FDP: Protest wegen Koch-Mehrin:Die Schöne und das Biest von der ARD

Die FDP kämpft gegen unliebsame Berichte über EU-Spitzenkandidatin Silvana Koch-Mehrin. Generalsekretär Niebel schrieb der ARD.

H.-J. Jakobs und Th. Denkler

Der Brief datiert vom 27. Mai 2009. Er trägt die schön geschwungene Unterschrift des FDP-Generalsekretärs Dirk Niebel. Der Adressat ist Peter Boudgoust, Intendant des Südwestrundfunks (SWR) und Chef der ARD - und dieses Schreiben, das sueddeutsche.de vorliegt, ist ein seltener Beleg.

FDP: Silvana Koch-Mehrin Getty

Spitzenkandidatin der FDP: Silvana Koch-Mehrin

(Foto: Foto: Getty)

Es beweist, wie Politik versucht, Einfluss auf Journalisten und die politische Berichterstattung zu nehmen. Und das in einem öffentlich-rechtlichen Sender, der zu Staatsferne und Unabhängigkeit strikt verpflichtet ist.

Es geht um Silvana Koch-Mehrin, die attraktive Spitzenkandidatin der FDP für die Europawahl am kommenden Sonntag - Kritiker sprechen vom "schönsten Wahlplakat Deutschlands", für andere ist sie "Miss Europa". Die Frau hat Starqualitäten und gilt als politisches Talent. Vor fünf Jahren führte sie die Liberalen erstmals nach langer Abstinenz wieder ins Europaparlament.

Seither macht sie von sich reden - auch weil sie sich für den Stern mit schwangerschaftsrundem Bauch auszog. Im People-Fachblatt Bunte erklärte sie ihr Privat- und Liebesleben, dem Oben-ohne-Magazin Praline lieferte sie Kolumnen. Im parlamentarischen Betrieb der EU dagegen hat die Chefin der sieben deutschen FDP-Abgeordneten nicht überall den Ruf, ein fleißiges Bienchen zu sein.

Seit einigen Monaten schon versuchen Koch-Mehrin und ihre Mitarbeiter, möglichen Image-Problemen entgegenzuwirken. Zumeist in Regionalzeitungen gibt sie Interviews zu Brüsseler Themen.

Oft geht es dabei um das Glühbirnenverbot der EU. Da passt es nicht gut, dass die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 22. April 2009 einen Text über eine Studie zur offiziellen Anwesenheitsstatistik aller aktuellen und ehemaligen Euro-Parlamentarier der sechsten Wahlperiode veröffentlichte. Im dritten Absatz der Geschichte geht es explizit um Koch-Mehrin, die mit ihrer "Präsenzquote von 38,9 Prozent" nicht nur "an letzter Stelle der 106 deutschen Abgeordneten" landete - sondern auch "auf Platz 914 der Gesamtliste".

Juristischer Ärger mit der FAZ

Koch-Mehrin erwirkte umgehend eine einstweilige Verfügung gegen die Berichterstattung. Begründung: Die Statistik sei fehlerhaft, zudem seien ihre Schwangerschaftsfehlzeiten nicht berücksichtigt.

Sie komme auf eine wesentlich höhere Quote. Dafür legte sie am 5. Mai sogar eine eidesstattliche Versicherung ab: "Mit meiner Präsenzquote von 75 Prozent" liege sie "in der oberen Hälfte" der Präsenz der deutschen EU-Abgeordneten. Das Gleiche gelte für den Vergleich mit der Präsenz aller Abgeordneten.

Die Berechnungen scheinen jedoch nur in ihrer Partei nachvollziehbar zu sein. Die Pressekammer des Landgerichts Hamburg jedenfalls hat die einstweilige Verfügung gegen die FAZ-Berichterstattung aufgehoben.

Post vom FDP-General

Die Causa wurde Chefsache in der FDP. Nach Informationen von sueddeutsche.de schaltete sich Generalsekretär Dirk Niebel höchstselbst ein um gegen unliebsame TV-Fragesteller vorzugehen, die sich mit der Brüsseler Präsenz Koch-Mehrins und anderen Dingen beschäftigen.

Am 25. Mai lud beispielsweise der SWR-Chefreporter Thomas Leif als Gäste seiner Sendung "2+Leif" die Politikerin Koch-Mehrin und den Grünen-Vorsitzenden Cem Özdemir zur Aufzeichnung ein.

Leif erlaubte sich tatsächlich, auch Fragen zu den Präsenzzeiten der EU-Abgeordneten Koch-Mehrin zu stellen. Das hat der Parteispitze offensichtlich nicht ins Konzept gepasst.

Dirk Niebel schrieb seinen Brief an SWR-Chef Boudgoust mit der geschwungenen Unterschrift. Darin kritisiert er auf anderthalb Seiten ausführlich die Leif-Sendung. Er wolle den Intendanten im "Nachgang" der Aufzeichnung auf "einige Ungereimtheiten im Vor- und Ablauf" der Sendung "aufmerksam" machen, so Niebel.

Dann beschwert er sich zunächst, dass seine Parteifreundin nicht - wie seiner Meinung nach vorher klar besprochen - als Erste von Moderator Leif befragt wurde, sondern Özdemir den Vortritt erhielt. Das sei eine "nicht von der Redaktion selbsttätig kommunizierte, grundlegende Änderung des Ablaufes" - und entspreche "nicht dem üblichen journalistischen Umgang", urteilt der FDP-General.

Dann aber kommt Niebel zum eigentlichen Anlass seines Protestbriefes. Leif, der auch der Journalistenvereinigung "Netzwerk Recherche" vorsteht, hat in der Aufzeichnung Koch-Mehrin mit der FAZ-Story zu den Präsenszeiten konfrontiert: Koch-Mehrin habe demnach "sehr oft geschwänzt", während er Özdemir bescheinigte: "Sie haben weniger oft geschwänzt."

"Unkorrekte Arbeitsweise"

Niebel muss das in Rage gebracht haben: Das sei "unsaubere Recherche", poltert er in dem Brief. Die FDP habe die FAZ-Berichterstattung per Pressemitteilung richtiggestellt, die FAZ habe sich korrigiert.

Es sei "nicht hinzunehmen", dass ein "herbeirecherchierter Themenblock in Bezug auf die Arbeitsleistung von Frau Dr. Koch-Mehrin weder angekündigt noch in irgendeiner Art und Weise im Vorlauf zur Sendung kommuniziert worden war". Seine Conclusio: "unkorrekte Arbeitsweise".

Zum Schluss bittet Niebel den SWR-Intendanten um "umgehende Aufklärung der beiden aufgeführten Sachverhalte". Ein Sprecher Niebels verteidigte gegenüber sueddeutsche.de den Brief: "Wenn wir uns ungerecht behandelt fühlen von Medien, dann werden wir das kundtun, wie wir es bei Politikern auch machen."

Was Niebel verschweigt: Die FAZ hatte nicht die eigene Berichterstattung berichtigt, sondern lediglich die Position von Koch-Mehrin im Internetangebot der FAZ ausführlicher wiedergegeben.

Und was er da noch nicht wissen konnte war, dass sich die FAZ vor dem Hamburger Landgericht gegen die einstweilige Verfügung erst einmal erfolgreich wehren konnte.

Aber vielleicht schreibt er ja noch einmal an den Intendanten.

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