Fernsehen:Die Nacht der Daten

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Deutsche TV-Sender informieren überwiegend sachlich, bisweilen langatmig. CNN versteht es, die Zahlen zu zelebrieren.

Von Martin Schneider, München

In einer Wahlnacht geht es um Zahlen, und die Kunst jeder TV-Übertragung ist es, die wichtigen Ergebnisse zu sehen und ihre Bedeutung zu erklären. Die Zwischenstände und Hochrechnungen sind der Kern jeder Wahlsendung, und wer in der Nacht, in der Donald Trump zum US-Präsident gewählt wurde, zwischen ARD, ZDF und dem amerikanischen Sender CNN wechselte, der sah, wie unterschiedlich man mit diesen Zahlen umgehen kann.

In Deutschland erklärten Jörg Schönenborn für die ARD und Christian Sievers für das ZDF die Ergebnisse vor einer großen US-Karte. Sievers kündigte neue Zahlen mit einer Glocke an, als riefe er die Kinder zu Tisch, aber beide Moderatoren erklärten die Datenflut seriös, unaufgeregt, vielleicht ein bisschen zu zaghaft. Erst als die Bundesstaaten Ohio und Florida an Donald Trump gingen, sagte Schönenborn: "Wir müssen uns mit einem möglichen Präsidenten Trump beschäftigen."

Bei CNN stand derweil John King vor der Karte und erklärte die Zahlen nicht, er zelebrierte sie. King, so schien es, hatte die demografischen Daten nicht nur jedes Bundesstaates, sondern jedes Wahlbezirkes im Kopf. Es kamen die Ergebnisse aus Michigan, 65 Prozent der Stimmen ausgezählt, Trump führt mit 200 000 Stimmen. Welche Bezirke werden noch ausgezählt? Welche Chance hat Clinton noch? Wie haben diese Bezirke in der Vergangenheit gewählt? King jonglierte die Zahlen und Prozente, er verlor nie den Überblick, holte den Zuschauer immer wieder ab und in seiner Stimme lag die ganze Emotion dieser für die USA so zukunftsweisenden Wahl. Die Zeitung USA Today nannte ihn am nächsten Tag einen "Zauberer".

ARD und ZDF entschieden sich für den üblichen Mix aus kurzer Zahlenpräsentation, langen Talkrunden und Korrespondenten-Interviews. Die ARD versuchte mit Sportmoderator Matthias Opdenhövel ein bisschen Schwung reinzubringen, das ZDF interviewte Youtuber, um die jungen Zuschauer abzuholen. Die deutschen Sender, auch das später eingestiegene RTL, informierten insgesamt gut, sachlich, zuweilen auch langatmig. John King zeigte, was noch möglich wäre.

© SZ vom 10.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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