Fasten:Die neue Völlerei

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Die neue Enthaltsamkeit, sie sieht so aus: Der Alkohol bleibt ungetrunken, der Schweinsbraten ungegessen. Dafür aber wird im Internet gesurft. Getreu der Devise: Was brauche ich den Schampus, so lange ich twittern kann.

Von Hermann Unterstöger

Fasten 2016: Das klingt nach Agenda 2010 oder Web 2.0, lässt jedenfalls der Vermutung Raum, dass da ein spannender, womöglich sogar zeitenwendender Trend zu vermelden sei. So wild ist aber nicht, was die Krankenkasse DAKGesundheit unter dem Titel "Fasten 2016" nun publiziert hat. Meinungsforscher von Forsa hatten in ihrem Auftrag die Fastenszene analysiert, mit dem erwartbaren Resultat, dass die Leute eher Bier, Schnitzel und Süßigkeiten meiden, als dass sie aufs Internet verzichten oder das Smartphone in der Tasche lassen.

Das Ergebnis ist der Konstitution des Menschen angemessen. Von jeher verfügt er einerseits über den guten Willen, alles recht zu machen, und andererseits über eine Bequemlichkeit, die sich allzu steilen Vorsätzen wirksam in den Weg stellt. Einer der ältesten Doktorwitze handelt vom dem Arzt, der dem schon etwas angeschlagenen Patienten rät, es mit Wein, Weib und Gesang nicht länger zu übertreiben. "Dann sing ich halt weniger", erwidert der Mann, und so steht auch der Fastenkandidat 2016 vor uns: Was brauch ich Schampus, so lange ich twittern und whatsappen kann!

Es ist ein vergleichsweise junges Phänomen, dass Beschäftigungen wie das Autofahren oder jetzt das Onlinesein in die Fastenstrategien einbezogen werden. Das hat für viele etwas unwiderstehlich Vernünftiges und Zeitgemäßes. Da wird, so das allgemeine Gefühl, das leicht verstaubte Arsenal der Laster auf den neuesten Stand gebracht, wobei noch nicht entschieden ist, welchen der sieben klassischen Hauptlaster die Neulinge zuzuschlagen sind (am ehesten wohl der Völlerei, wahlweise auch der Wollust). Das Autofasten hat an Attraktivität wieder sehr verloren, und wie das mit der Onlinepräsenz ausgeht, muss sich erst noch zeigen. Kenner der Materie werden darauf hinweisen, dass die digitale Welt längst in unser alltägliches Bewusstsein eingewoben ist und dass die marottenhafte Überhöhung des temporären Offlineseins dieser Realität nicht gerecht wird.

Was brauch ich Schampus, so lange ich twittern kann?

Als das Fasten noch ein religiöses Gebot war, und zwar ein vergleichsweise strenges, unternahm man als Gläubiger natürlich alle Anstrengungen, sich in diesem Geflecht von Vorschriften halbwegs wohnlich einzurichten. In Bayern hilft dazu die in die vorösterliche Fastenzeit klug eingelagerte Starkbierzeit, der man mit scheinheiligem Bedauern Tribut zollt. Ebenso gleisnerisch gedenkt man des Spruchs "Flüssiges bricht das Fasten nicht", der in der theologischen Literatur aber durchaus differenziert behandelt wird. Es kommt nämlich auf die Flüssigkeit an: ob sie "rationem cibi" hat, also eine Speise vertritt. Und jene andere Geschichte, wonach ein Abt einst ein Spanferkel kurzerhand auf "Karpfen" getauft habe? Die kann man ins Reich der Schnurren verweisen - so verlottert war man in den Klöstern auch wieder nicht.

Der Kern des religiös geprägten Fastens ist weich geworden, und mit gutem Grund hält man sich heute an das schöne Wort Jesu, dass den Menschen nicht das verunreinige, was in ihn eingeht, sondern das, was an Bösem aus seinem Munde hervorgeht. Im Übrigen ist dem Fasten partiell Ähnliches widerfahren wie manch anderer kirchlichen Institution, die von einer schleichenden Säkularisierung erfasst wurde. Die Wallfahrt zum Beispiel steht zwar in dem Ruf, zu blühen wie in alten Zeiten, aber mittlerweile ist schwer zu unterscheiden, was an dieser Blüte der Frömmigkeit zuzuschreiben ist und was dem Tourismus oder dem sportlichen Ehrgeiz der Pilger. Auch beim Fasten hat sich eine seltsame Sportlichkeit breitgemacht. Man berichtet einander von Erfolgen, die eigentlich der Intimsphäre angehören. Gegen diese Art Angeberei richtet sich das Wort der Schrift, dem zufolge der, der fastet, im Verborgenen bleiben und - wichtig! - kein saueres Gesicht ziehen soll wie die Heuchler.

© SZ vom 10.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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