Ferguson und die Folgen:Amerikas wütende Polizisten

Police officers stand together in silence outside the Christ Tabernacle Church as they listen to the funeral service for slain New York Police Department (NYPD) officer Rafael Ramos in the Queens borough of New York

Polizisten gedenken im Dezember 2014 in New York zweier Kollegen, die wohl aus Rache über Fälle von Polizeigewalt gegen Schwarze in einem Hinterhalt erschossen worden sind.

(Foto: REUTERS)

Seit mehr als einem Jahr debattieren die USA über Polizeigewalt. Egal ob Weiße, Schwarze oder Latinos: Zufrieden ist niemand. Cops wie Philip Anson fühlen sich stigmatisiert.

Von Matthias Kolb, Omaha

Philip Anson weiß genau, dass er ein Imageproblem hat. Anson ist Polizist in Omaha, Nebraska. "Ich liebe diesen Job", sagt der muskulöse 33-Jährige, als er um 18 Uhr in seinen Chevrolet-Dienstwagen steigt. Anson weiß, wieso ihn an diesem Frühlingsabend ein deutscher Reporter begleitet: Es liegt an Michael Brown, den in Ferguson ein Polizist tötete; an Eric Garner, der in New York von Cops gewürgt wurde oder an dem Schuljungen Tamir Rice, der in Cleveland mit einer Softairpistole spielte und erschossen wurde. Es sind drei jener Fälle, weshalb die USA seit mehr als einem Jahr ständig über ihre Polizei und deren Methoden reden.

Die Opfer hatten eines gemeinsam: Sie waren schwarz und trugen keine oder keine Gefahr darstellende Waffen bei sich. Die Beamten hingegen waren alle weiß. Auch Philip Anson ist weiß, doch ein Drittel der Bevölkerung von Omaha besteht aus Afroamerikanern und Latinos - und viele von ihnen haben nun Angst vor den police officers. "Unsere Arbeit ist schwieriger geworden, das Misstrauen ist definitiv gewachsen", sagt Anson. Von den Politikern in Washington fühlen sich viele Cops im Stich gelassen und vermissen solidarische Worte von US-Präsident Obama. Anson findet, dass auch die Medien voreingenommen gegenüber der Polizei seien - und viel zu schnell urteilen würden. Die alltäglichen Gefahren würden nur selten beschrieben.

An diesem Polizisten-Alltag nehme ich nun teil: Wir entfernen eine Holzplatte von der Straße, die den Verkehr behindert. Für einen Hausbesitzer, dessen Wand nachts von drei Kugeln durchbohrt wurde, fertigt Anson ein Protokoll an. In der Dämmerung fahnden wir nach zwei vermissten Mädchen. Als ein Kollege durchgibt, die Ausreißerinnen entdeckt zu haben, seufzt Anson auf: Die Mädchen sind in Sicherheit und die Cops müssen nicht die ganze Nacht lang suchen.

Über den Bildschirm, der auf der Mittelkonsole des Polizeiautos angebracht ist, laufen ständig neue Meldungen ein. Philip Anson fährt in ein Schwarzen-Viertel: Eine Frau hat die Polizei angerufen, weil ihr Schwiegersohn drohe, die Tochter umzubringen. Neben der Adresse nennt der Monitor Kürzel wie "BM" oder "No WDD". Es gehe um einen schwarzen Mann ("Black Male"), der keine Waffe besitze und nicht unter Alkohol- oder Drogeneinfluss stehe ("No Weapon, Drugs, Drinking").

Ferguson und die Folgen: Per Computer erhalten Polizisten alle nötigen Informationen aus der Zentrale.

Per Computer erhalten Polizisten alle nötigen Informationen aus der Zentrale.

