FDP und Hartz-IV-Missbrauch:Die Zweifel des Guido W.

Lesezeit: 4 min

Der Missbrauch von Sozialleistungen ist eines der kleinsten Probleme dieses Landes. Das scheint FDP-Chef Westerwelle nicht zu gefallen. Wider jede Vernunft bezweifelt er schlicht gesicherte Daten.

Thorsten Denkler

FDP-Chef Guido Westerwelle ist mal wieder in sozialer Mission unterwegs. In ZDF-Talklady Maybrit Illners Sendung mit dem passenden Titel "Politik oder Polemik" erklärt er am Donnerstagabend, ihm gehe es nur um die Sache. Er werde lediglich seiner staatspolitischen Verantwortung gerecht, wenn er Sozialmissbrauch kritisiere. Das Übliche eben.

An einer Stelle aber gibt es doch Grund zu stutzen. Illner erklärt dem Außenminister im Nebenjob gerade, dass die Sozialmissbrauchsquote in Deutschland gerade mal bei 1,9 Prozent liege. Das ist die neueste Zahl der Bundesagentur für Arbeit (BA), einer der neuen Regierung unterstellten Bundesbehörde. Westerwelle aber widerspricht kühl und in bester Demagogenmanier: "Ich habe da meine Zweifel."

Das muss wohl reichen. Woran genau und warum er an den Zahlen der BA zweifelt, erklärt Westerwelle nicht. Welche Zahlen er für die glaubwürdigeren hält, auch nicht. Aber er hat Misstrauen gegenüber den Daten der Bundesagentur geschürt.

Nach dem Verlauf der von Westerwelle mit Verweisen auf "anstrengungslosen Wohlstand" und "spätrömische Dekadenz" angezettelten Sozialstaatsdebatte, muss der Beobachter den Eindruck gewinnen, als sei der Sozialstaat eine Art Selbstbedienungsladen, in dem das Kassenpersonal fehlt. Da ist eine so kleine Zahl wie 1,9 Prozent Sozialmissbrauch bei 6,5 Millionen Hartz-IV-Empfängern eher störend.

Also hat Westerwelle eben Zweifel - und schon stimmt das Weltbild wieder.

Westerwelle suggeriert damit, der Sozialmissbrauch sei eines der drängendsten Probleme, die das Land derzeit habe. Das aber ist nach Ansicht von Experten mitnichten der Fall. Von denen bestreitet niemand, dass die Missbrauchsquote von 1,9 Prozent durchaus höher liegen kann. Unter den 6,5 Millionen Hartz-IV-Empfängern sind auch 1,8 Millionen Kinder, die selbsttätig eher nicht dazu in der Lage sind, den Staat zu betrügen.

Auch stellt niemand in Abrede, dass es eine Dunkelziffer gibt, weil in die Statistik allein die aufgedeckten Fälle aufgenommen werden können. Doch selbst wenn die Quote bei fünf Prozent läge, wäre sie immer noch verschwindend gering.

Es spricht vieles dagegen, dass die Dunkelziffer enorm von den belegbaren Daten abweicht. Wichtigstes Instrument der Missbrauchsfahnder ist der automatische Datenabgleich. Die Sozialbehörden fragen alle drei Monate auf elektronischem Weg bei allen Beziehern von Arbeitslosengeld II ab, ob sie noch andere Einkommensquellen haben, die sie möglicherweise bisher nicht angegeben haben.

Die Behörde hat so im vergangenen Jahr 126.000 Fälle von Leistungsmissbrauch identifiziert. Wobei ein Hartz-IV-Empfänger durchaus für mehrere Fälle verantwortlich sein kann. Der Schaden hält sich in überschaubaren Grenzen.

Im Sprech der Bundesagentur summieren sich die sogenannten Überzahlungen 2009 auf 72 Millionen Euro. Ein Jahr zuvor waren es noch 86 Millionen Euro. Schwierig angesichts dieser Summen, von einem brennenden Problem zu sprechen.

Zum Vergleich: Für das laufende Jahr hat die schwarz-gelbe Bundesregierung Ausgaben für das Arbeitslosengeld II in Höhe von 24 Milliarden Euro angesetzt.

Eine lächerlich kleine Summe sind die 72 Millionen Euro auch im Vergleich zu dem Schaden, den Steuerhinterzieher anrichten. Laut OECD verliert Deutschland durch Steuerhinterziehung und Steuerbetrug mehr als 100 Milliarden Euro pro Jahr. Allein die nackte Meldung, dass eine CD mit den Daten von Steuerhinterziehern existiere, hat dazu geführt, dass inzwischen weit über 100 Millionen Euro dem Fiskus in Selbstanzeigen nachgemeldet wurden.

Im Kern beschäftigt sich die Bundesagentur für Arbeit mit zwei Arten von Missbrauchsdelikten. Entweder wird Einkommen verschwiegen. Oder die Empfänger geben fälschlicherweise an, der Lebenspartner sei nur Mitbewohner einer Wohngemeinschaft, was ein paar Euro mehr im Monat verspricht.

Ein Großteil der Delikte sind naturgemäß Bagatellen. Mal versucht einer 20 Euro mehr im Monat zu ergattern, indem er dem Amt nicht von seiner neuen Freundin erzählt, die gerade bei ihm eingezogen ist. Mal hat er einen Tag in einer Pommesbude aushelfen können, die 40 Euro Lohn aber nicht seinem Sachbearbeiter gemeldet.

Die Bezüge können auf null herabgesetzt werden

Etwas anderes sind die Sanktionen, die Hartz-IV-Empfängern drohen, wenn sie sich nicht an die Regeln halten. Bis auf null können die Bezüge herabgesetzt werden, wenn Hilfe-Empfänger sich wiederholt weigern, Arbeit anzunehmen, Bewerbungen zu schreiben oder Termine platzen lassen.

Bei Maybrit Illner unterstützt Westerwelle ein härteres Vorgehen gegen Hartz-IV-Empfänger, die nicht gewillt seien, für staatliches Geld eine Gegenleistung zu erbringen. Etwa in dem sie bei einem Ein-Euro-Job die Straßen von Schnee befreien.

Wieder verdreht Westerwelle ein paar entscheidende Tatsachen. Zum einen haben Hartz-IV-Empfänger Straßen von Schnee befreit. Zum anderen können die Kommunen gar nicht genug Ein-Euro-Jobs bereitstellen. Die dürfen nur dort eingerichtet werden, wo sie privaten Unternehmen die Arbeit nicht wegnehmen.

Die Pflege von Grünanlagen durch Ein-Euro-Jobber etwa ist dann schwierig, wenn dadurch Geld für den Einsatz von Gartenbaufirmen gespart wird. Hinzu kommt: Die Sanktionen wurden vom Gesetzgeber als Ultima Ratio eingeführt. Vorher haben die Sachbearbeiter einen breiten Ermessensspielraum, ob und wann sie mit Sanktionen arbeiten wollen. So soll verhindert werden, dass sie nach Gesetz einem Familienvater das Geld kürzen müssen und dann die Kinder unter dem wenig kooperativen Papa leiden müssen.

Die Autoren der Studie widersprechen

Westerwelle pflegt mit seinen Spitzen gerne das Bild vom faulen Arbeitslosen. Nach jüngsten Studienergebnissen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) aber hält dieses Bild der Realität nicht stand. Langzeitarbeitslose etwa verstehen Hartz IV keineswegs als soziale Hängematte. Sie bemühen sich stattdessen aktiv um Arbeit.

Im Weg stehen ihnen dabei jedoch oft gesundheitliche Probleme, eine mangelhafte Qualifikation kombiniert mit den wenigen offenen Stellen. Das Vorurteil vom "passiven Transferleistungsempfängers, der ein Leben im Hilfebezug für erstrebenswert hält", sei auf jeden Fall falsch, sagen die Autoren der Studie.

Statt aber die Menschen zu unterstützen in ihrem nachweisbaren Bestreben, endlich wieder Arbeit zu bekommen, macht die Bundesregierung das genaue Gegenteil. In den aktuellen Haushaltsberatungen hat die schwarz-gelbe Mehrheit im Haushaltsauschuss gerade 600 Millionen Euro für Wiedereingliederungshilfen gesperrt.

© sueddeutsche.de/gba - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: