Festakt zum Tag der Deutschen Einheit:"Unser Land ist keine Insel"

Festakt zum Tag der Deutschen Einheit: Tag der Deutschen Einheit: Bundespräsident Joachim Gauck mit seiner Lebensgefährt Daniela Schadt in Stuttgart

Tag der Deutschen Einheit: Bundespräsident Joachim Gauck mit seiner Lebensgefährt Daniela Schadt in Stuttgart

(Foto: AFP)

Bundespräsident Gauck appelliert in seiner Festrede zum Tag der Deutschen Einheit an die nächste Bundesregierung: Deutschland müsse international mehr Verantwortung übernehmen. "Ich mag mir nicht vorstellen, dass Deutschland sich klein macht, um Risiken und Solidarität zu umgehen."

Der zentrale Festakt zum 23. Tag der Deutschen Einheit hat am Mittag in der Stuttgarter Liederhalle stattgefunden. Bundespräsident Joachim Gauck hat in seiner Festrede an die Überwindung der Ohnmacht in der DDR und den Freiheitswillen der Ostdeutschen erinnert. Für ihn selbst sei die Wiedervereinigung und der Weg dorthin die "beglückendste Zeit" gewesen, sagte der ehemalige Bürgerrechtler beim Festakt in Stuttgart. Auf die neue Regierung und den neuen Bundestag kämen drei große Herausforderungen zu: die neue Verantwortung Deutschlands in einer Welt voller Krisen und Umbrüche, die digitale Revolution und die Alterung der Gesellschaft.

Gauck ermutigte die nächste Bundesregierung, sich international stärker zu engagieren: "Unser Land ist keine Insel. Wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, wir könnten verschont bleiben von den politischen und ökonomischen, den ökologischen und militärischen Konflikten, wenn wir uns an deren Lösung nicht beteiligen." Zwar möge er sich nicht vorstellen, dass Deutschland sich groß mache und andere Länder bevormunde. "Ich mag mir aber genau so wenig vorstellen, dass Deutschland sich klein macht, um Risiken und Solidarität zu umgehen."

Der 73-Jährige warb außerdem für einen sorgsamen und aufgeklärten Umgang mit den neuen Kommunikationsmitteln in der digitalisierten Welt. Wie bei jeder Innovation gelte es, die "Ängste nicht übermächtig werden zu lassen, sondern als aufgeklärte Bürger zu handeln". "So sollte der Datenschutz für den Erhalt der Privatsphäre so wichtig werden wie Umweltschutz für den Erhalt der Lebensgrundlagen", forderte das Staatsoberhaupt unter Applaus der Gäste in der Stuttgarter Liederhalle.

Als "aufgeklärte und ermächtigte Bürger" müssten die Deutschen jetzt handeln. Gauck sagte, durch die Möglichkeiten des Internet und der mobilen Kommunikation befinde sich die Welt inmitten eines Epochenwechsels. Für dessen Gestaltung sei in Deutschland eine breite Debatte nötig. Es müssten politische und gesellschaftliche, ethische und praktische Lösungen gesucht werden. Es müsse überlegt werden, was der Staat im Geheimen mit Hilfe seiner Nachrichtendienste für den Schutz der Bürger tun dürfe. Es müsse aber auch überlegt werden, was er nicht tun dürfe, weil sonst die Freiheit der Sicherheit geopfert werde. Auch seien Regelungen für den Arbeitsmarkt nötig, um den allzeit verfügbaren Menschen nicht zum "digitalen Untertan" zu machen, sagte der Bundespräsident. "Wir brauchen also Gesetze, Konventionen und gesellschaftliche Verabredungen, die diesem epochalen Wandel Rechnung tragen."

Bundeskanzlerin Merkel: "Es bleibt einiges zu tun."

Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht auch mehr als 20 Jahre nach der Wiedervereinigung noch Defizite bei der Angleichung der Lebensverhältnisse in Deutschland. "Es bleibt einiges zu tun", sagte sie bei der zentralen Feier. Im Osten sei die Arbeitslosigkeit höher als im Westen und im Westen seien die Gehälter höher als im Osten. Merkel dankte allen, die sich für die Wiedervereinigung eingesetzt haben. Explizit nannte sie Bürgerrechtler in der früheren DDR.

Bundesratspräsident Winfried Kretschmann verlangte eine Stärkung des Föderalismus in Deutschland und Europa. Die Bundesländer müssten ausreichend finanzielle Mittel haben, damit sie ihre Aufgaben gut erfüllen können. "Das Thema Finanzbeziehungen steht bald unweigerlich auf der Tagesordnung", sagte Baden-Württembergs Regierungschef. Mit einer Reform des Länderfinanzausgleichs müsse dafür gesorgt werden, "dass Nehmerländer sich kräftigen und weiterentwickeln und Geberländer nicht dauerhaft überfordert werden".

Kretschmann warnte zudem vor zu viel Zentralismus in Europa. Im zusammenwachsenden Europa müsse mehr föderal gedacht werden. Die deutsche Einheit bezeichnete er als "historischen Glücksfall", der eingebettet sei in das Zusammenwachsen Europas. "Es war eine Sternstunde deutscher Geschichte", sagte der Grünen-Politiker.

Ein ökumenischer Gottesdienst hat den Festtag eröffnet

Eröffnet wurde der Festtag mit einem ökumenischen Gottesdienst in der Stuttgarter Stiftskirche vor etwa 1000 Gästen. Der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch sagte, die Kraft des Glaubens habe die friedliche Revolution in der ehemaligen DDR mitgeprägt. "Ja, wir dürfen vertrauen, dass das Gebet wirkt."

Der 3. Oktober mahne, "das Geschenk der Einheit nicht als etwas Selbstverständliches zu betrachten", betonte Zollitsch laut einer vorab verbreiteten Rede. Der Erzbischof, der als Kind aus Serbien nach Deutschland floh, forderte Unterstützung für Flüchtlinge. Solidarität sei aber auch im Umgang mit Pflegebedürftigen, bei der Bewahrung der Natur oder bei ehrenamtlicher Tätigkeit gefragt. Diese Werte stehen nach seinen Worten auch im Fokus der Europapolitik.

Auch der evangelische Landesbischof Frank Otfried July spannte einen Bogen zwischen der Deutschen Einheit und dem Schicksal von Flüchtlingen, die Unterschlupf in Deutschland suchen. Die Wiedervereinigung sei ein "Gottesgeschenk" für die Menschen, die sich Freiheit und echte Solidarität in einer friedlichen Revolution erstritten hätten. Die Wege zur Einheit hätten sich ohne Gewalt geöffnet. Er rief die Menschen dazu auf, mit der Kraft Gottes sich anderen Menschen zuzuwenden und für die einzutreten, die in anderen Ländern Gewalt und Unfreiheit erdulden.

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