FDP:Eher Mehr­generationen­haus als Start-up

FDP: Von links nach rechts: Die FDP-Politiker Wolfgang Kubicki, Gerhart Baum und Otto Solms.

Von links nach rechts: Die FDP-Politiker Wolfgang Kubicki, Gerhart Baum und Otto Solms.

(Foto: dpa)

In kaum einer Partei wird um das Jungsein so ein Buhei gemacht wie bei den Liberalen. Dabei hat Christian Lindner längst gemerkt, dass sich nur mit 30-Jährigen eine Partei nicht führen lässt - und setzt auf einige Veteranen.

Von Mike Szymanski, Berlin

Gerhart Baum fischt in seiner Jacke nach seinem Telefon. Es klingelt nicht einfach nur. Das Handy quakt wie eine Ente. Die FDP ist dran.

Das Büro eines Bundestagsabgeordneten meldet sich. Baum, 85, ist eigentlich gerade verabredet, aber er will die Jungen nicht warten lassen. Er war Innenminister, als viele der Abgeordneten noch Kinder waren, von 1978 bis 1982.

Tags zuvor hat Baum im Bundestag einen Vortrag gehalten über die "Zehn Gebote für eine nachhaltige Welt", die Peter Menke-Glückert vor 50 Jahren formuliert hatte. Menke-Glückert, ein Liberaler, leitete die Umweltabteilung im Innenministerium; ein Umweltministerium gab es damals noch nicht. Baum war beim Stöbern darauf gestoßen und hatte keine Ruhe gegeben, bis die parteinahe Friedrich-Naumann-Stiftung und die FDP-Fraktion zur Diskussion darüber einluden.

Die Alten erklären den Jungen die Welt? Zuletzt hatte der 39-jährige Parteichef Christian Lindner den Eindruck erweckt, in seiner FDP, die sich an diesem Wochenende in Berlin zum Parteitag trifft, funktioniere es genau anders herum. In keiner anderen Partei wird gerade um das Jungsein so ein Buhei gemacht. Lindner hatte die Trümmer der FDP aufgesammelt, nachdem sie 2013 aus dem Bundestag geflogen war. Er formte daraus eine neue Partei. Wenn Lindner im Wahlkampf auftrat, dann saßen zuletzt lauter Mini-Lindners vor ihm. Männer in den Zwanzigern und Dreißigern, die so wirkten, als wollten sie wie Lindner sein: schon erfolgreich. Aber auch diese FDP kann nicht ohne ihre Alten und Erfahrenen. In Wahrheit ist die neue FDP ein Mehrgenerationenprojekt. Die Stärke der FDP heute - trotz der gescheiterten Jamaika-Koalition liegt sie in Umfragen bei etwa zehn Prozent - geht auch darauf zurück, dass viele am Erfolg mitarbeiten, selbst jene, für die Lindner keine Anschlussverwendung mehr hatte.

Als Christian Lindner in jener kalten Novembernacht 2017 den Spruch präsentierte, es sei besser, nicht zu regieren als falsch zu regieren, war natürlich spannend, wie nun die Altvorderen urteilen würden. Nicht nach der Macht zu greifen, ist untypisch für die FDP. Aber anders, als es zu erwarten gewesen wäre, blieb der Aufruhr aus. Nur Baum äußerte sich deutlich: "Die FDP hat einen Glaubwürdigkeits- und Vertrauensverlust erlitten", warf er Lindner vor. Es klang wie ein Bruch. Aber dem ist nicht so.

Lindner hat von Anfang an die Altvorderen miteinbezogen. Er weiß, was er an ihnen hat. Nachdem Lindner während der schwarz-gelben Regierung dem damaligen Parteichef Philipp Rösler das Amt des Generalsekretärs vor die Füße geworfen hatte, startete er sein Comeback mithilfe von drei Alt-Liberalen: Hans-Dietrich Genscher, Klaus Kinkel und Gerhart Baum sprachen sich 2012 in einem Wahlaufruf für den damals 33-Jährigen als Spitzenkandidaten bei der nordrhein-westfälischen Landtagswahl aus. Und er weiß, was es bedeuten kann, sie gegen sich zu haben. Als Rösler die Bundestagswahl 2013 in den Sand setzte und mit seiner FDP aus dem Bundestag flog, genügte einer, um ihm den Rest zu geben: Genscher gab damals zu Protokoll, Röslers Kampagne im Wahlkampf, die allein auf Zweitstimmen abzielte, sei "unwürdig" gewesen.

"Ich bin die Vergangenheit, du bist die Zukunft"

Noch in der Nacht der Wahlniederlage 2013 suchte Lindner sich sein Team für den Wiederaufstieg: Seine ersten Anrufe galten nicht allein den jungen Aufbauhelfern, sondern Hermann Otto Solms, 77, und Wolfgang Kubicki, 66. Solms und Kubicki haben jetzt wieder schöne Büros im Regierungsviertel. Sie sitzen im Zentrum der Macht. Kubicki sagte mal zu Lindner: "Ich bin die Vergangenheit, du bist die Zukunft." Aber so wichtig wie heute war Kubicki - formal nur Lindners Vize - noch nie. Und Solms? Der freut sich schon, darüber Auskunft zu geben, was so ein Alter wie er noch in der FDP verloren habe.