(Foto: Matthias Kolb)

Morddrohungen gegen die untreue Frau

Vor dem Haus wartet ein Polizeiwagen: Für einen solchen Einsatz werden zwei Beamte benötigt. "Do you want to join?", fragt Anson und so folge ich ihm. Es ist ein Familienstreit: Die abwesende Ehefrau betrügt ihren Mann. Er habe wütend angekündigt, die untreue Frau töten zu wollen. "Er ist ein guter Kerl und meine Schwester hintergeht ihn wirklich", sagt dessen Schwägerin, aber sie sei eben besorgt. Die Polizisten überzeugen den doch ziemlich betrunkenen Mann, seinen Rausch woanders auszuschlafen. Während er ins Auto seiner Schwiegermutter steigt, dankt ihr Anson: "Rufen Sie uns sofort an, wenn es wieder Probleme gibt, Madam."

Ruhig, höflich, bestimmt: Die Beamten haben sich vorbildlich verhalten. Im Auto sagt Anson: "In diesen Situationen bin ich immer angespannt, weil ich nie weiß, ob nicht doch eine Waffe im Haus ist oder die Beschreibung korrekt ist. Jede Sekunde kann die Lage kippen." Anson spricht es nicht aus, aber die Botschaft ist klar: Diese Art von Stress im Alltag kennt ihr Normalbürger nicht.

Bevor er sich freiwillig beim Omaha Police Department gemeldet hat, sang Anson in der Metal-Band "Venaculas" und hoffte in Los Angeles auf einen Plattenvertrag. Heute erinnert noch sein glatt rasierter Schädel an diese Vergangenheit - wegen derer er sechs Stunden lang Lügendetektor-Fragen beantworten musste. "Die Vorgesetzten konnten nicht glauben, dass ich nie Drogen genommen hatte", lacht der 33-Jährige. Zur Polizeiakademie ging er 16 Wochen, dann begleitete er drei Monate einen erfahrenen Kollegen - und fährt nun seit sechs Jahren selbst Streife. Nicht nur weil auch in Omaha diverse Gangs aktiv sind, ist seine Arbeit gefährlich: "Es sind zu viele Waffen im Umlauf, das wird immer schlimmer."

Eine andere Waffe besitzen heutzutage fast alle Bürger: ihre Smartphones mit Kameras. Ständig würden er und seine Kollegen im Einsatz gefilmt, berichtet Philip Anson. Er filme mittlerweile zurück: "Neulich haben wir auf dem Walmart-Parkplatz einen Kreditkartenbetrüger verhaftet. Der hat rumgeschrien und uns provoziert. Ich habe mein iPhone gezückt, da hat er schnell aufgehört." Gegen Körperkameras, deren Einsatz seit Ferguson so oft diskutiert wird, hat Anson nichts. Im Gegenteil: Er wünscht sich eine solche Kamera sogar, da dies alle Beteiligten absichern würde.

Wie Smartphones alles verändert haben

Seit Mitte der achtziger Jahre beschäftigt sich David Harris mit Polizeigewalt. Er arbeitete damals als Pflichtverteidiger in Washington D.C. und sah, wie die Polizei während der Crack-Epidemie mit großer Härte gegen Schwarze vorging. Mittlerweile lehrt Harris an der University of Pittsburgh und gilt als einer der besten Polizei-Experten der USA. Der Einfluss der Handy-Videos könne gar nicht überschätzt werden, sagt er: "Jahrzehntelang konnten die Cops den Narrativ eines Vorfalls kontrollieren. Das ist nun vorbei und hat der Glaubwürdigkeit der Polizei geschadet."

Gerade die Videos, die den Umgang der Polizisten mit Eric Garner in New York, Walter Scott in North Charleston und Sarah Bland in Texas dokumentierten, legten auf schmerzhafte Weise offen, dass einzelne Beamte die Wahrheit verdrehten. Die Beschreibungen in ihren Berichten lasen sich ähnlich: "Ich wurde angegriffen, ich fürchtete um mein Leben und deswegen musste ich zur Waffe greifen." Ein Cop, der so argumentiert, hat nach den Urteilen des Supreme Courts nichts zu befürchten.

