Faymanns Rücktritt:Faymann lässt los

Austrian Chancellor Faymann addresses a news conference in Vienna

Bei seiner letzten Pressekonferenz als Bundeskanzler klammert sich Faymann ans Rednerpult.

(Foto: REUTERS)
  • Faymann stand schon lange auf verlorenem Posten: Kein Rückhalt mehr nach einem Dutzend verlorenen Wahlen, zu viel Widerstand gegen die Außenpolitik, keine Machtbasis mehr in einer hin- und hergerissenen Partei.
  • Der neue SPÖ-Chef Häupl war schon immer der heimliche Strippenzieher in der Partei.
  • Er übernimmt damit auch die Verantwortung für die Suche nach einem neuen Bundeskanzler.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Damit hatte nun wirklich niemand gerechnet. Dass er würde gehen müssen - ja. Aber dass er selbst gehen würde, und das noch so schnell - diese Nachricht platzte in den sonnig-warmen Montagvormittag in Wien wie die sprichwörtliche Bombe. Nur die engsten Parteifreunde und die Familie seien in seine Entscheidung eingebunden gewesen, betonte Werner Faymann bei seiner letzten Pressekonferenz im Kanzleramt am Ballhausplatz, während er sich mit den Händen so fest an das Stehpult klammerte, als drohe er sonst nach hinten in die stuckverzierte Wand zu kippen.

Nur wenige Journalisten waren überhaupt bei dem überraschend angesetzten Kurzauftritt anwesend, aber die staunten nicht schlecht. Faymann hatte, das wurde bei seiner Abschiedsrede schnell deutlich, offenbar nun selbst die Reißleine gezogen: "Dieses Land braucht einen Kanzler, wo die Partei voll hinter ihm steht. Die Regierung braucht einen Neustart mit Kraft. Wer diesen Rückhalt nicht hat, kann diese Aufgabe nicht leisten." Eine formale Mehrheit in Parlament und Regierung allein reiche eben nicht, sagte Faymann mit ungewohnter Demut.

Faymanns Rede ging in Buhrufen unter

Der 56-Jährige, der noch im vergangenen Herbst gemeinsam mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel als Symbolfigur der Willkommenskultur gegolten hatte, bezog auch auf den letzten Metern demonstrativ Stellung gegen jene Kritiker, die ihm eine opportunistische Kehrtwende in der Flüchtlingspolitik vorgeworfen hatten. Es sei richtig gewesen, in der Krise "eigene Maßnahmen zu setzen. Nicht, weil man irgendwo hinschwenkt, sondern, weil es die Realität verlangt". Deshalb habe die SPÖ die Obergrenze für Asylwerber befürwortet. "Dazu gab es viel Widerstand. Nicht zuletzt auch in meiner eigenen Partei", sagte Faymann.

Kein Rückhalt mehr nach einem Dutzend verlorenen Wahlen in Folge für Österreichs Sozialdemokratie, zu viel Widerstand von den Gegnern der neuen Außenpolitik, die einer Abschottungspolitik gleichkommt, keine Machtbasis mehr in einer hin- und hergerissenen Partei - das alles habe, kommentierte der Standard, den ums politische Überleben kämpfenden Kanzler zu einer "lame duck", zu einer lahmen Ente, gemacht. Nicht nur im In-, sondern auch im Ausland.

Wie schwach seine Position war, das hatte sich zuletzt am 1. Mai gezeigt, dem großen Tag der Sozialdemokratie und dem Hochamt des roten Wien. Faymann hatte eigentlich, wie jedes Jahr, beim Aufmarsch der Arbeiter vor dem Rathaus am Ende der Rednerliste gestanden, doch die 1.-Mai-Regie hatte ihn diesmal vorsorglich an den Anfang gestellt, um mögliche Demonstranten und Zwischenrufer, die später kamen, auszutricksen. Der Trick funktionierte nicht. Die Rede des Parteichefs ging in einem solchen Pfeif- und Buhkonzert der linken Partei-Jugend und von Kritikern des Regierungskurses unter, dass ein konsternierter Faymann nach wenigen Minuten aufgab.