Solms war langjähriger Schatzmeister. Die Wahlniederlagen hatten die Partei auch finanziell dem Ruin nahe gebracht. Solms, der beste Kontakte zu den Spendern der Partei hat, sollte helfen, die FDP ökonomisch zu sanieren. Zunächst wollte er nicht. Die FDP retten, das müssten jetzt andere machen. Erst als die Mitarbeiter der Parteizentrale ihn beknieten, änderte er seine Meinung. Er gehörte jetzt wieder zum Kernteam der FDP, umgeben von vielen jungen wie smarten Leuten. Manche Strategiesitzungen hatten sie in den Räumen ihrer Kommunikationsagentur. In einem war ein Fels aufgebaut, mit einem kleinen Plateau. Solms kletterte da mal hoch und soll gesagt haben: "Von hier oben kann ich besser auf euch junge Leute aufpassen." Vor allem passte er aufs Geld auf. 2017 war nicht nur das Jahr, in dem die FDP die Rückkehr in den Bundestag schaffte. Es war auch das erfolgreichste Spendenjahr der FDP seit ihrer Gründung. Mehr als sechs Millionen Euro hatte sie eingenommen - genug, um den Bundestagswahlkampf zu bezahlen.

November 2017: Da wurde dann doch deutlich, was Baum und die Jungen so unterscheidet

Lindner hatte weniger einen Bruch mit den Alten generell vollzogen, als mit jenen, die zu Symbolfiguren für den Niedergang der FDP geworden waren. Deswegen meldete sich Lindner zwar bei Wolfgang Kubicki, aber nicht mehr bei Rainer Brüderle, dem Spitzenkandidaten bei der Wahl 2013. In Kubicki holte sich Lindner damals keinen Vertrauten an die Seite, sondern eher eine Art Geschäftspartner. Kubicki hatte zuvor mit der Parteispitze abgerechnet. Lindner sah in ihm den "Kronzeugen der Erneuerung". Als Bundestagsvize ist Kubicki der große Auftritt sicher. Mit dem Parteivorsitz und dem Vorsitz der Fraktion hat Lindner aber die Machtzentren nicht aus der Hand gegeben.

Ein Büro nahe Bahnhof Friedrichstraße in Berlin. Rainer Brüderle, 72, führt jetzt einen Arbeitgeberverband, den "Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste", wozu zum Beispiel Pflegeheime gehören. Er fühlt sich zu jung fürs Nicht-mehr-gebraucht-werden. Lindner wollte ihn nicht mehr in der ersten Reihe haben. In der FDP ist Brüderle nur noch Ehrenvorsitzender seines Landesverbandes Rheinland-Pfalz. Ab und zu tritt er auf. Das Publikum ist dann ein anderes, als wenn Lindner kommt: gesetzter. Im Schnitt sind die FDP-Mitglieder 52 Jahre alt, der Anteil der über 60-Jährigen liegt bei 34 Prozent.

Brüderle sagt, er hätte es genauso gemacht wie Lindner

Brüderle hat lange gebraucht, um seine neue Rolle zu akzeptieren. Seine Äußerungen zur Oberweite einer Journalistin hatten Anfang 2013 eine Sexismus-Debatte ausgelöst und hängen ihm nach. Danach war er nur noch der aus der Zeit gefallene Mann. Wie muss sich der schonungslose Bruch seitens der Lindner-FDP für ihn anfühlen? Brüderle sagt: "Die Wunden sind verheilt, die Narben bleiben." Er verstehe, dass Lindner dokumentieren musste: Wir sind etwas Neues. "Die FDP galt als unsympathisch. Es war auch der Stil, wie wir miteinander umgegangen sind. Nehmen wir an, Sie sind ein Sanierer. Was machen Sie? Alles infrage stellen und ein neues 'Produkt'. Ich hätte es genauso gemacht."

Das Café Savigny im Berliner Westen. Gerhart Baum hat sich Zeit genommen, um über seine FDP zu sprechen, über Lindner - und über seinen Platz in dieser Partei. Lindners Entscheidung, nicht in ein Jamaika-Bündnis einzusteigen, hatte ihn verstört. Er habe bei dem Vorsitzenden geradezu eine Erleichterung gespürt, nicht regieren zu müssen. Das sei es, was er nicht verstanden habe.

Natürlich müssten die Jungen heute die FDP führen, sagt Baum. Einerseits. Andererseits könne er auch nichts dafür, wenn er ständig von den Jungen gefragt werde. Er zwinge sich ja schon, sich zurückhalten. Aber "fast seine gesamte Lebensenergie" stecke in der FDP, jeden ihrer Schritte verfolge er "mit großer Aufmerksamkeit". Im Moment wirkt er genervt davon, dass so viel von Erneuerung die Rede ist.

Hermann Otto Solms hat damit kein Problem. "Das kommt gut an. Die Bürger sind voll im Bild. Sie sehen ja, wie sich die Welt um sie herum verändert", sagt er. Und Brüderle? Der sagt: "Die FDP-Anhänger sind unglaublich stolz, dass die Partei es wieder in den Bundestag geschafft hat. Sie können sich wieder am Stammtisch sehen lassen. Lindner hat uns aus der Bedeutungslosigkeit geführt." Nur eine Spitze erlaubt er sich dann doch: "Auch die Neudenker brauchen noch jemanden, der weiß, wie man Kaffee kocht. Wissen von gestern - das nennt man Erfahrung."

Wenn man diejenigen Menschen fragt, über die es in journalistischen Texten oft heißt, sie seien das "Umfeld" eines Politikers, in diesem Fall also Lindners - wenn man diese Menschen fragt, was die neue von der alten FDP unterscheidet, dann antworten sie: womöglich jene Novembernacht. Die alte FDP hätte sich entschieden zu regieren. Koste es, was es wolle. Lindners Nein war auch eine Art Emanzipation von den alten Kräften in der Partei. Nun muss Lindner ihnen noch beweisen, dass er richtigliegt.

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