Finanzausgleich und Steuerfahndung:Ein System, das zum Nichtstun verleitet

Steuerfahnder sollten für die Bundesländer eigentlich eine lohnende Investition sein. Doch das Geld, das sie über Nachzahlungen hereinholen, fließt bei Geberländern in den Finanzausgleich. Und bei armen Ländern wird es verrechnet. Im reichen Bayern ist die Zahl der Finanzbeamten auffällig niedrig. Und Baden-Württemberg agiert gegen den Trend.

Roland Preuß

Vielleicht hilft es, sich dem sperrigen Thema mit einem Vergleich zu nähern: Nehmen wir an, eine Schulklasse darf Schokoladeneier suchen, im unwegsamen Gelände, unter Wurzeln und Dornengestrüpp. Jeder weiß, dass er sich für den süßen Lohn wohl die Hände aufreißen wird. Am Ende aber werden alle Eier zusammengesammelt - und jedes Kind erhält gleich viel Schokolade. Lohnt es sich da noch, unter die Dornenbüsche zu kriechen?

Die 16 Bundesländer sammeln Steuergeld ein, nicht Schokoeier, doch es gibt durchaus Parallelen. Denn die Mühen zu kontrollieren, ob Unternehmen und Bürger auch wirklich die Steuern zahlen, die das Gesetz vorschreibt, haben die Finanzämter - und die unterstehen den einzelnen Ländern. Das heißt, das Gehalt und die späteren Pensionszahlungen von Steuerfahndern und Betriebsprüfern lasten auf dem Landeshaushalt.

Eigentlich lohnen sich Steuerfahnder sehr: Sie holen im Vergleich zu ihren Einkommen ein Vielfaches an Geld herein. Doch die Steuernachzahlungen fließen bei den reichen Ländern in den Finanzausgleich ab - und zwar laut Steuergewerkschaft bis zu 90 Prozent. Es lohnt sich also kaum, das Geld einzutreiben.

Bei den Empfängern, den ärmeren Ländern ist es ähnlich: Nehmen sie bei Steuersündern zusätzliches Geld ein, so wird es beim Finanzausgleich abgezogen. Sie bekommen dann eben weniger. Für die Länderfinanzminister stellt sich deshalb rasch die Frage: Warum sollten wir unsere Bürger, die ja Wähler sind, mit Steuerprüfungen quälen? Und warum sollten wir unsere Unternehmen, die Arbeitsplätze bieten und um deren Investitionen wir im Wettbewerb mit den anderen Ländern werben, mit Kontrollen überziehen, wenn wir doch nichts davon haben?

Die Antwort auf diese Frage darf man sich nicht als plumpe Order eines Ministers vorstellen, Millionäre und Unternehmen zu schonen. "Ich habe niemals eine politische Weisung in diese Richtung erlebt", sagte ein langjähriger Steuerfahnder aus Baden-Württemberg, der namentlich nicht genannt werden will, der Süddeutschen Zeitung: "Man merkt das an der Ausstattung mit Personal und Technik." Jahrelang gab es für die Fahnder in seinem Amt gerade mal einen Internetanschluss, als diese in Privathaushalten längst üblich waren. Die Akten stapelten sich zimmerhoch, während gleichzeitig Personal abgebaut wurde. "Es ist ein System, das zur Passivität verleitet", sagt der Vorsitzende der Steuergewerkschaft, Thomas Eigenthaler.

Bundesweite Zahlen zu Steuerfahndern (für Privatpersonen) und Betriebsprüfern (für Firmen) werden von der Bundesregierung nicht veröffentlicht, obwohl die Daten existieren. Dank parlamentarischer Anfragen der Grünen in elf Bundesländern lässt sich mittlerweile dennoch ein guter Überblick gewinnen, mit welchem Langmut teilweise die Steuergesetze angewandt werden.

30 Steuerfahnder für eine Million Einwohner

Beispiel Bayern: Nach den neuesten verfügbaren Zahlen von 2009 prüften dort pro Einwohner weniger Finanzbeamte die Firmen als im bundesweiten Durchschnitt - obwohl es in Bayern vergleichsweise viele Unternehmen gibt. Auch andere Zahler im Finanzausgleich, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, kommen nur auf durchschnittliche Werte. Zudem bauten Bayern und Baden-Württemberg die Zahl der Betriebsprüfer zwischen 2005 und 2009 ab; im Südwesten musste fast jeder zwölfte Kontrolleur gehen.

Bei den Steuerfahndern ist das Bild ähnlich. Auch hier ist in Bayern und Baden-Württemberg - neben Brandenburg und Thüringen - die Gefahr am geringsten, beim Mogeln aufzufliegen, denn es gibt besonders wenige Ermittler. Nicht einmal 30 Leute sollen hier im Schnitt über eine Millionen Einwohner wachen, damit jeder seinen fairen Teil an die Gemeinschaftskasse abliefert. Bayern und Thüringen haben zwischen 2005 und 2009 die Zahl der Fahnder abgebaut. Der Steuerexperte der Grünen im Bundestag, Gerhard Schick, spricht von einem "gewollten Personalmangel" und einem "laxen Steuervollzug", mit dem die Länder Standortpolitik betrieben.

Was tun? Wer zusätzliche Fahnder einstelle, der müsse wenigstens die Personalkosten wieder herausbekommen, fordert Eigenthaler, der früher selbst ein Finanzamt in Baden-Württemberg geleitet hat. Die Kosten müssten abgezogen werden, bevor Mehreinnahmen im Finanzausgleich verschwänden. Umgekehrt sollten Länder, die ausgerechnet bei Steuerprüfern sparten, weniger Geld von den anderen Ländern erhalten.

Die neue grün-rote Regierung in Stuttgart will so lange nicht warten. Sie stellt in diesem Jahr 100 zusätzliche Finanzbeamte ein, die meisten Betriebsprüfer und Steuerfahnder, 400 weitere sollen bis 2016 folgen - trotz Finanzausgleichs, der das Land teuer kommt. Es sei eine Frage der Gerechtigkeit, Steuern gleichmäßig und vollständig zu erheben, sagt Landesfinanzminister Nils Schmid (SPD): "Steuersünder schützen - das ist vorbei."

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