Herbert Mertin zur FDP-Krise:Absage an die "Glitzerwelt der Finanzjongleure"

"Klotz am Bein" nannte Herbert Mertin FDP-Chef Westerwelle, nun meldet sich der rheinland-pfälzische Fraktionschef erneut zu Wort in einem Gastbeitrag für sueddeutsche.de - und dringt auf einen Kurswechsel.

Herbert Mertin, Jahrgang 1958, ist Vorsitzender der FDP-Fraktion im rheinland-pfälzischen Landtag. Der Freidemokrat amtierte zuvor als Landesjustizminister in der rot-gelben Koalition bis 2006. Für die Landtagswahl im März ist Mertin Spitzenkandidat der Liberalen.

Guido Westerwelle, FDP

Führt seit zehn Jahren die FDP: Guido Westerwelle

(Foto: ddp)

Vor wenigen Wochen sorgte er für Aufsehen, als er erklärte, auf Wahlkampfhilfe von Guido Westerwelle verzichten zu wollen. "Fakt ist, dass die Person des Bundesvorsitzenden uns seit Monaten wie ein Klotz am Bein hängt", sagte Mertin damals.

In seinem Gastbeitrag für sueddeutsche.de spricht sich Mertin nun eindringlich für eine Rückbesinnung auf die Wurzeln des Liberalismus aus: diese lägen nicht in der glitzernden Finanzwelt, sondern in Bürgertum, im Mittelstand und im ländlichem Raum.

"Mitgefühl braucht Nähe", schreibt Mertin in seinem Plädoyer für eine andere FDP. Er sieht die Zukunft der angeschlagenen Partei in den Bundesländern - als eine "bodenständige Basis- und Bürgerbewegung".

Das Herz des Liberalismus schlägt in den Regionen

Warum sich die Zukunft der FDP in den Ländern entscheidet

Von Herbert Mertin

Dreikönig ist für die FDP der Tag der Weichenstellung. Nie galt das mehr als in diesem Jahr: Die FDP hat laut den aktuellen Umfragen dramatisch an Zustimmung eingebüßt, im Super-Wahljahr 2011 ist ihr Einzug in die Landtage keineswegs gesichert. Es geht um nicht mehr oder weniger als die Zukunft des Liberalismus in Deutschland. Deswegen ist es so mutig wie wichtig, dass die Partei sich und ihren Wählern Klarheit über ihren Kurs verschafft. Der wichtigste Orientierungspunkt dabei ist in der Geschichte zu finden: Der Liberalismus war immer dann am stärksten und überzeugendsten, wenn er auf seine Stärke in den Regionen gesetzt hat.

Ländlicher Raum, Mittelstand und Bürgertum - das sind die traditionellen Verbündeten des Liberalismus in Deutschland. Inzwischen scheint es selbst in der FDP Stimmen zu geben, die die traditionelle Wertschätzung dieser Faktoren als verstaubt und rückwärtsgewandt bezeichnen. Dem widerspreche ich in aller Entschiedenheit. Es ist ein fataler Irrtum, ländlichen Raum und großstädtisches Lebensgefühl gegeneinander auszuspielen. Die Bürger der Pfalz oder des württembergischen Remstals sind heutzutage genauso modern wie die Bewohner von Berlin-Charlottenburg - auch wenn sich das so mancher im politischen Berlin nicht recht vorzustellen vermag.

Der große Liberale Ralf Dahrendorf hat das Wort von der Glokalisierung geprägt: Die modernen Menschen sind offen für die Welt, aber in ihrer Heimat verwurzelt. Wo ist die Innovationskraft Deutschlands zu Hause? Wo sitzen die innovativsten Firmen mit den kreativsten Mitarbeitern, die erfolgreich die Herausforderungen des Weltmarktes meistern? Wo ist das Engagement beheimatet? Wo gedeiht der Wille, zuerst zur Gemeinschaft beizutragen, statt vom Staat alles zu erwarten? Im ländlichen Raum.

Die Werthaltungen, die diesem Erfolg zu Grunde liegen, finden sich in der Mitte der Gesellschaft und sie haben tiefe Wurzeln. Wenige Tage vor dem Dreikönigstreffen ist es die beste Empfehlung für die Liberalen, sich an die Freiheitstraditionen in Südwestdeutschland zu erinnern. An Dreikönig kommen die Freiheitsliebenden seit 1866 zusammen. Es handelt sich um die traditionsreichste Politikveranstaltung in Deutschland. Dreikönig in Württemberg, das Hambacher Fest 1832 in der Pfalz und die Badische Revolution 1848 sind historische Ereignisse, die erklären, warum die FDP bis heute im Südwesten der Republik besonders tief verwurzelt ist. Das Herz des Liberalismus schlägt nicht in den Bürokratien Brüssels oder Berlins, sondern in den Regionen. Hier entscheidet sich auch die Zukunft der FDP.

"Politik und Stil müssen zusammenpassen"

Die Liberalen im Südwesten haben seit dem 19. Jahrhundert für die Freiheitsrechte der Bürger gekämpft. Sie forderten Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Versammlungsfreiheit. Aber sie wandten sich genauso gegen die Engstirnigkeit der Abschottung, gegen die Zölle. Sie traten entschlossen für Weltoffenheit und den Freihandel ein. Sie waren tief in der Heimat verankert und zugleich für die deutsche und die europäische Einheit. Gibt es in den Tagen, da viele an der Europäischen Union, ihrer gemeinsamen Währung und den Vorzügen der globalen Zusammenarbeit zweifeln, eine modernere Haltung als jenen Lokal- und Regionalpatriotismus, der das Bekenntnis zum Zusammenhalt unseres Landes und Europas einschließt?

Führt die FDP-Fraktion im Mainzer Landtag: Herbert Mertin

Führt die FDP-Fraktion im Mainzer Landtag: Herbert Mertin

(Foto: dapd)

Die Liberalen haben sich immer auch als Teil einer Gemeinschaft gesehen, für die sie sich eingesetzt haben und nicht nur als isolierte Individuen. Mitgefühl braucht Nähe. Die vielen Facharbeiter, Ingenieure, Handwerker, Akademiker, Selbstständige, Bauern und Winzer, die sich und ihre Familien mit ihrer Arbeit ernähren und denen das Schicksal des Landes nicht gleichgültig ist, sind die Erben dieser Bürger- und Freiheitsbewegungen. Um sie muss sich die FDP wieder mehr kümmern.

Die FDP muss für die Interessen der Bürger kämpfen. Das bedeutet nicht nur eine Kampfansage gegen eine überbordende Bürokratie und für mehr unmittelbare Beteiligung der Bürger. Sondern es verlangt von der FDP auch dafür Sorge zu tragen, dass demnächst nicht wieder eine neue Spekulationsblase an den Finanzmärkten entsteht und alles auf dem Spiel steht, was die Menschen hart erarbeitet haben. Die Welt der FDP ist nicht die Glitzerwelt der Finanzjongleure. Die FDP muss vielmehr Anwalt der Bürger sein, die ihr Erspartes sicher in einer stabilen Währung anlegen wollen. Wollten die Menschen, dass mit den Früchten ihrer Arbeit gezockt wird, würden sie selbst ins Spielkasino gehen.

In Berlin und Brüssel sollte niemand vergessen, dass Deutschland ein föderaler Staat ist. Das hat ganz praktische Konsequenzen. Die wichtigsten noch ausstehenden Reformvorhaben der schwarz-gelben Koalition lassen sich nur durchsetzen, wenn sie im Bundesrat eine Mehrheit finden. In anderen wichtigen Politikfeldern haben die Länder die alleinige Kompetenz. Wenn die FDP ohne entsprechende Präsenz in den Ländern zu einer Dame ohne Unterleib wird, dann findet sie in wesentlichen Politikfeldern nicht mehr statt. Sie verliert ihre Bodenhaftung, ihr Kraftzentrum: die Nähe zu den Bürgern.

Das gilt etwa für die Bildungspolitik, die ganz maßgeblich über die Zukunftsfähigkeit eines Landes entscheidet. Ob in Deutschland die Kinder und Lehrer weiter als Versuchskaninchen für Bildungsexperimente herhalten müssen oder sich endlich wieder auf das Wesentliche, einen guten Unterricht, konzentrieren können, entscheidet sich bei den Landtagswahlen. Ob das Gymnasium wie unter Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen schrittweise abgeschafft und durch eine Einheitsschule ersetzt wird, bestimmen die Regierungen in Mainz, Stuttgart, Magdeburg, Hamburg und anderswo. Die Freien Demokraten streiten vor Ort für die Wahlfreiheit der Eltern und der Bürger. Sich an diesen Auftrag ihres historischen Erbes zu erinnern, ist ihr Stolz und ihre Stärke. In einer Welt, in der Nationalstaaten mehr und mehr Macht verlieren, in einem Europa der Regionen fallen zentrale Zukunftsentscheidungen in den deutschen Bundesländern. Die Grünen in Mainz werben damit, dass sie aus Rheinland-Pfalz Grünland-Pfalz machen wollen. In Stuttgart kämpfen sie trotz aller Vermittlung und Kompromissvorschläge gegen die Modernisierung des Bahnhofs. In derlei Utopien haben ausgebaute Straßen- und Schienen-Netze als Lebensadern des ländlichen Raums genauso wenig Platz wie bezahlbare Energien. Die FDP wird gebraucht, um solche Entwicklungen in den Ländern zu verhindern. Sie muss sich als notwendiges Korrektiv verstehen, als die bodenständige Basis- und Bürgerbewegung.

Bürgernähe und Graswurzel-Liberalismus

Es ist richtig, die FDP hat viele Erwartungen enttäuscht. Sie ging viel zu optimistisch in ihre Wunschkoalition mit den Unionsparteien, sie konnte in der Regierungsarbeit zu wenig von dem durchsetzen, was von ihr erhofft wurde. Doch auch wenn es sich die politische Konkurrenz und einige Medien noch so sehr wünschen - die Bürger haben die Liberalen nicht abgeschrieben. Sie haben mehr erwartet, doch sie sind durchaus bereit, der FDP wieder Vertrauen entgegenzubringen. Die Bürger erwarten jedoch von der FDP, dass sie Dreikönig nutzt. Sie muss deutlich machen, dass sie verstanden hat. Der Liberalismus braucht ein Signal der Entschlossenheit. Politik und Stil der FDP müssen zusammenpassen.

In einer Republik, in der die vier anderen in den Parlamenten vertretenen Parteien immer mehr Staat, immer mehr Regulierung, immer mehr Kujonierung der Bürger durchsetzen, wird eine Gegenkraft gebraucht. Die Freien Demokraten müssen wieder für Bürgernähe und Graswurzel-Liberalismus stehen. Die FDP muss ohne schrille Töne, aber mit klarer Kante, Bodenständigkeit und Sacharbeit deutlich machen, dass sie für die Interessen der Menschen kämpft, die Tag für Tag mit ihrer Arbeit unsere Gesellschaft tragen. Dann braucht es niemanden um die Zukunft des Liberalismus bange zu sein.

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