Familienpolitik:"Ich bin es leid, ständig die alten Gräben zu schaufeln"

Lesezeit: 4 min

Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen will ideologische Kämpfe vermeiden - und plädiert für einen massiven Ausbau der Kinderkrippen.

Felix Berth

Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen plädiert für einen massiven Ausbau der Kinderkrippen. Bund, Länder und Gemeinden müssten dafür jährlich drei Milliarden Euro zusätzlich ausgeben, fordert die CDU-Politikerin.

Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen will 500.000 Kinderbetreuungsplätze schaffen. (Foto: Foto: AP)

SZ: Waren Ihre sieben Kinder eigentlich in Kinderkrippen?

Von der Leyen: Nein, wir hatten eine Tagesmutter, seit unser erstes Kind ein Jahr alt war. In dem niedersächsischen Dorf, in dem wir leben, hätte es gar keine Krippe gegeben.

SZ: Grundsätzliche Vorbehalte gegen Krippen haben Sie nicht?

Von der Leyen: Nein. Ich habe Cousins und Cousinen, die ihre kleinen Kinder betreuen lassen - sie machen, soweit ich beurteilen kann, gute Erfahrungen.

SZ: Viele Deutsche sind skeptisch, wenn Kleinkinder betreut werden. Denn: "Kinder unter drei Jahren brauchen die Mama."

Von der Leyen: Kinder brauchen ihre Mutter weit über das dritte Lebensjahr hinaus. Auch den Vater brauchen Kinder von Anfang an. Doch aus der Säuglingsforschung wissen wir, dass sich am Ende des ersten Lebensjahres der Horizont eines Kleinkindes erweitert: Es interessiert sich für andere Kinder, auch für andere Erwachsene. Früher wurde dieses Interesse in der Großfamilie befriedigt. Heute sind die Familien klein, Geschwister sind nicht selbstverständlich, deshalb können Spielgruppen und auch Kinderkrippen das unterstützende Netz bilden.

SZ: Der sächsische Kultusminister Steffen Flath - Ihr Parteifreund - hat gerade vor "sozialistischen Verhältnissen" gewarnt: Die Krippen der DDR hätten zahlreichen Kindern geschadet. So etwas dürfe ein freiheitlicher Staat wie die Bundesrepublik nicht kopieren.

Von der Leyen: Ich finde es bedenklich, wenn der sächsische Kultusminister die Kindertagesstätten im eigenen Bundesland ausgerechnet mit der gottlob überwundenen DDR vergleicht. Wir sollten uns mit Ländern messen, die seit Jahrzehnten ein hervorragendes System der frühkindlichen Bildung und Betreuung entwickelt haben - etwa mit Frankreich oder den skandinavischen Staaten.

Die Kinder dort sind wohlauf, sie leben seltener in Armut, und in Bildungsvergleichen schneiden sie oft besser ab als Kinder aus der Bundesrepublik. Außerdem werden dort mehr Kinder geboren - und zugleich sind mehr Mütter erwerbstätig. Das sollte uns zu denken geben.

SZ: Die Bildungserfolge dürften aber vor allem an den Schulen liegen.

Von der Leyen: Stimmt, doch der gute Start beginnt lange vor der Schule.

SZ: Herr Flath sieht das anders.

Von der Leyen: Mag sein. Doch mich überrascht, dass ein Minister aus den neuen Bundesländern so argumentiert. Sachsen leidet bitter unter der Abwanderung junger Frauen. Wenn die Regierung ihnen das Signal gibt, dass sie wegen der Kindererziehung jahrelang aus dem Beruf ausscheiden sollen, dann wird sich die demografische Situation Sachsens nicht verbessern.

SZ: Vor allem Kinderärzte hatten lange Zeit Bedenken gegen frühkindliche Betreuung außerhalb der Familie. Sie fürchteten, solche Kinder hätten Schwierigkeiten, Bindungen einzugehen.

Von der Leyen: Die Bindungsforschung der letzten Jahre hat gezeigt, dass ein Kleinkind in der Tat verlässliche Beziehungen braucht. Doch das heißt nicht, dass ein und dieselbe Person 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche und 52 Wochen im Jahr zur Stelle sein muss. Eine Mutter, die frustriert zuhause sitzt, ihr Kind fernsehen lässt und mit Süßigkeiten abfüllt, hat keine aktive Beziehung zu dem Kind. Wenn eine Mutter zufrieden ist mit ihrer Lebensperspektive, kann sie leichter eine zugewandte, liebevolle Mutter sein - insbesondere, wenn auch der Vater seinen Part übernimmt.

SZ: Leicht haben Sie es mit solchen Positionen in der eigenen Partei nicht.

