FDP und der Liberalismus:Spenden für den Wirt

Kaum ist die FDP nach elf Jahren Opposition wieder an der Macht, wird sie zur Partei der Hoteliers. Mit den klassischen Motiven ihres liberalen Gesellschaftsverständnisses hat das nichts mehr zu tun.

Gustav Seibt

Zum ersten Mal seit elf Jahren regiert in Deutschland wieder eine liberale Partei mit, und das Erste, was sie tut, ist die Einführung eines günstigeren Mehrwertsteuersatzes für ein spezielles Gewerbe, die Hotellerie. Der Widerspruch dieser Handlungsweise zu allen klassischen Motiven des liberalen Gesellschafts- und Staatsverständnisses ist so eklatant, dass Satirevermeidung fast unmöglich erscheint.

FDP und der Liberalismus: Nach elf Jahren in der Opposition sitzt die FDP nun wieder mit am Kabinettstisch.

Nach elf Jahren in der Opposition sitzt die FDP nun wieder mit am Kabinettstisch.

(Foto: Foto: dpa)

Zu den kabarettreifen Nebenfolgen bei den Ausführungsbestimmungen der neuen Regelung - sie müssen feinsäuberlich zwischen dem Logis als dem Kerngeschäft des Hotelgewerbes und zahlreichen sonstigen Leistungen im Serviceraum eines modernen Hotels unterscheiden - kommt nun noch eine Großspende ans Tageslicht, die von einem Hotelkettenbesitzer an die Freie Demokratische Partei geleistet wurde.

Die Witze, die sich darüber mit Blick auf jüngste Thesen des Philosophen Peter Sloterdijk reißen ließen, der statt staatlichen Zwangssteuern lieber großzügige Spenden der Leistungsträger an die Allgemeinheit sähe, zerfallen einem allerdings wie modrige Pilze auf der Zunge. Der Sieg ist zu leicht.

Vorerst bleibt ein selten genannter Vorteil von Steuern festzuhalten: Sie verpflichten nicht zur Dankbarkeit. Der Staat, der sie einnimmt, muss sich kein Sponsorenlogo auf Wappen und Fahne heften und geht auch sonst keine einzelnen Verpflichtungen ein. Er darf in erhabener Kälte seiner Räson folgen.

Solche strikte Trennung von Staat und Gesellschaft zählte einmal zu den Kernprinzipien liberalen Denkens. Dieses wollte in seinen Anfängen Ordnung schaffen im Gewirr zwischen Untertanen, Obrigkeiten, Ständen und Zünften. Die Gewerbefreiheit, mit der es noch vor der Parlamentarisierung des politischen Lebens begann, zielte einmal auf gleiche Bedingungen für alle Berufsgruppen und jeden Unternehmer. Dazu traten die Handelsfreiheit und die freie Verkäuflichkeit des Grundbesitzes.

Letztere setzte voraus, dass an Grund und Boden keine richterlichen oder herrschaftlichen Befugnisse mehr hafteten. Die berühmten, von Wilhelm von Humboldt beschriebenen "Grenzen der Wirksamkeit des Staates" meinten nicht nur den Rückzug einer überbordenden paternalistischen Staatstätigkeit aus einer Gesellschaft von Freien und Tüchtigen, sondern ebenso klare definitorische Scheidungen: Es sollte keine Grauzonen mehr geben zwischen Staat und Gesellschaft, sondern eben rechtlich eindeutige "Grenzen".

Mehr als historische Nostalgie

Daran angesichts des heutigen Hoteliers- und Apotheker-Liberalismus zu erinnern, ist mehr als historische Nostalgie. Dass der Gastwirt und der Apotheker zusammen mit dem Kaufmann und den akademischen Berufen von Arzt, Anwalt und Pfarrer zum Typenrepertoire einer liberalen Gesellschaft gehören, lässt sich der gesamten bürgerlichen Literatur von Goethes "Herrmann und Dorothea" bis zu den Abgesängen Thomas Manns entnehmen - in England und Frankreich sieht es nicht anders aus.

Das Widerlager zum allregierenden Staat sind Besitz und Bildung, also Sachwerte, Geld und Können, die den Bürger unabhängig von Zuwendungen machen sollen, aber auch den Freiraum zur Entfaltung solchen materiellen wie immateriellen Kapitals benötigen.

Der Freiheitsbegriff, der dahintersteht, ist vielfältig und tiefgestaffelt. Er hat nicht nur die rechtsstaatliche Freiheit von obrigkeitlicher Willkür zum Gegenstand. Er bedeutet auch mehr als die Möglichkeit zur Selbstregierung in einem konstitutionellen System der Gewaltenteilung, er meint in letzter Instanz etwas Charakterliches: den selbstbewussten, weil selbständigen Bürger, der stark und stolz sein kann, weil er nicht mehr den deformierenden Einflüssen obrigkeitlicher Fürsorge unterliegt. So ist er der Herr seines eigenen Schicksals wie früher allenfalls der Edelmann.

Denn, so hat es Wilhelm von Humboldt als Erster entwickelt - und bis zu Max Webers Bürokratiekritik und Paul Kirchhof sind ihm viele liberale Denker gefolgt: Der Staat verdirbt den Charakter der Bürger nicht nur durch politischen Druck - indem er sie als Untertanen knechtet -, sondern fast mehr noch durch seine Fürsorglichkeit, durch das tausendfältige Gespinst, mit dem er sich ins Leben und Treiben der Bevölkerung einnistet.

