FDP und der soziale Friede:Die gelbe Gefahr

Kritik an der liberalen Kürzungspolitik hält FDP-Chef Westerwelle für bösartig. Dabei ist sein Programm eindeutig. Wenn Schwarz-Gelb es nicht schafft, hat Merkel einen Schuldigen.

T. Denkler

Auf den letzten Metern schwächeln Union und FDP. Ein schwarz-gelbes Bündnis nach der Bundestagswahl - schon sieht sich sogar Helmut Kohl genötigt, ein Interview zu geben und dafür zu werben. Vor ein paar Wochen sah es noch so aus, als könnte nichts auf der Welt Schwarz-Gelb verhindern. Wenige Tage vor der Bundestagswahl ist diese Gewissheit dahin. Die Umfrage-Mehrheit schmilzt.

Doch wenn es nicht klappt, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel wenigstens einen Schuldigen. Der dürfte in ihren Augen Guido Westerwelle heißen, der redegewandte Vorsitzende der FDP. Seine Partei ist die einzige, die den Kündigungsschutz weiter eindämmen will und offen für eine stärkere Privatisierung der Sozialkassen eintritt - und damit für eine Privatisierung der großen Lebensrisiken Krankheit, Arbeitslosigkeit und Alter.

Die SPD hat lange versucht, hier den Hebel anzusetzen. Kandidat Frank-Walter Steinmeier prophezeite unermüdlich einen sozialen Kahlschlag, sollte schwarz-gelb das Land regieren. Gefruchtet hat es nicht. Alles ist am präsidialen Wahlkampfstil der Kanzlerin abgeprallt. Der FDP hat es schon gar nicht geschadet, weil sich hier offenbar die letzten verblieben Neoliberalen aus Union und FDP versammelt haben.

Alles anders

Plötzlich aber ist alles anders. Das TV-Duell hat der SPD-Mann - zumindest in der medialen Wahrnehmung - für sich nutzen können und vor allem bei bisher unentschlossenen Wählern gepunktet. Das Nichtwählerlager ist ohnehin gut gefüllt mit enttäuschten SPD-Anhängern, die ihrer Partei noch immer die Agenda 2010 nicht verziehen haben.

Seitdem die Frustrierten Steinmeier als annehmbaren Kandidaten akzeptiert haben, geht es langsam aber stetig aufwärts für die SPD. Viele wissen auch: Nach dem großen Krisenmanagement mit Bankenrettung und Milliarden-Bürgschaften braucht Deutschland jetzt einen großen Sozialplan. Firmenpleiten, wachsende Arbeitslosigkeit, das alles steht dem Land noch bevor.

Kaum einer glaubt deshalb den nebligen Steuersenkungsversprechen von Union und FDP. Alle aber wissen, dass die Krise teuer ist und war. Spielraum für Wohltaten ist nicht vorhanden. Sogar der CSU-Liebling, Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg mahnte an, dass man sich von "manch Liebgewonnenem" womöglich werde verabschieden müssen.

Das Wahlprogramm der Union lässt keine Aussage darüber zu, wie denn so ein Sparkurs aussehen kann. Das der FDP schon: Sie will mehr private Verantwortung, was unter dem Strich nur eine Kürzung der Sozialleistungen bedeutet. Und sie will Hartz IV abschaffen zugunsten eines pauschalen, so genannten "Bürgergeldes", das nach Ansicht von Experten die Probleme noch verschärfen würde.

Die SPD nutzt das jetzt mit zunehmendem Erfolg. Der Anteil der Wähler, die Nachteile für sich befürchten, wenn die FDP ans Ruder kommt, ist jüngst von 13 auf 16 Prozent geschnellt. In der Kombination Schwarz-Gelb sieht es noch düsterer aus: 25 Prozent sehen für sich darin nichts Gutes. Immer mehr Menschen glauben nach Analysen des Instituts für Demoskopie in Allensbach, dass unter Schwarz-Gelb Sozialleistungen gekürzt, soziale Spannungen verschärft werden, soziale Gerechtigkeit abnehme und weniger für die kleinen Leute getan werde.

Westerwelle versucht derweil ein Bild von sich zu zeichnen, als sei er in Wirklichkeit ein Schaf, das die politische Konkurrenz von links in ein Wolfsfell zu zwängen versuche. Geradezu als "bösartig" bezeichnet er Unterstellungen, er wolle den Kündigungsschutz schleifen. Das FDP-Wahlprogramm ist hier allerdings recht eindeutig. Da steht glasklar: Kündigungsschutz nicht wie bisher ab zehn, sondern erst ab 20 Mitarbeitern und in den ersten zwei Jahren einer Neuanstellung gar kein Kündigungsschutz.

Westerwelle verrät sich selbst

Manchmal verrät sich Westerwelle auch selbst: "Es gibt kein Recht auf staatlich bezahlte Faulheit", wetterte er kürzlich. Wenn manche in Talkshows erklärten, sie lebten vom Sozialstaat, arbeiteten schwarz und gleichzeitig das normal arbeitende Publikum beschimpften, sei das unerträglich. "Die werden bei uns kein Geld bekommen", kündigte er an.

Sozialthemen dominieren plötzlich den Wahlkampf

Vor ein paar Wochen hätte das niemanden wirklich interessiert. Jetzt aber dominieren die Sozialthemen wieder den Wahlkampf. Das hat zu einem Erstarken des linken Lagers führen. Schlicht, weil die Nichtwähler sich jetzt gegen Schwarz-Gelb mobilisieren lassen.

Merkel versucht zu retten, was zu retten ist. Sie verspricht, mit der CDU werde es keinen rigiden Sparkurs und keinen Abbau von Arbeitnehmerrechten á la FDP geben. Fraglich nur, wie sie das verhindern will. Der einflussreiche Wirtschaftsflügel der Union leidet seit vier Jahren unter der großen Koalition. Seine Vertreter würden Teile des FDP-Sozialprogramms sofort unterschreiben. Sie haben einfach keine Lust mehr, auf einen linken Koalitionspartner Rücksicht nehmen zu müssen.

Die heimliche Sozialdemokratin Merkel kann diesen Flügel in einem schwarz-gelben Bündnis nicht länger ignorieren. Zumal dann nicht, wenn sie ihr schlechtes Wahlergebnis von 2005 am Sonntag noch unterbietet. Die umstrittenen Leipziger Beschlüsse der CDU sind nicht vergessen. Darin gehört der Punkt "Kündigungsschutz aufweichen" noch zu den harmloseren.

Die Sorgen der Menschen um den Sozialstaat sind also durchaus berechtigt. Merkel sollte vor der Wahl ehrlich erklären, was sie danach mit Schwarz-Gelb vorhat. Sonst wird sich, wenn Westerwelle die Chancen auf Schwarz-Gelb nicht bis zum Wahlabend noch verspielt, die nächste Wortbruchdebatte an ihrer Person festmachen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: