchten. An Peter Weiss, 1966 in Stockholm, der mich um Material über den griechischen Bürgerkrieg bat, für ein Theaterstück mit diesem Thema; sowie an Uwe Johnson, 1970 in West-Berlin, der gerade hart an seinem Roman "Jahrestage" und an dem Material aus der New York Times arbeitete, und mir die relevanten Passagen über den Putsch der Obristen auf seinen Buchseiten zeigte.

Und natürlich an Günter Grass im Jahr 1971, der mich einlud, an der Fernsehbearbeitung eines Einakters von Luigi Squarzina für das ZDF mitzuwirken. Ich erlebte ihn als DAAD-Stipendiat in meinen Exiljahren in West-Berlin, wo sich dank einer Einwanderungspolitik im innovativen Geist Willy Brandts ein Kreis griechischer Exilanten versammeln konnte. Dieser wichtige deutsche Romancier und Literaturnobelpreisträger hat mit seinem Gedicht "Europas Schande", veröffentlicht in dieser Zeitung, erneut eine Brücke des Philhellenismus nach Griechenland geschlagen, im Geist Friedrich Hölderlins.

Die Griechen und Griechinnen, die damals Zuflucht in Deutschland fanden, haben wesentlich zu einer beständigen griechisch-deutschen Freundschaft und Zusammenarbeit beigetragen, die ihre Wurzeln schon im 18. Jahrhundert hat - und in den deutschen Philhellenen, die das Land und seine Kultur immer wieder neu entdeckten.

Inszenierte Rivalität

Heute erleben wir leider eine Art "inszenierte" Rivalität, die auf die Strukturschwächen unseres Systems zurückzuführen ist - genauso wie auf das rigorose Sparprogramm, das von der "Troika" und von Deutschland vorangetrieben wird, und auf gegenseitiges Misstrauen. Können aber Wirtschaft und Politik die Kultur dominieren - und das gemeinsame Schicksal beider Nationen innerhalb Europas?

Eine gewisse Antwort steckt im Wahlausgang vom Sonntag. Einerseits besteht unter Umständen die Möglichkeit einer Koalitionsregierung, die in europäischer Perspektive handeln muss, andererseits stehen wir immer noch vor den Brecht'schen "Mühen der Gebirge". Wir müssen deshalb mit Pragmatismus, Optimismus, Konsequenz und konstruktivem Reformwillen in Richtung Wachstum die tiefste Krise des Landes meistern.

Das griechische Volk sollte weder den Finanzmärkten und Euro-Hardlinern als "Laborkaninchen" dienen, noch einem abenteuerlichen Linkspopulismus zum Opfer fallen. In diesen "finsteren Zeiten" braucht Griechenland europäische Solidarität - zugleich aber muss es sich mit Europa solidarisieren.

Übersetzung: Kostas Th. Kalfopoulos

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