Fangquoten:Im Trüben

EU-Fischereiminister beraten über Fangquoten

Ausgelaugt: So bezeichnet Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) den Zustand der Dorschbestände in der Ostsee. Im Bild die Insel Poel.

(Foto: Jens Büttner/dpa)

Die EU hat dafür gesorgt, dass in der Ostsee weniger Dorsch gefangen werden darf. Nun kann der Fisch aufs Überleben hoffen. Der Beruf der Fischer aber stirbt aus - sagen die, die bisher mit ihren Kuttern hinausfuhren.

Von Peter Burghardt, Niendorf

Fischer neigen wahrscheinlich nicht zu unnötigen Worten, was soll das ständige Gerede. Die langen Tage auf See, das weite Meer, die stillen Fische. Das ist trotz neuer Technik, Gesetze und Befehle seit Jahrhunderten die Basis in einem der ältesten Berufe der Menschheit. Aus Lars Hauswald jedoch platzt am Steuerrad jetzt der Zorn heraus, wenn es um diese Vorgabe aus den Fischereiministerien der Europäischen Union geht. "Das ist eigentlich ein Berufsverbot für uns", schimpft er auf seinem Kutter im Niendorfer Hafen. "Wir sind vom Aussterben bedroht."

Funktionäre und Umweltschützer dagegen befürchten, die Dorsche seien vom Aussterben bedroht. Deshalb hat Brüssel zum Schutz des Dorsches, in der Nordsee Kabeljau genannt, gerade ein aufsehenerregendes Reglement erlassen. In der westlichen Ostsee, an der Niendorf liegt, dürfen im kommenden Jahr nur noch 56 Prozent weniger dieser beliebten Speisefische gefangen werden als 2015. Die Fangquote sinkt dann also um mehr als die Hälfte. In der östlichen Ostsee, ungefähr ab Höhe der dänischen Insel Bornholm, wird die erlaubte Fangmenge um 25 Prozent gekappt.

Auf diese Weise soll sich der Dorschbestand erholen. Ökologen geht das nicht weit genug. Sie klagen über den Einfluss der Fischerei-Industrie, so sei der Dorsch nicht zu retten. Wer allerdings wie die Familie Hauswald vor allem vom Dorsch lebt, für den ist diese Direktive der EU eine Katastrophe. "So haben wir keine Zukunft", sagt Lars Hauswald.

Sein Arbeitsplatz dümpelt sanft am Kai von Niendorf beim Timmendorfer Strand in Schleswig-Holstein. Manuela Hauswald heißt Hauswalds Kutter, benannt nach seiner Schwester, Kennzeichen SO03. 299 PS, Baujahr 1986 und damit eines der jüngsten Holzschiffe dieser Art in der Gegend, was manches über die Probleme der Branche erzählt. Lars Hauswald führt das Familienunternehmen in fünfter Generation, weshalb für ihn nicht nur sein Job auf dem Spiel steht, sondern eine Dynastie. Denn Fischerei ist trotz Computern, GPS und Radarsystemen in seinem Zweimannbetrieb an Bord auch ein Lebensgefühl. Ein Bauer auf dem Wasser, obwohl den Kampf mit Wetter und Behörden immer weniger Söhne aufnehmen wollen.

Es weht ein tückischer leichter Ostwind, deshalb wird an diesem kühlen Vormittag in der Lübecker Bucht kaum gefischt. Möwen kreischen, ein paar Einheimische und Touristen drehen die Runde an den Fischbuden, Yachten und Fischerbooten. Früher gab es allein im kleinen Niendorf 20 Fischkutter dieser Art, mit Stellnetzen und den umstrittenen Schleppnetzen. Jetzt sind es noch drei. Und bald nur noch zwei.

Denn Rüdiger Krüger mag nicht mehr, nach 44 Jahren. Seine Charlotte ist nur ein paar Schritte weiter vertaut, sein Vater hatte sie 1950 bauen lassen. Damals, als Dorsch nach dem Krieg einer der Fische war, die den Norden ernährten. Damals, als in Schleswig-Holsteins Ostsee Hunderte solcher Kutter unterwegs waren, geblieben sind 150. Rüdiger Krüger ist 60 Jahre alt und bekommt bald die Rente der Seemannskasse. Trotzdem hätte er unter anderen Umständen eventuell noch eine Zeit lang weitergemacht, Fischer gehen ja nicht so leicht in Pension. In dieser Form aber macht ihm das keinen Spaß mehr, und lohnen wird es sich nach seiner Rechnung erst recht nicht mehr. Nur Masse macht Kasse, weil die meisten Dorsch für kaum mehr als einen Euro pro Kilo auf Fischauktionen in Holland landen und nur beim Direktverkauf mehr einbringen.

Rüdiger Krüger mag nicht mehr. Nach 44 Jahren wird seine "Charlotte" bald abgwrackt

Einst durften sie alle zusammen 47 000 Tonnen Dorsch fischen, nun insgesamt ein Zehntel. Krüger hat für 2016 eine Restquote von 4,2 Tonnen übrig, das deckt nicht mal die Kosten. Danach macht er Schluss, kümmert sich um die Abwrackprämie für seine Charlotte, und vielleicht um sein Beiboot, mit dem er dann noch ein paar Dorsche, Plattfische oder Sprotten über die Reling ziehen könnte. Die Hochseeangelei mit Gästen hat er sowieso längst eingestellt. Künftig dürfen Angler in der Laichsaison der Dorsche noch drei Exemplare pro Tag erbeuten und sonst täglich fünf.

1972 hat Rüdiger Krüger angefangen, damals war das Meer noch mehr oder weniger Wildnis. Er erinnert sich, wie die Ostsee dann geteilt wurde, in einen westlichen und östlichen Teil, diese künstliche Grenze hat sogar den Mauerfall überstanden. Da warnte sein Onkel, dass die Zeit der freien Fischerei vorbei sei. Es folgten immer mehr Quoten und Kontrollen der EU, die zwischen ihren Mitgliedern und Flotten da sowie den Fischschwärmen und ihren Beschützern dort schlingert. Kleinere Fischer wie Krüger und Hauswald fühlen sich als Opfer von Politik und Wissenschaft (wobei Schleswig-Holsteins grüner Umweltminister Robert Habeck ihre Sorgen teilt und Finanzhilfen fordert). Sie klagen, man vertraue zu wenig dem Instinkt derer, die wie sie auf dem Meer unterwegs seien. Bevorteilt würden Konzerne, deren Riesentrawler durch die Meere pflügten. Und Polen und Russen machten eh, was sie wollen.

Rüdiger Krüger meint, dass in seinen Gefilden nicht weniger Dorsche unterwegs seien als früher. Die Forschung sieht das anders. Vom Verzehr raten Greenpeace und WWF deswegen ab - dennoch bleibt der Dorsch vorerst der milde Paradefisch in den Lokalen am Ufer der Ostsee. "Solange es ihn noch gibt", sagt ein Niendorfer Wirt, was in diesem Fall doppeldeutig klingt. Solange er noch schwimmt. Solange Europa noch erlaubt, ihn zu fangen.

Lars Hauswald wird sehen, wie es bei ihm weitergeht. Er ist erst 40. Bei der Jagd nach seinem Haupterwerb ging ihm kürzlich ein Bombenfund ins Netz, er war erschrocken. Zwischen den Dorschen hing ein 200 Kilo schweres Ungetüm: ein Stück V1-Rakete aus dem Weltkrieg.

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