FDP: Personaldebatte geht weiter:Fraktionsvize stellt Vorstand in Frage

Schlechte Außenwirkung und gebrochene Wahlversprechen: FDP-Fraktionsvize Koppelin benennt in einem Papier schonungslos alle schwarz-gelben Fehler. Er fordert, den Fraktionsvorstand vorzeitig neu wählen zu lassen - und setzt so die ungeliebte Chefin Homburger unter Druck.

Thorsten Denkler, Berlin

Auf zehn Seiten hat Jürgen Koppelin die Lage der FDP analysiert. Der stellvertretende Fraktionschef der Liberalen im Bundestag und Landesparteichef in Schleswig-Holstein listet schonungslos alle Fehler auf, die die FDP seit der Regierungsübernahme 2009 gemacht habe. Er nennt die Hotelsteuer, die zu späte Berufung eines neuen Generalsekretärs und auch die Tatsache, die CDU überschätzt zu haben in ihrem Willen, Schwarz-Gelb als Wunschkonstellation anzuerkennen.

Kubicki fordert Rücktritt von FDP-Fraktionschefin Homburger

Die 46-jährige Birgit Homburger ist Vorsitzende der FDP-Fraktion im Bundestag. Sie gilt zwar als gute Verhandlerin, doch viele Liberale halten ihre Außenwirkung für "katastrophal". Nun schlägt einer ihrer Stellvertreter vor, bereits im Mai den Vorstand neu wählen zu lassen.

(Foto: dpa)

Hinzu kommen für Koppelin die nicht gehaltenen Wahlversprechen: Eigentlichen wollten die Liberalen Steuern senken, das Entwicklungshilfeministerium abschaffen, das "liberale Sparbuch" umsetzen sowie Staatssekretärsposten im Außenministerium abbauen und die Bundesagentur für Arbeit grundlegend reformieren.

Koppelins Urteil ist harsch: "Davon wurde fast nichts erreicht", schreibt er in dem vom 29. April datierten "Positionspapier zur Fraktionsarbeit", das sueddeutsche.de vorliegt. Die FDP habe sogar das Entwicklungshilfeministerium übernommen und alle drei Staatssekretäre im Auswärtigen Amt behalten.

Einzelne Schuldige benennt Koppelin nicht. Dafür moniert er die mangelnde Unterstützung von Partei und Fraktion für Noch-Parteichef Guido Westerwelle. Beipiel: Die ersten Auslandsreisen des neuen Bundesaußenministers Westerwelle. Die nach Polen oder Dänemark seien in den Medien noch positiv bewertet worden, schreibt er.

Doch: "Die großen Auslandsreisen nach Südamerika oder China wurden als Reisen für Lobbyisten und Geldspender der FDP dargestellt. Es erfolgte keinerlei massive Abwehr durch Partei und Fraktion. Die Medien-Kampagne gegen Westerwelle setzte sich im ganzen Jahr 2010 fort, ohne dass er von uns wirksamen Beistand erhielt. Dadurch wurde die FDP insgesamt nachhaltig beschädigt."

Der ehemalige Radio-Redakteur mahnt: "Die FDP muss sich selbst klar darüber werden, was sie in der Koalition bis zur Bundestagswahl noch politisch erreichen will." Der Bürger habe nichts davon, "wenn wir seit fast einem Jahr auf verschiedenen Sitzungen und Klausuren erklären und auch beschließen, dass wir uns 'zukünftiger breiter aufstellen wollen'".

Hotelsteuer als "Mühlstein"

Offen fragt er: "Müssen wir die 'Hotelsteuer' aussitzen, damit sie zur nächsten Bundestagswahl wie ein Mühlstein um unseren Hals hängt?" Beim Mindestlohn fordert er, dass die FDP ihre bisher ablehnende Haltung überprüfen müsse. Sie werde "nicht durchzuhalten sein, wenn immer mehr große Betriebe ihren Mitarbeitern kündigen, um dann Werksverträge mit zum Beispiel osteuropäischen Unternehmen abzuschließen, die dann ihre Mitarbeiter für 5,40 Euro arbeiten lassen."

Jürgen Koppelin

Auf zehn Seiten hat der FDP-Fraktionsvize Jürgen Koppelin die Lage seiner Partei analysiert.

(Foto: dpa)

Koppelin empfiehlt auch eine härtere Gangart beim Euro. "Kein Euroland sollte für die Schulden eines anderen Eurolandes aufkommen müssen." Gläubiger und Spekulanten müssten in die Pflicht genommen werden. Es gebe für Deutschland "keinen Grund in einen Euro-Rettungsfond in Raten 22 Milliarden Euro einzuzahlen".

"Etwas Demut schadet nicht"

Vor allem aber müsse sich die Fraktion "die Frage stellen, wie wir uns in den Medien präsentieren". Es gehe nicht darum, "dass wir sympathischer 'rüberkommen', es geht eher darum, dass wir nicht den typischen FDP-Eindruck erwecken: Wir hatten immer recht und werden auch in Zukunft recht haben." In der jetzigen Situation schade im öffentlichen Auftreten "ein bisschen Demut nicht".

Auf dem Bundesparteitag der FDP im Mai in Rostock wird eine neue politische Führung gewählt. Die personelle Erneuerung wird sich dann vor allem am neuen Parteichef Philipp Rösler und wenigen Neubesetzungen im Parteipräsidium festmachen lassen.

Koppelin findet die Neuaufstellung "richtig". Der neue Bundesvorsitzende aber werde nur "in einem Team" erfolgreich sein können. "Dazu bedarf es auch einer starken Führung der FDP-Bundestagsfraktion." Koppelin lässt offen, ob die gegenwärtige Fraktionsführung mit Birgit Homburger an der Spitze diese Stärke hat. Er gehört jedoch als Stellvertreter der 46-Jährigen selbst dazu.

Homburger ist auch intern in die Kritik geraten, weil sie zwar die Fraktion zusammenhält und als gute Verhandlerin gilt. Die Außenwahrnehmung Homburgers aber wird oft als "katastrophal" beschrieben.

Homburger: Vorschläge sollen diskutiert werden

Koppelin äußert sich dazu nicht. Doch "wenn es richtig ist, dass die FDP sich inhaltlich und personell erneuern soll oder will, dann kann die Bundestagsfraktion davon nicht ausgenommen sein". Er will eine "Vertrauensabstimmung" für die gesamte Fraktionsspitze herbeiführen. Sie solle deshalb der FDP-Bundestagsfraktion nach dem Bundesparteitag "eine Neuwahl des Fraktionsvorstandes" und der Vorsitzenden der Arbeitskreise "anbieten".

Fraktionschefin Homburger sieht das Papier gelassen. Sie sagte zu sueddeutsche.de: "Wir werden die Vorschläge in aller Ruhe diskutieren." Auch Patrick Kurth, Generalsekretär der FDP Thüringen und MdB, möchte offen über Koppelins Ideen reden. "Rundheraus ablehnen kann man diesen Vorschlag in der jetztigen Situation sicherlich nicht. Wenn die Partei sich neu aufstellt, muss auch die Fraktionsführung darüber nachdenken."

In der Fraktionsspitze wird der Vorschlag des schleswig-holsteinischen Landeschefs nach Informationen von sueddeutsche.de zum Teil mit Wohlwollen gesehen. Das Papier könnte deshalb bereits am 4. Mai den Fraktionsvorstand beschäftigen, der die anstehende Klausur am 8. und 9. Mai vorbereitet.

Der Grund: Die turnusmäßige Vorstandswahl der Fraktion findet erst im Oktober statt. Eine vorgezogene Neuwahl könnte die Personaldebatten vorzeitig beenden. Das stellt auch Koppelin in seinem Papier in Aussicht. "Eine weitere Diskussion um Führungspersonen der FDP in Partei und Fraktion kann es dann nicht mehr geben." Ob es dann mit oder ohne Homburger weitergehen würde, ist jedoch offen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: