Filmpremiere: "Isch kandidiere":Der neue Mister 18 Prozent

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Der Wahlkampf krampft, und Politiker sonnen sich im Glanz von Filmstar Horst Schlämmer. Doch die Wähler verwechseln die Parodie leicht mit der Realität.

M. König, Berlin

Mit der Prozentzahl 18 ist in Deutschlands Politik schon reichlich Schindluder getrieben worden. Guido Westerwelle klebte sie sich in seinen Spaßparteizeiten unter seine Schuhsohlen und an einen Bus. Im Wahlkampf 2002 reiste er fortan als "Mister 18 Prozent" durch Deutschland - und erreichte mit der FDP bei der Bundestagswahl doch nur 7,4 Prozent der Wählerstimmen. Der Begriff der "Spaßpartei" gilt seitdem als geächtet.

Horst Schlämmer alias Hape Kerkeling wird bei der Premiere seines Films "Isch kandidiere" in Berlin von Fotografen und Fans belagert. (Foto: Foto: dpa)

Sieben Jahre später aber scheinen die Leute nach Spaß in der deutschen Politik geradezu zu lechzen. Und diesmal läuft es für die neue Spaßpartei besser. Am Montagabend feierte die Horst-Schlämmer-Partei (HSP) eine Art Sonderparteitag im Berliner Sony-Center, der selbst die vermeintliche politische Konkurrenz anzog. Der Film mit Titelheld Schlämmer alias Hape Kerkeling ("Isch kandidiere") hatte Premiere.

Wäre die HSP zur Bundestagswahl am 27. September 2009 zugelassen, könnte sie nach jetzigem Stand glatt mit 18 Prozent der Wählerstimmen rechnen. Das hat nicht etwa das Satiremagazin Titanic ermittelt, sondern das Umfrageinstitut Forsa im Auftrag des Stern. Damit würde die Horst-Schlämmer-Partei besser abschneiden als die FDP, die Grünen und die Linkspartei. Und wäre auf Anhieb da, wo Westerwelle schon 2002 hin wollte.

"Der ist so ehrlich"

Schlämmer-Fans drängen sich vor dem Eingang zum Kino am Potsdamer Platz. Sie tragen T-Shirts in Parteifarben. Auf ihrem Weg zum Kino passieren sie eine Wahlkundgebung der SPD. Die Sozialdemokraten versuchen da in Einzelgesprächen, den voluminösen "Deutschland-Plan" ihres Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier für mehr Arbeitsplätze zu erklären. Den Schlämmer-Anhängern schenken sie Blicke, die ihren Ursprung irgendwo zwischen Neid und Verzweiflung haben dürften.

Einige der HSP-Fans haben weite Reisen auf sich genommen, um ihrem vermeintlichen Polit-Idol nah zu sein. Was ihnen an Schlämmer gefällt? "Der ist so ehrlich", sagt einer. "Der sagt, was er denkt", meint ein anderer. Oder es heißt: "Die anderen sind doch alle korrupt" und: "Lieber ihn als weiter die Merkel und ihre Politschmarotzer."

Vorurteile zählen hier mehr als Urteile, aber ihre Stimmen haben den Brustton der Überzeugung. Einer Berufspolitikerin wie Claudia Roth müsste deswegen angst und bange werden. Doch auch die Grünen-Bundesvorsitzende ist zur Premiere gekommen. Sie fordert Horst Schlämmer in einem Interview auf, sich stärker für die Frauen einzusetzen. Der Kanzler in spe ist ein Mann der Tat: Prompt zieht er seine "First Lady", Schauspielerin Alexandra Kamp, enger zu sich.

Der Inhalt des Films lässt sich in etwa so zusammenfassen: Horst Schlämmer, stellvertretender Chefredakteur des Grevenbroicher Tagblatts, will Kanzler werden. Er verspricht den Wählern Schönheitsoperationen auf Krankenschein. Auf der Partei-Website ist ein Blanko-Wahlprogramm zu finden, ein leeres Blatt Papier, versehen nur mit dem Spruch: "Wir sind flexibel! Sie sagen, wat Se woll'n und dann kriegen Se dat." Jede Wette, dass dieses Wahlprogramm öfter angeklickt wurde als jedes andere.

Im Schatten des Parodisten

Später erscheinen auch der Grünen-Bundesvorsitzende Cem Özdemir und Gregor Gysi (Die Linke) auf dem roten Teppich. Der Eindruck verfestigt sich: Wenn schon im Wahlkampf nichts geht, dann zumindest im Schatten des Parodisten. Aus der Spitzenriege von SPD und CDU lässt sich hingegen niemand blicken. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) hatte am Sonntag in der ARD-Fernsehsendung "Anne Will" geklagt, das Schlämmer-Entertainment gehe zu Lasten der Politik und schade dem Ansehen der Politiker.

Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) fügte an, dass viele Bürger, die über unfähige Politiker klagten, nicht einmal mehr eine Tageszeitung läsen oder die Fernsehnachrichten anschauten. So sei es kein Wunder, dass "ein falsches Bild von Politik" entstehe.

Was Horst Schlämmer dazu meint? Auf dem roten Teppich sagte er nur zwei Sätze: "Wir stehen bei 18 Prozent, da freu ich mich. Das ist genauso viel wie Alkohol im Dornkaat."

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