Stuttgart:Feinstaub-Alarm: Ausgerechnet in der Stadt der Grünen

Demonstration gegen Feinstaubbelastung

Protest anlässlich des Feinstaub-Alarms am Montag in Stuttgart. Mitte März wählt Baden-Württemberg einen neuen Landtag.

(Foto: dpa)

Der Oberbürgermeister ist in der Öko-Partei, der Ministerpräsident auch - doch die Stuttgarter Luft ist Deutschlands dreckigste. Kurz vor den Wahlen ist das ein Politikum.

Kommentar von Josef Kelnberger

Die Grünen in Baden-Württemberg sind für den Rest der Republik ein in mancher Hinsicht merkwürdiges Phänomen. Im Stuttgarter Rathaus regiert ein Grüner als Oberbürgermeister, auch im Verkehrsministerium gleich nebenan sitzt ein grüner Chef, und hoch über der Stadt thront ein Grüner als Ministerpräsident. Aber wenn es um die Frage geht, wo in Deutschland die Luft am dreckigsten ist, lautet auch nach Jahren grüner Regentschaft noch die Antwort: Stuttgart. Nirgendwo sonst liegt so viel Feinstaub in der Luft wie im Stuttgarter Kessel, mit allen bekannten Gefahren für Herz, Kreislauf, Lunge der Einwohner. War der Umweltschutz, mag man sich fragen, nicht irgendwie mal eine grüne Domäne?

Nun haben sie immerhin "Feinstaub-Alarm" ausgelöst, als erste Stadt überhaupt in Deutschland greift Stuttgart zu diesem Mittel. Die Leute sollen das Auto stehen lassen, Fahrgemeinschaften bilden, auf Bus und Bahn oder Rad umsteigen. Doch, wieder so eine grüne Merkwürdigkeit, niemand muss mit Strafen rechnen. Der Alarm wird zwei Jahre lang nichts anderes sein als ein freundlicher Appell. Oder, wie Verkehrsminister Hermann sich ausdrückt: ein Test, wie einsichtig der Mensch ist. Demnach handelt es sich um einen Menschenversuch am deutschen Autofahrer. Und das Ergebnis könnte wegweisend sein für ganz Deutschland.

Nach den ersten Eindrücken zu urteilen handelt der Autofahrer erwartungsgemäß rational. Er begrüßt es ausdrücklich, wenn die anderen ihren Wagen stehen lassen und damit die Schadstoffwerte senken - steigt aber selbst ins Auto und freut sich auf weniger Staus auf dem Weg zur Arbeit. Weil aber kaum jemand der Dumme sein will, der sich für die anderen opfert, fahren fast genauso viele Autos wie zuvor.

Die Grünen wollen jetzt bloß nicht als Verbotspartei auftreten

In Stuttgart, der Stadt von Daimler und Porsche, ist zudem in manchen Milieus immer noch offene Obstruktion zu erleben. Jeder Plan von OB Kuhn für einen Fußgängerweg oder für ein Tempolimit wächst sich zum Kulturkampf aus. Von diesen Grünen lasse man sich nichts verbieten, heißt es. Man gibt Gas mit grimmigem Spaß.

Ja, die Grünen gelten in Baden-Württemberg manchen noch als Verbotspartei. Und es wäre tatsächlich politischer Selbstmord, acht Wochen vor der Landtagswahl Bürgerinnen und Bürger aus dem Verkehr zu ziehen. Falls die Appelle nichts fruchten, wird es erst von 2018 an Fahrverbote geben, in welcher Form auch immer.

Nun hätten Stadt und Land schon viel früher zu radikalen Maßnahmen greifen können, die Stuttgarter Feinstaubwerte bewegen sich seit Jahren in gesundheitsgefährdender Höhe. Doch wenn es um die Macht geht, sind die Südwest-Grünen relativ schmerzfrei. Nun endlich scheinen sie diese Botschaft für mehrheitsfähig zu halten: Ein Land, das vom und mit dem Auto lebt, muss vorangehen in der Entwicklung schadstoffarmer Autos. Andernfalls droht wirtschaftlicher Schaden.

Effizienter wäre eine Citymaut, aber die Grünen trauen sich nicht

Das ist der tiefere Sinn des freundlichen Alarms, und der Zeitpunkt ist nicht schlecht gewählt. Die Europäische Union hat der Bundesregierung mit massiven Strafzahlungen gedroht, sollten die Feinstaubwerte nicht sinken. Der VW-Skandal um gefälschte Abgaswerte hat allen vor Augen geführt, dass die Politik Grenzen setzen und den Autobauern den Weg weisen muss. Die angekündigten Fahrverbote sind wohl unausweichlich, aber sie liegen weit genug in der Zukunft, um die grünen Wahlchancen nicht zu gefährden.

In Wahrheit wäre Stuttgart, diese von Feinstaub und Staus geplagte Stadt im Kessel, der geeignete Ort für ein viel radikaleres Pilotprojekt: eine Citymaut, um Geld einzutreiben für den massiven Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs. Aber dieses Wort nehmen die Grünen nicht einmal mehr in den Mund.

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