Finanzen:Genug vom Sparen

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Neue Gefahren für den Etat: Die Populisten wollen 100 Milliarden Euro zusätzlich ausgeben. Dabei beträgt Italiens Schuldenquote bereits 131,5 Prozent.

Von Ulrike Sauer

Die beiden Wahlsieger sind sich in einem Punkt einig: Italien braucht eine expansive Finanzpolitik. Die Erhöhung der staatlichen Ausgaben soll einen Wachstumsschub auslösen und so Millionen Italienern die Hoffnung auf eine bessere Zukunft zurückgeben. Auch einen gemeinsamen Feind haben die populistischen Parteien Cinque Stelle und Lega gefunden: den Sparkurs der vergangenen Regierungen. Ein Feind, der zugleich ihr größter Helfer war. "Ohne die Austerität hätte ich es niemals in den Senat geschafft", sagte der Anti-Euro-Professor Alberto Bagnai zum ehemaligen Premier Mario Monti, der Italien mit den drakonischen Maßnahmen seiner Notregierung 2012 vor einer Staatspleite bewahrt hat. Der Lega-Abgeordnete bedankte sich dafür "aufrichtig" bei Monti.

Also sieht es nun danach aus, als bekäme Europa es mit einem Jo-Jo-Effekt in Italien zu tun. Die abgewählten Sozialdemokraten führten Italien in den vergangenen fünf Jahren aus der ärgsten Rezession und der schwersten Finanzkrise seiner Geschichte. Sie übergeben ein Land, in dem die Neuverschuldung 2017 auf 1,9 Prozent der Wirtschaftsleistung fiel und der Trend des Anstiegs der exorbitant hohen Schuldenquote nach zehn Jahren zumindest umgekehrt wurde. Auch dafür straften sie die Italiener vor einem Monat mit einem erniedrigenden Wahlergebnis ab. Nun beanspruchen Kräfte die Macht, die den frustrierten und verängstigten Menschen das Blaue vom Himmel versprechen. Sie haben im neuen Parlament eine klare Mehrheit. Die Frage steht im Raum: Droht Italien der Rückfall in die Finanzturbulenzen?

Wer mit wem am Ende das EU-Land regiert, wird sich wohl nicht so schnell entscheiden. In Brüssel schürt diese Ungewissheit Sorgen, aber mit Warnungen halten sich die europäischen Partner zurück. EU-Währungskommissar Pierre Moscovici verzichtete in der vergangenen Woche darauf, vor der Bildung einer neuen Regierung Druck auf Italien auszuüben. Er erinnerte die drittgrößte Volkswirtschaft der Union lediglich an ihre Verpflichtungen: "Um die hohen italienischen Schulden abzubauen, muss das Wachstum entschlossen angekurbelt und gleichzeitig eine verantwortungsbewusste Haushaltspolitik beibehalten werden." Adressiert waren die Worte an die Protestparteien Cinque Stelle und Lega, die in ihren Programmen das Defizit-Thema ignorieren. Sie wurden gewählt, um Geld zu verteilen und Vorgaben aus Brüssel zurückzuweisen. Addiert man ihre wichtigsten Versprechen, kommen unterm Strich im Jahr mindestens 100 Milliarden Euro Mehrausgaben heraus.

Doch wer künftig in Rom regiert, den wird rasch die Realität einholen. Noch vor dem Sommer soll ein Nachtragshaushalt mit 3,4 Milliarden Euro Budgetkorrekturen verabschiedet werden. Um ein EU-Strafverfahren zu vermeiden, muss Italien dann im Herbst einen Haushalt vorlegen, der die Neuverschuldung 2019 auf 0,9 Prozent der Wirtschaftskraft drückt. "Die Zeit der Talkshows ist für die Populisten abgelaufen", sagt der scheidende Industrieminister Carlo Calenda. In den vergangenen Jahren räumte die EU-Kommission den römischen Regierungen Flexibilität ein. Im Gegenzug zu den Reformen genehmigte Brüssel 30 Milliarden Euro neue Schulden. Warum sollte das nicht weiter so klappen? "Vorsicht! Nach dem Brexit hat die EU ihre Haltung gewandelt", sagt Calenda.

Großinvestor Blackrock rät den Kunden, sich von italienischen Staatsanleihen zu trennen

Europa wartet also ab, und die Finanzmärkte überraschen mit Gelassenheit. Vier Wochen nach dem Wahlschock hat es den Anschein, als wäre nichts geschehen. Der Risikoaufschlag für italienische Staatsanleihen liegt sogar etwas niedriger als vor dem 4. März. Nur der Großinvestor Blackrock rät seinen Kunden, sich von italienischen Staatsanleihen zu trennen.

Die Gefahr für Italien ist solange nicht gebannt, bis sich das Land nicht von der Bürde einer Schuldenquote von 131,5 Prozent befreit. Steigen nach dem Ende der ultralockeren Geldpolitik die Zinsen oder löst etwa ein Handelskrieg einen neuen Abschwung aus, droht das Land erneut in die Schuldenspirale getrieben zu werden. Anders als im Jahr 2011 kann man dann nicht mehr auf Rettung aus Frankfurt hoffen. Mario Draghi wird in anderthalb Jahren voraussichtlich von einem Nordeuropäer an der EZB-Spitze abgelöst. "Die Lage könnte dann heikel werden", sagt Carlo Cottarelli, ehemals Leiter der Abteilung für Finanzpolitik beim Internationalen Währungsfonds (IWF).

IWF-Chefin Christine Lagarde betrachtet die Situation in Rom heute äußerst entspannt. Den populistischen Versprechen der Wahlsieger misst sie keine große Bedeutung zu. "Die politischen Ideen wandeln sich, wenn jemand an die Regierung kommt und Entscheidungen für das eigene Land treffen muss", sagt die Französin. Die Macht schärfe eben die Einsicht in die Folgen der Finanzpolitik. "Dieser Realitätstest wirkt immer", sagt Lagarde. Sie habe es in vielen Ländern so beobachtet. In Italien denkt man schon länger an Athen. Dort lenkte der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras nach dem Wahlsieg prompt ein und stimmt seither sein Spar- und Reformprogramm mit der EU und dem IWF ab.

© SZ vom 03.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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