Bundesparteitag der FDP:"An der Basis ist eine Revolte im Gange"

FDP-Chef Rösler will seine Partei erneuern, doch es regt sich Widerstand gegen seine Personalpolitik. Vor allem der Nachwuchs will "denen da oben" einen Denkzettel verpassen. Ein Stimmungsbild von der Münchner Basis.

Michael König

Die Silbe "neu" hat es Philipp Rösler angetan, aber was er damit meint, ist nicht ganz sicher. Als im April klar war, dass er Guido Westerwelle als FDP-Chef beerben würde, hatte Rösler eine "Erneuerung" versprochen. Am Mittwoch gab er das Signal zum "Neustart".

FDP-Bundesparteitag - Vorbereitungen

Auf ihrem Bundesparteitag in Rostock will die FDP ihre Führungskrise beenden. Doch in der Partei brodelt es.

(Foto: dpa)

Wer steht für die "neue" FDP? Das harsch kritisierte Führungspersonal ist noch da, wenn auch in neuen Rollen. Rösler wird Wirtschaftsminister, während Rainer Brüderle nun der Bundestagsfraktion vorsteht. Er beerbt Birgit Homburger, die als Entschädigung Erste Stellvertreterin des Parteichefs werden soll. Röslers alten Job im Gesundheitsministerium bekommt Daniel Bahr. Und Noch-Parteichef Guido Westerwelle darf Außenminister bleiben.

Die etwa 68.000 Mitglieder der FDP hat niemand gefragt, ob sie den Rochaden zustimmen. Dabei sind sie es, die sich in den Wahlkämpfen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz an Infoständen beschimpfen lassen mussten. Sie werden seit Wochen mit Häme bedacht, weil ihre Partei in Umfragen unter der Fünfprozenthürde verharrt - und etwa 20 Punkte hinter den Grünen.

Wie halten die das aus? Sind sie wütend? Droht der Parteispitze eine Ohrfeige in Rostock? Das liberale Fußvolk steht vor einem Zwiespalt: Wird der Unmut lautstark artikuliert, verfestigt sich das schlechte Image und Journalisten schreiben über die tief zerstrittene Partei. Nicken sie jedoch alles ab, könnte die von vielen als überfällig empfundene Neuausrichtung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden.

Unser Autor hat sich bei der Münchner FDP umgehört. Ein Besuch an der Basis - in drei Episoden.

Gelber Fisch im Hinterhof - zu Gast in der Landesgeschäftsstelle

Wer zur FDP will, folgt der Beschilderung "Antiquariat". Dann scharf rechts abbiegen, die Treppe hoch, vorbei am Büro der Fluggesellschaft Air China. Im dritten Stock hängt ein Plakat: "Zeit für Verantwortung - FDP". Die Klingel ist schrill, aber es dauert trotzdem, bis jemand öffnet. Im Flur stapelt sich kistenweise Werbematerial, der Weg ist ein Hindernisparcours. "Sorry, Parteitag", sagt die Mitarbeiterin.

Es ist Anfang April, bis zum Parteitag sind es noch vier Wochen. Ob schon ein neuer Geist in die Räume am Rindermarkt eingezogen ist? Die Mitarbeiterin ist zuvorkommend, fürsorglich, sie geht ein Wasser holen. Mit Sprudel. Ihre Kollegin echauffiert sich am Telefon darüber, dass jemand ein Stöckchen hingehalten habe, und sie, die FDP, springe nun drüber.

"Einer muss es ja tun"

Kurz zuvor hatte CSU-Chef Horst Seehofer in der Süddeutschen Zeitung geklagt, es bestehe "Infektionsgefahr" für seine Partei, wegen der Schwäche der Liberalen. Die Generalsekretärin der bayerischen FDP, Miriam Gruß, nannte das eine "Frechheit". Denn eigentlich sind CSU und FDP Koalitionspartner, in Bayern und auf Bundesebene.

FDP Antragskarten

Mitgliedsantrag der FDP: Ein lächelnder gelber Fisch in der Mitte.

Das Telefon klingelt schon wieder. Es seien derzeit viele Bürger dran, sagt die Frau und macht ein besorgtes Gesicht. Viele seien missmutig. Wegen Seehofer, aber auch wegen der Gesamtlage. Man traut sich nicht, weiter nachzufragen.