Schreckbild der Protestanten

Dabei hatten die frühliberalen Denker nicht nur den merkantilistischen Staat im Auge, der selbst unternehmerisch tätig wurde, Porzellan, Seide oder Waffen in eigener Regie herstellte, Import wie Export regulierte, am Verbrauch der Bürger mitverdiente, sondern auch eine nicht zuletzt christlich inspirierte Mildtätigkeit für die Armen.

Das Schreckbild solcher überwiegend protestantischen Bürger waren fette geistliche Territorien, die ihr Geld neben teuren Kirchenbauten vor allem in einem Fürsorgewesen anlegten, das seine Adressaten erschlaffen ließ und ihnen das Licht der Vernunft vorenthielt. Ebenso focht der frühe Liberalismus gegen eine autochthone bürgerliche Planwirtschaft, die sich vor allem in den städtischen Zünften organisiert hatte und die nicht zuletzt mit Obergrenzen für die Produktion und mit künstlich verteuerten Preisen operierte.

Dass diese Kanalisierung von Handwerk und Warenverkehr den Wohlstand behindere, war die Wahrnehmung eines neuen, aufgeklärten Bürgertums, das nicht einsehen wollte, warum alles gleich bleiben solle, einschließlich des Reichtums. Zu diesen zünftischen Unternehmern, die sich unliebsame Konkurrenz vom Leibe hielten, zählten nicht zuletzt die Gastwirte und Hoteliers.

Der Liberalismus hat sich totgesiegt

Daran zu erinnern, heißt, das Problem jeder gegenwärtigen liberalen Politik und Doktrin schmerzhaft bewusst zu machen. Einerseits hat der Liberalismus sich totgesiegt, seine politischen Forderungen an den Staatsaufbau, die Grundrechte, die damit zwangsläufig verbunden sind, gehören zu den unbestrittenen Grundlagen der westlichen Staaten.

Insofern kann der Liberalismus nur noch in einem eingeschränkten Sinn "Partei" sein, weil ihm jedenfalls in Europa und Nordamerika seine Gegner ausgegangen sind, nicht nur die alten aus dem Ständestaat, sondern auch die jüngeren aus den totalitären Bewegungen. Natürlich bleibt dem Liberalismus ein ewiges Wächteramt, denn die bürgerliche Freiheit ist nie unbedroht.

Neuerdings wird sie weniger von sozialistischen oder kommunistischen Ideologien angefochten als vielmehr von religiösen Fundamentalismen, nicht zuletzt, weil sie den zur Abwehr gezwungenen Rechtsstaat mit einem freiheitsbedrohenden Sicherheitsdenken anzustecken drohen. Die jüngsten Frontlinien sind vor allem kulturell, sie betreffen die libertäre Lebensweise.

Auf der anderen, der Seite des Wirtschaftslebens, aber, sieht sich der Liberalismus wieder in einer Umwelt, die der an seinem Ursprung verblüffend ähnlich sieht, ja diese noch in den Schatten stellt. Der fürsorgende Staat ist längst zurückgekehrt, mit einer Übermacht und einer bürokratischen Allgegenwart, die sich nicht mehr zurückzudämmen lassen wird.

Staatsfeindliche Zuckungen

Die industrialisierte und technisierte Gesellschaft braucht beispielsweise eine Unzahl von Normen und Standards, die kaum anders als staatlich festgelegt und gesichert werden können. Sie ruht auf einem monumentalen Fundament von öffentlichen Infrastrukturen. Ein globales Marktgeschehen, das unweigerlich immer wieder über die Möglichkeiten individueller Tüchtigkeit hinausreicht, bedarf sozialstaatlicher Sicherungen. Eine Gesellschaft, die Individuen von Familien unabhängig machte, kommt ohne organisierte Altersvorsorge nicht aus.

All das sind Selbstverständlichkeiten, die nennen muss, wer sich die grundsätzliche Vergeblichkeit der allermeisten staatsfeindlichen oder "neoliberalen" Zuckungen bewusst machen will. Der Liberalismus gleicht einem David, der es nicht mehr mit einem verwundbaren Goliath zu tun hat, sondern mit einem gummiartigen millionenarmigen Leviathan.

Das ist die Umgebung, in der heute liberale Parteien aller hehren Prinzipien und markigen Worte zum Trotz eben wieder zu Klientelparteien werden. Der Liberalismus hat die Grundlagen unserer Verfassung gelegt; die auf ihn folgende Arbeiterbewegung hat darüber den gewaltigen Aufbau des Sozialstaates errichtet, übrigens mit Hilfe alter Obrigkeiten, ja selbst katholischer Parteien, die im absolutistischen Sinne materielle Grundsicherheit besser fanden als Revolution.

In diesem Rahmen wuchs die Massenkonsumgesellschaft, die sozialen Frieden durch Wohlstand stützt und all dies staatlich reguliert. Mittendrin stehen immer noch etliche Hotels und Apotheken, und unter den Heeren der Arbeiter, der Angestellten und der technischen Intelligenz läuft immer noch das kleine, feine Personal aus "Herrmann und Dorothea" mit. Warum sollte es nicht auch seine Fürsprecher haben, wenn es doch auch Gewerkschaften und Unternehmerverbände gibt? Nur - "Liberalismus" muss man in dieser Umgebung doch etwas anders denken als vom Standpunkt einiger Hoteliers aus.

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