Von der Leyen: Ich beobachte eine wachsende Zustimmung, auch in der eigenen Partei. Seit wir das Elterngeld eingeführt haben, wird das deutlich. Junge Frauen fragen mich ständig: Was mache ich im zweiten Lebensjahr des Kindes, wo bleibt der nächste Schritt der Politik?

SZ: Und: Wo bleibt er?

Von der Leyen: Wir müssen an drei Stellen besser werden: Wir müssen mehr Angebote für Kinder unter drei Jahren schaffen. Dabei müssen wir uns enorm anstrengen, denn es geht darum, von einem der hintersten Ränge in Europa zumindest zu einem Platz über dem Durchschnitt zu kommen. Bis spätestens 2013 muss es zusätzlich 500.000 Betreuungsplätze geben, in Krippen und bei Tagesmüttern. Damit haben dann 35 Prozent aller Kinder unter drei Jahren ein Angebot. Außerdem ist eine Qualitätsoffensive notwendig.

Dazu gehört zum Beispiel, dass die Öffnungszeiten noch flexibler werden und die Ausbildung der Erzieherinnen weiter verbessert wird. Wir könnten Modellprojekte für Bachelor-Studiengänge entwickeln - in allen anderen europäischen Staaten werden Erzieherinnen längst an Hochschulen ausgebildet. Wir müssen zudem sicherstellen, dass die Kindertagesstätten eng an die Elternhäuser angebunden werden.

SZ: 500.000 zusätzliche Plätze in Krippen und bei Tagesmüttern - wie wollen das finanzieren?

Von der Leyen: Ich gebe zu, es ist ein großer Schritt. Wir gehen davon aus, dass dies jährlich etwa drei Milliarden Euro kosten würde - zusätzlich zu den Summen, die frei werden, weil die Zahl der Kinder von Jahr zu Jahr sinkt. Doch es geht um eine zentrale Frage: Trauen wir uns zu, auf diesem Gebiet Entscheidendes für die nächsten zwanzig, dreißig Jahre zu leisten? Wir wissen, dass jedes dritte Kind einen Migrationshintergrund hat.

Die Weichen für ihre Bildungskarrieren werden am Anfang gestellt - deshalb entscheidet sich hier, ob auch diese Kinder in den nächsten Jahrzehnten in der Lage sind, unser Land wettbewerbsfähig zu halten. Drei Milliarden Euro sind hier gut angelegt, auch wenn man die Relationen sieht: Insgesamt gibt die Bundesrepublik pro Jahr 184 Milliarden Euro für Familienleistungen aus. Da müssen drei Milliarden zu schaffen sein.

SZ: Dafür ist jedoch nicht die Bundespolitik zuständig.

Von der Leyen: Ich möchte in einem Pakt für Kinder mit den Ländern und den Kommunen Wege finden, wie die Finanzierung der drei Milliarden möglich wäre. Wenn dafür das Grundgesetz geändert werden müsste, sollte es daran nicht scheitern.

SZ: Und welchen Teil der drei Milliarden übernimmt der Bund?

Von der Leyen: Das heute festzulegen ist zu früh.

SZ: Ihr Ministerium könnte einen Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz ab dem ersten Lebensjahr festschreiben. Halten Sie das für sinnvoll?

Von der Leyen: Es wäre nicht das erste Mittel, sondern die ultima ratio. So haben wir das auch im Koalitionsvertrag festgelegt: Wenn sich Ende 2008 zeigt, dass zehn Prozent der Kommunen die Ausbau-Ziele verfehlen, setzt der Bund einen Rechtsanspruch ab 2010 durch.

SZ: Das dürfte mit Ihren Parteifreunden nicht einfach werden.

Von der Leyen: Neue Wege sind nie einfach. Man fängt immer mit wenigen Mitstreitern an. Aber am Elterngeld sieht man, dass es funktionieren kann.

SZ: Ihre Vorstellungen unterscheiden sich allenfalls minimal von denen Ihrer sozialdemokratischen Vorgängerin Renate Schmidt. Wie erklären Sie das?

Von der Leyen: Uns eint, dass jede versucht hat, mit mehreren Kindern einen anspruchsvollen Beruf auszuüben. Wir haben beide bittere Erfahrungen gemacht - und wir tun etwas dafür, dass unseren Töchtern und Söhnen solche Erfahrungen erspart bleiben.

Ich bin es leid, in der Familienpolitik ständig die alten Gräben zu schaufeln. Ich orientiere mich an Frankreich und Skandinavien, wo wechselnde Regierungen jahrzehntelang konsequente Familienpolitik betrieben haben. Stets ging es dort um die Frage, wie man den Familien in einer modernen Welt das Leben erleichtert - und nicht um die Frage: Wie bediene ich meine Ideologie?

© SZ vom 09.02.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: