Verfassungsmäßigkeit des Betreuungsgeldes:FDP zweifelt, Hamburg klagt

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Neuer Streit ums Betreuungsgeld: Trotz Kabinettsbeschlusses mehren sich die Stimmen, die die umstrittene familienpolitische Leistung für verfassungswidrig halten. Die führende FDP-Familienpolitikerin Sibylle Laurischk sagte der SZ, sie halte die Länder für zuständig. Auch Hamburgs Erster Bürgermeister Scholz bezweifelt die Rechtmäßigkeit. Der Sozialdemokrat prüft eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht.

Robert Roßmann, Berlin

Das Betreuungsgeld ist bereits seit Monaten wegen seiner familienpolitischen Folgen in der Kritik - nun mehren sich auch die Stimmen, die es für verfassungswidrig halten. Am Donnerstag meldete sich erstmals eine relevante Vertreterin des Regierungslagers zu Wort: Die Vorsitzende des im Bundestag zuständigen Familienausschusses, Sibylle Laurischk, sagte der Süddeutschen Zeitung, sie "bezweifle die Verfassungsmäßigkeit des Betreuungsgeldes". Ihrer Ansicht nach falle es "in die Zuständigkeit der Länder".

Ist das Betreuungsgeld für das Herstellen gleichwertiger Lebensverhältnisse erforderlich? Die Vorsitzende des im Bundestag zuständigen Familienausschusses, Sibylle Laurischk, und der Hamburger Senat bezweifeln das. (Foto: dapd)

Diese Frage müsse deshalb "bei der Anhörung über den Gesetzentwurf im Bundestag überprüft werden". In jedem Fall sei es aber besser, auf das Betreuungsgeld ganz zu verzichten, sagte die FDP-Abgeordnete. Die dafür vorgesehenen Milliarden "sollten besser in die Qualifizierung der Erzieher, in die Verkleinerung der Gruppengrößen in den Krippen sowie in die Sprachförderung für die Kinder investiert werden".

Auch Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) bezweifelte am Donnerstag die Rechtmäßigkeit des Gesetzgebungsverfahrens. Er habe seine "Justizbehörde beauftragt, die Angelegenheit zu prüfen" und nach der Verabschiedung des Betreuungsgeldes eine Klage vorzubereiten, sagte Scholz der SZ. Dabei wird es sich wahrscheinlich um ein abstraktes Normenkontrollverfahren beim Bundesverfassungsgericht handeln.

Einig sind sich die Bundesregierung und ihre Kritiker, dass das Betreuungsgeld unter die konkurrierende Gesetzgebung fällt. Grundsätzlich darf der Bund hier tätig werden. Allerdings sieht das Grundgesetz in Artikel 72 Absatz 2 Ausnahmen von dieser Regel vor: In zehn Politikbereichen darf der Bund nur dann Gesetze erlassen, wenn "die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet ... eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht". Zu diesen Ausnahmen gehört beispielsweise das Aufenthalts- und das Lebensmittelrecht, aber auch die "öffentliche Fürsorge", unter die das Betreuungsgeld fällt.

Laurischk und der Hamburger Senat bezweifeln nun, dass das Betreuungsgeld für das Herstellen gleichwertiger Lebensverhältnisse erforderlich ist. Bürgermeister Scholz sagte, er halte es deshalb für "sehr wahrscheinlich, dass der Bund für das Betreuungsgeld keine Gesetzgebungskompetenz hat". Dabei verweist Hamburg auch auf Kommentare zum Grundgesetz.

Dort heißt es zu den Voraussetzungen für ein Eingreifen des Bundes: "Eine Vielfalt oder ein Fehlen landesrechtlicher Regelungen müsste gewichtige Nachteile mit sich bringen, die nur durch eine übergeordnete Regelung abgewendet werden können." Nach Ansicht Hamburgs ist das beim Betreuungsgeld nicht der Fall.

Neben Hamburg erwägt auch die SPD eine Klage. Dabei geht es zusätzlich um die Frage, ob das Betreuungsgeld vom Bundesrat gebilligt werden muss. Dort haben Union und FDP keine Mehrheit mehr. Die stellvertretende SPD-Chefin Manuela Schwesig sagte, sobald der Gesetzentwurf im Bundestag sei, "werden wir prüfen, ob er zustimmungspflichtig ist". Falls dem so sei, werde die SPD "das Betreuungsgeld stoppen".

Regierung weist Bedenken zurück

Die Bundesregierung wies die Bedenken am Donnerstag als unbegründet zurück. Eine Sprecherin des Justizministeriums sagte auf Nachfrage, ihr Haus habe den vom Kabinett am Mittwoch beschlossenen Gesetzentwurf geprüft. Das Ergebnis sei, dass "er in der vorliegenden Form nicht zustimmungspflichtig ist".

Zu der Frage, ob der Bund überhaupt das Recht zur Einführung eines Betreuungsgeldes habe, verwies die Regierung auf den Beschluss des Bundeskabinetts vom Mittwoch.

Darin heißt es: "Bis heute bestehen zwischen den Ländern erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Verfügbarkeit öffentlicher und privater Angebote im Bereich der frühkindlichen Betreuung, die nicht zuletzt auch auf eine jeweils unterschiedliche Bewertung der Tagesbetreuung für Kleinkinder zurückzuführen sind."

Unklarer Ausgang

Daher sei "es zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse erforderlich, als flächendeckende und deshalb notwendig bundesgesetzlich zu regelnde Alternative zur Inanspruchnahme von Betreuung durch Dritte auch eine individuelle Betreuung innerhalb der Familie zu fördern und damit eine echte Wahlfreiheit für Eltern zwischen der Betreuung innerhalb der Familie und der Betreuung in öffentlichen oder privat organisierten Betreuungsangeboten zu schaffen".

Wer sich in dem juristischen Streit durchsetzen wird, ist unklar. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags hat sich in seinem Betreuungsgeld-Gutachten "Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht" auf eine abwägende Einerseits-andererseits-Position zurückgezogen. Auch die Landesjustizministerien geben keine einheitlichen Urteile ab. Und so wird am Ende wohl das Bundesverfassungsgericht entscheiden müssen, wer recht hat.

© SZ vom 08.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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