"Mehr Augen und Ohren" - was Experten empfehlen

David Harris, der Polizeiexperte, zeigt sich beim Interview in Pittsburgh vorsichtig optimistisch. Er findet es ermutigend, dass US-Präsident Barack Obama nun deutlicher Stellung bezieht und offen über "systemisches Versagen" im Verhältnis zwischen Polizei und Bürgern spricht. Harris arbeitet mit der örtlichen Polizei gerade an Regeln für den Einsatz von Körperkameras. Bisher gibt es noch nicht allzu viele Studien, doch die ersten Ergebnisse sind laut Harris positiv: So habe im kalifornischen Rialto nach dem Einsatz von body cameras die Zahl der Beschwerden um knapp 90 Prozent abgenommen.

"Vieles spricht dafür, dass sich nach dem Einsatz dieser Kameras beide Seiten besser benehmen", sagt Harris. Allerdings warnt er vor zu große Erwartungen: Die Obama-Regierung habe zwar 75 Millionen Dollar für den Erwerb von Körperkameras bereitgestellt, doch Washington könne den lokalen Polizeipräsidien nichts vorschreiben. Hier seien auch die Bürger gefragt, dies einzufordern.

Oft nennt Harris zwei scheinbar simple und billige Dinge, die Polizeiarbeit in den USA verändern könnten: Die Beamten müssten die Vergangenheit ihrer Institution kennen. "Die Geschichte der Polizei geht auf die slave patrols zurück, die in Zeiten der Sklaverei Jagd auf Leibeigene machen durften", sagt Harris. Während der Bürgerrechtsbewegung waren es Polizisten, die Schwarze aus Lokalen vertrieben - oder Polizeihunde auf Afroamerikaner hetzten, die für Gleichberechtigung demonstrierten. Harris macht es wütend, dass in Ferguson bellende Polizeihunde eingesetzt wurden: "Dies löst die alten Emotionen aus und festigt Misstrauen."

Die Polizisten müssten sich eingestehen, dass gerade viele Schwarze seit Jahrzehnten Angst vor ihnen hätten und diese Vorbehalte nicht verschwunden seien. Dass ausgerechnet FBI-Chef James Comey offen an diese dunkle Vergangenheit der Sicherheitsbehörden in einer Rede erinnert hat, stimmt Harris positiv.

Wieso Polizisten ihre Autos möglichst oft verlassen sollten

Nur so lasse sich Vertrauen zwischen Bürgern und Beamten aufbauen, sagt Harris: "Jeder Polizist muss wissen, mit wem im Viertel er reden kann. Nur so erfährt er, wo Probleme entstehen könnte." Um Korruption zu bekämpfen, wurde in den siebziger Jahren begonnen, Beamte nicht mehr in ihrer Nachbarschaft einzusetzen (Details hier). Dies hält auch Harris für einen Fehler: "Die Beamten sollten so oft wie möglich ihre Autos verlassen und mit den Menschen sprechen."

Im Nordwesten von Omaha verfolgt Shayna Ray, die Chefin von Polizist Philip Anson, eine ähnliche Philosophie. "Wir brauchen mehr Augen und Ohren auf den Straßen", sagt Captain Ray. Sie besucht Schulen, Stadtteil-Feste und viele andere Veranstaltungen, um möglichst viele Kontakte aufzubauen. Als "Freund und Helfer", so will sich Omahas Polizei präsentieren.

Ein Mal pro Monat trifft sich Ray mit einer Gruppe von Bürgern, die sowohl als Ansprechpartner als auch als Sensoren dienen sollen. "Wir hoffen sehr, dass bei uns kein solches Unglück wie in Ferguson passiert", sagt einer von ihnen. Eine Garantie, dass eventuelle Proteste nicht in Gewalt münden, gebe es natürlich nicht. Aber schaden wird das bürgernahe Auftreten der Polizei in Omaha sicherlich nicht.

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