Drei Broschüren und ein Angebot

Stattdessen geht es an den Tisch, zum Infomaterial: die "Wiesbadener Grundsätze für die liberale Bürgergesellschaft", mit einem Vorwort von Guido Westerwelle. Die Parteizeitung Liberale Depesche mit einem Editorial von Birgit Homburger. Ein Angebot für eine achttägige Rundreise durch die Türkei, mit begrenzten Hotelbetten. Und der Newsletter der Münchner FDP mit vielen Terminhinweisen, für den Vormonat.

Aktuelles Material habe sie gerade nicht da, sagt die Dame. Das komme aber sicher bald. Ob es neu gedruckt werden muss, wegen der inhaltlichen und strukturellen Erneuerung? Die Frau runzelt die Stirn: Nein, das betreffe nur die Bundespartei.

Auch ein Mitgliedsantrag liegt auf dem Tisch, in Form einer Postkarte. Auf der Vorderseite sind viele rote und schwarze Fische zu sehen, die in eine Richtung schwimmen. In der Mitte ist ein einsamer gelber Fisch zu sehen. Er hat einen Zahn mehr als alle anderen, er lächelt. Und er schwimmt in die Gegenrichtung. Unter dem gelben Fisch steht der Satz: "Einer muss es ja tun."

Freie Radikale - am Stammtisch der Münchner Julis

FDP Antragskarten

Mitgliedsantrag der Julis: Ein Taubenschwarm, der in alle Richtungen auseinanderstiebt.

Noch etwa zwei Wochen bis zum Stabwechsel von Guido Westerwelle auf Philipp Rösler. Im noblen Stadtteil Lehel treffen sich die Münchner Jungliberalen zum Stammtisch. Es gibt Schnitzel, Salat und Bier. Politik eigentlich nicht. "Dafür haben wir programmatische Abende", sagt Robert Klein. Er ist seit Januar der Vorsitzende der Münchner Jungliberalen. Und entspricht keinem der gängigen Klischees.

Klein trägt kein Hemd, sondern ein schwarzes T-Shirt. In seinen Haaren findet sich kein Fitzelchen Gel. Das Auffälligste an dem 27 Jahre alten Politikstudenten ist seine silberne Uhr. Man sieht sie, weil Klein sich mit der Hand an sein Kinn fasst, wenn er nachdenkt. Das macht er häufig. Spürt er eine Aufbruchsstimmung, jetzt, wo Rösler übernimmt? "Ja, das schon", sagt Klein. Man sieht jetzt wieder die Uhr. "Aber sie hat nicht lange angehalten." Mit der Entscheidung, Westerwelle und Brüderle in Spitzenpositionen zu behalten, habe man den Aufbruch gewissermaßen "abgehackt".

Die mauen Umfragewerte wunderten ihn nicht, sagt Klein: "Aus Berlin kommt gar nichts." Die Senkung des Mehrwertsteuersatzes für Hotelübernachtungen, der Verzicht auf das Finanzministerium, das Festhalten am Mantra der Steuersenkungen - Klein hat keine Mühe, die Fehler der Bundestagsfraktion seit dem historischen Wahlsieg vom 27. September 2009 aufzuzählen. Die Erfolge, etwa die Ablehnung der Vorratsdatenspeicherung, würden davon vollständig überdeckt. "Wenn jemand weiß, wie tief man fallen kann, dann wir", sagt Klein.

"Eindimensional und nur auf die Union fixiert"

Für einen Jungliberalen sind das moderate Töne. Die Julis sind unabhängiger von der Mutterpartei als andere Nachwuchsorganisationen, das nutzen sie aus. Viele erwachsene Liberale halten sie für freie Radikale - spätestens, seit sie Anfang der neunziger Jahre die Legalisierung von Cannabis forderten. Die Juli-Chefs machten diesem Ruf häufig alle Ehre - und anschließend Karriere. Guido Westerwelle, Birgit Homburger und der neue Gesundheitsminister Daniel Bahr standen einst an der Spitze der Organisation.

Der aktuelle Vorsitzende heißt Lasse Becker. Kürzlich hat er die Riege der stellvertretenden FDP-Vorsitzenden als "Vollversager" bezeichnet. Auch Brüderle durfte sich angesprochen fühlen. Beckers Vorgänger, der Bundestagsabgeordnete Johannes Vogel, forderte Rösler auf, mit der bisherigen "eindimensionalen und nur auf die Union fixierten Politik" aufzuhören.

"Da kommt noch was"

Aus den Reihen der Jungliberalen droht Rösler in Rostock die größte Gefahr. "Da kommt noch was", sagt einer aus der Juli-Spitze. Vor allem die Beförderung Homburgers auf einen der Stellvertreterposten sei "noch lange nicht durch. Ein Parteitag ist kein Abnickgremium."

Das Selbstbewusstsein ist groß. Während die FDP zuletzt kräftig Mitglieder verloren hat - im vergangenen Jahr traten 3500 aus -, ist die Lage beim Nachwuchs stabil. Seit März 2010 liegt die Zahl konstant bei etwa 11.100 Mitgliedern, mit leichter Tendenz nach oben. In München ist das gut zu sehen.

Drei neue Mitglieder sitzen am Stammtisch im Lehel, Maximilian ist einer von ihnen. "Die letzten eineinhalb Jahre waren ein Desaster", sagt er. Er war früher schon einmal bei den Julis, jetzt ist er wieder da. Der 30 Jahre alte Doktorand fühlt sich der liberalen Idee verbunden und es ärgert ihn, was die FDP daraus gemacht hat. "Sie muss weg von dem Steuersenkungs-Schmalspur-Image", sagt Maximilian. "Sie muss aufpassen, dass sie sich nicht vollständig marginalisiert."

Vor ihm liegt ein Mitgliedsantrag der Julis. Maximilian trägt seinen Namen und seine Adresse ein. Bei der Frage, ob er auch Mitglied der FDP werden möchte, kreuzt er "Nein" an. Dann klappt er das Papier zu. Auf der Vorderseite ist ein Taubenschwarm zu sehen, der in alle Richtungen auseinanderstiebt. Mitten drin steht ein Slogan: "Ich bin so frei."

Der Klartextredner - eine Abrechnung beim Milchkaffee

Albert Duin hatte am Morgen schon Kontakt mit der Parteispitze. Es sind noch drei Tage bis zum Parteitag. Generalsekretär Christian Lindner hat ihm versprochen, die Redezeit länger zu bemessen als üblich. Duin wird das nutzen. Er will in Rostock aus dem Stegreif reden, nur Stichpunkte hat er sich notiert. "Ich bin immer auf Krawall gebürstet", sagt Duin. "Ich bin ein unkomplizierter Mensch. Ich sage es, wie es ist."

Duin ist Vizechef der Münchner FDP und für die Betreuung von Neumitgliedern zuständig. Klare Worte sind sein Markenzeichen - deshalb ist er nicht nur bei den Julis beliebt.

"Vereinzelt wirklich gute Leute da oben"

Der 57 Jahre alte Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens sitzt in einem Pasinger Café, die dunkelgrauen Haare zurückgekämmt, die Sonnenbrille liegt auf dem Tisch. Im Hintergrund schütten gelbe Bagger auf einer Baustelle ein großes Loch zu. Duin bestellt einen doppelten Espresso macchiato, bevor er über die anderen redet. Über jene, die nicht so ticken wie er. "Ich bin keiner, der in die Politik gegangen ist, um sich wichtig zu machen."

Duin kritisiert führende Liberale in Bundespartei und Bundestagsfraktion, aber er nennt keine Namen. Das erlaubt ihm, umso deutlicher zu werden. "Wir haben vereinzelt wirklich gute Leute da oben", sagt er. "Aber viele sind noch in der Lernphase. Und viele kommen nicht darüber hinaus." Es sei "die Aufgabe der Basis, ihnen klarzumachen, dass ihre Zeit irgendwann abläuft".

Ein Lächeln, bittersüß

Zwischendurch lächelt Duin bittersüß. Es klingt nicht böse oder wütend, sondern beinahe belustigt, wenn er Sätze sagt wie: "An der Basis ist eine Revolte im Gange." Oder: "Die neue Führung wird nur Erfolg haben, wenn sie auf die Wünsche von unten hört." Oder: "Wir haben Steuersenkungen gefordert, dazu stehen wir. Das Mindeste, was der Bürger jetzt von uns erwarten kann, sind Steuervereinfachungen."

Das alles wird Duin seiner Partei in Rostock sagen, so oder so ähnlich. Er sagt, er sei schon seit zehn Jahren Liberaler im Geiste. Vor vier Jahren unterzeichnete er einen Mitgliedsantrag. Wenn man ihn fragt, welchen Werbeslogan er heute für das Formular aussuchen würde, sagt er: "Wir sind viel besser als unser Ruf."

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