FDP: Guido Westerwelle:Die Nervensäge der deutschen Politik

Maßlose Wortwahl und realitätsblinde Forderungen nicht nur zu Hartz IV: Die FDP versteht gerade die Welt nicht mehr. Schuld daran ist allein sie selbst - weil die Liberalen so anmaßend sind, ihr gutes Wahlergebnis als Legitimation für den Umbau des Landes zu sehen.

Peter Fahrenholz

Franz Josef Strauß, der die FDP bekanntlich nie mochte, hat sie einst als "langsam verhasst gewordene Partei" geschmäht. Ganz so schlimm steht es heute noch nicht um die Liberalen. Aber sie tun derzeit alles, um sämtliche alten Vorurteile wieder aufleben zu lassen. Maßlos in der Wortwahl und realitätsblind in ihren politischen Forderungen, ist die FDP zur Nervensäge der deutschen Politik geworden.

Guido Westerwelle, dpa

Mit seiner Warnung vor "spätrömischer Dekadenz" hat Guido Westerwelle die Grenze von der üblichen Polemik zur blinden Hysterie überschritten. Hier sitzt der FDP-Vorsitzende zwischen seinen Parteifreunden, dem Generalsekretär Lindner und der Fraktionschefin Homburger

(Foto: Foto: Getty)

Wenn Guido Westerwelle im Zusammenhang mit dem Karlsruher Hartz-Urteil vor "spätrömischer Dekadenz" warnt und "geistigen Sozialismus" beklagt, ist die Grenze von der üblichen Polemik zur blinden Hysterie überschritten. Die FDP versteht im Moment buchstäblich die Welt nicht mehr.

Schuld daran ist freilich nicht die Welt, sondern die FDP selbst. Die knapp 15 Prozent bei der Bundestagswahl haben eine liberale Hybris ausgelöst. Die FDP tritt seither auf, als sei ihr Ergebnis Auftrag und Legitimation, das Land komplett umzubauen. Das ist ein Irrtum, wie die Umfragen zeigen. Selbst die Mehrheit der Koalitionsanhänger hält die Steuersenkungspläne der FDP für unseriös überzogen.

Anmaßende Liberale

Es ist aber auch eine Anmaßung. Mit 15 Prozent bestimmt keine Partei die Richtlinien der Politik. Die Union hat sicherlich schon bessere Tage gesehen, aber sie ist immer noch mehr als doppelt so stark wie die FDP. Es gibt keinen Grund für die Union, sich von den Liberalen die Agenda diktieren zu lassen.

Über ihren Partner ist die FDP verbittert und enttäuscht. Aber daran ist sie selber schuld, denn sie hat nicht ernst genommen, wie sehr sich die Union verändert hat. Das ist nicht mehr die Union von 2005, die mit einem neoliberalen Programm in die Wahl gezogen ist und damit beinahe gescheitert wäre. Die Beinahe-Niederlage ist in der Union zwar nie offen diskutiert worden, sie hat aber einen heilsamen Schock ausgelöst.

Bei CDU und CSU sind viele Positionen von damals längst passé, von der FDP werden sie unbeirrt weiter vertreten. Ganz so, als ob es nie eine Weltwirtschaftskrise gegeben hätte, die die marktradikalen Positionen eigentlich gründlich diskreditiert haben sollte. Die Liberalen wirken wie aus der Zeit gefallen. Westerwelles Parole von der "geistig-politischen Wende" erinnert an den frühen Helmut Kohl, und das ist jetzt fast 30 Jahre her.

Dabei gäbe es für eine Partei, die ihre liberale Identität ernst nimmt, genug zu tun. Die Integration von Millionen Migranten, eine bessere Bildungspolitik als Instrument, um ein immer weiteres Auseinanderdriften der Gesellschaft zu verhindern, eine intelligente Energiepolitik angesichts des Klimawandels - alles Themen, die eine liberale Partei beschäftigen müssten. Eine "geistig-politische Wende" dagegen braucht kein Mensch.

Die FDP gibt ihr eigenes Terrain leichtfertig preis. Für liberal gesonnene Bürger, die die Gesellschaft verändern wollen, ohne den Staat zu zertrümmern, sind die Grünen die viel interessantere Partei. Die FDP, die für sich in Anspruch nimmt, die politische Mitte zu verkörpern, hat sich von dieser Mitte selbst entfernt.

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