Das ganze Land hatte eigentlich gespannt auf den 9. Mai gewartet. Erst am Montagabend, das hatte als ausgemacht gegolten, würde über das Schicksal des österreichischen Kanzlers und SPÖ-Vorsitzenden und damit quasi über seinen Kopf im Parteivorstand entschieden werden - nachdem sich schon eine ganze Reihe von Parteigremien, Parteimächtigen und Partei-Ohnmächtigen zu Wort gemeldet hatte. Faymann selbst hatte bis zuletzt klar signalisiert, er denke gar nicht daran zurückzutreten.

"Werner, lass los!", hatte ein Genosse ihn öffentlich aufgefordert; andere diskutierten darüber, dass der Chef der Österreichischen Bundesbahnen, der Manager Christian Kern, der bessere Kanzler und SPÖ-Chef wäre. Oder der frühere ORF-Intendant Gerhard Zeiler. Oder die frühere Siemens-Managerin Brigitte Ederer. Oder Kanzleramtsminister Josef Ostermayer. Oder, oder, oder. Die meisten Sozialdemokraten stellten sich, zumindest öffentlich, vorsichtshalber erst einmal noch hinter Faymann; es müsse jetzt, in der tiefen Krise der schwächelnden Sozialdemokratie, um Themen gehen, nicht um Personen.

Wie sehr sich Faymann über einzelne Angriffe geärgert hatte, wurde bei seinem Abschied deutlich: Offenbar waren über den Rückzug nur sieben der neun Landesparteichefs kurzfristig informiert worden, was als letzte Strafaktion des Zurückgetretenen an seinen schärfsten Kritikern gelten kann. Die Parteichefs von Salzburg und Oberösterreich, die sich für alternative Kandidaten eingesetzt hatten, mussten die Information den Medien entnehmen.

Neuwahlen im Frühherbst?

Wie geht es weiter? Diese Frage stellt sich nun der Regierung und der Partei. Der Innenpolitik-Chef des ORF musste, wenige Minuten nachdem die Sensationsmeldung mittags über den Sender gegangen war, "erst mal durchatmen", bevor er über die Konsequenzen spekulieren konnte. Eine halbe Stunde später folgte dann die zweite Sensation: Bis auf Weiteres übernimmt der Wiener Bürgermeister Michael Häupl die Parteigeschäfte. Erster Kommentar in der Presse: "Der wahre Parteichef ist nun auch der echte."

Häupl, seit mehr als 20 Jahren Chef in der Hauptstadt und heimlicher Herr der Partei, hatte schon in den vergangenen Tagen ausgelotet, wie es weitergehen könne im Land und in der Sozialdemokratie. Er gilt als der wichtigste Strippenzieher - sowohl inhaltlich als auch personalpolitisch. Nun soll der korpulente, blitzgescheite und zynische heimliche Boss die Verantwortung für die Nachfolgersuche übernehmen, bis die Gremien sich geeinigt haben. Dass Häupl langfristig den Kanzler geben will, glaubt derzeit kaum jemand, dass er den Kanzler machen will, ist anzunehmen.

Schnell war dann am Montag so viel klar: Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, Wirtschaftsminister und Vorsitzender des Koalitionspartners in der Regierung, der ÖVP, übernimmt bis auf Weiteres die Amtsgeschäfte von Faymann - bis sich die SPÖ auf jemanden geeinigt hat, der die Partei führen und vielleicht auch gleich als Regierungschef nachfolgen soll. Das muss jetzt schnell gehen, denn Noch-Bundespräsident Heinz Fischer, der demnächst aus dem Amt scheiden wird, dürfte traditionell den Kanzler der nach wie vor stärksten Fraktion vereidigen, und das ist - noch - die SPÖ.

Aber: Es wird Neuwahlen geben, wahrscheinlich schon im Frühherbst. Das steht außer Frage. Derzeit liegt die FPÖ in den Umfragen vorn. Deren Parteichef Heinz-Christian Strache rechnet fest damit, dass er Kanzler wird. Es könnte sich bei der Amtszeit des nächsten SPÖ-Bundeskanzlers in Österreich also womöglich um die historisch kürzeste handeln, welche die Republik je gesehen hat.

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