Familien-Pflegezeit:Ein Angebot mit Charme

Familienministerin Kristina Schröder will den Pflegenotstand lindern. Doch dafür zahlen soll nicht der Staat - sondern Familien und Unternehmen.

Stefan Braun und Sibylle Haas

Richtig konkret ist Christina Schröder in ihrer kurzen Amtszeit bisher nicht geworden. Es gab Fotos von der Verlobung der damaligen Kristina Köhler, es gab Fotos von der Hochzeit mit dem Staatssekretär Ole Schröder, und dazu gab es allerlei Nachrichten über die Bemühungen der Bundesfamilienministerin, im Internet ihre Kommunikation mit Anhängern zu verbessern.

Dass sie mit ihrem Ministeramt auch inhaltlich etwas vor hat, ist bislang nicht wirklich erkennbar geworden. Das soll sich offenbar ändern. Die 32-Jährige hat nun vorgeschlagen, den Angehörigen von Pflegebedürftigen stärker unter die Arme zu greifen.

Sie sucht sich damit ein Handlungsfeld, das zentral ist im Zusammenleben in einer Gesellschaft. Und sie hat damit offensichtlich auch einen Bereich für sich ausgewählt, in dem ihre politisch bislang so übermächtige Vorgängerin Ursula von der Leyen, salopp gesagt, Platz gelassen hat.

Dem Staat entgehen nur wenig Steuergeld

Im Kern schlägt Kristina Schröder vor, Angehörigen von Pflegebedürftigen mehr Zeit für die Pflege ihrer Eltern, Geschwister oder Kinder zu geben. Schröder will einen Rechtsanspruch auf eine Familien-Pflegezeit von zwei Jahren einführen. In dieser Zeit könnte der Pflegende seine Arbeitszeit auf die Hälfte reduzieren und würde von seinem Arbeitgeber, um davon leben zu können, trotzdem 75 Prozent des Gehaltes bekommen.

Nach der zweijährigen Pflegezeit würde er wieder voll arbeiten und die nächsten zwei Jahre weiter nur 75 Prozent des Lohnes erhalten. Damit wäre sein Arbeitszeit- und Lohnkonto nach vier Jahren wieder ausgeglichen.

Der Charme für die Politik ist eindeutig: Dem Staat würden kaum Mehrkosten entstehen, den Großteil der Konsequenzen würden erst die Unternehmen übernehmen und danach die Arbeitnehmer wieder ausgleichen. Wer sehr fiskalisch rechnet, erkennt an Schröders Vorschlag allenfalls, dass dem Staat ein wenig Steuergeld verlorengeht. Und das auch nur zeitweise.

Dem Vorwurf, die Zeche müssten vor allem die Unternehmen tragen, kontert Schröder in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit dem Gegenargument, heute schon seien die Unternehmen mit dem demographischen Wandel und seinen Folgen, also nicht zuletzt wachsenden Pflegeaufgaben, konfrontiert. ,,Ich glaube, dass es sich Unternehmen im Wettbewerb um qualifizierte Mitarbeiter nicht mehr leisten können, hier nicht flexibel zu sein'', so Schröder.

Man fühlt sich tatsächlich ein wenig an Ursula von der Leyen erinnert. Sie, die in der Union für so viel Ärger und so viel Veränderung gesorgt hat, argumentierte nicht selten mit exakt den gleichen Worten: Unternehmen könnten es sich im Wettbewerb um qualifizierte Mitarbeiter nicht mehr leisten...

Familienpflegezeit gibt es nicht zum Nulltarif

Das zeigt immerhin, dass Schröder dazugelernt hat. Hinzu kommt eine gewisse Chuzpe. Ihre Idee verlangt von anderen etwas, ihre Idee soll etwas am Notstand verbessern. Dass der Staat selbst zusätzliche Lasten tragen könnte - davon ist bei Schröder bislang keine Rede.

Entsprechend gemischt fallen die ersten Reaktionen aus. Die Sozialverbände begrüßen den Vorschlag, verlangen aber Nachbesserungen. Pflegende Angehörige dürften nicht schlechtergestellt werden als Väter und Mütter in der Elternzeit, hieß es beim Paritätischen Wohlfahrtsverband in Berlin.

Der Vorschlag der Ministerin könne daher nicht das letzte Wort sein. "Im Grunde handelt es sich hier um eine Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich", kritisierte der Verbandsvorsitzende Eberhard Jüttner. "Pflegende Angehörige brauchen die gleiche Absicherung wie junge Eltern mit Elternzeit und Elterngeld."

Auch die Deutsche Hospiz-Stiftung mahnt, die Familienpflegezeit könne es nicht zum Nulltarif geben. "Es ist nicht sinnvoll, wenn Frau Schröder von vornherein die Bedingung stellt, ihre Initiative dürfe nichts kosten", sagte der Geschäftsführende Vorstand der Patientenschutzorganisation, Eugen Brysch. "Gute Pflege ist ein Wert, der nicht länger kleingerechnet werden darf", kritisierte er.

Professionelle Hilfe sei weder durch Angehörige noch durch hilfsbereite Laien zu ersetzen. Notwendig seien Entschlossenheit und umfassende Konzepte.

Zurückhaltend reagierte auch die deutsche Wirtschaft. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt sagte, die Unternehmen setzten auf flexible Arbeitszeitmodelle und nicht auf gesetzliche Regelungen. "Angesichts der andauernden Wirtschafts- und Finanzkrise darf es keine weiteren Belastungen für Arbeit und Beschäftigung geben", so Hundt.

Lieber noch einmal durchrechnen

Es koste Geld, wenn Arbeitnehmer ihre Firma verlassen, bevor die durch die Pflegezeit unterbliebene Arbeit nachgeholt sei. "Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen und Arbeitsverträge bieten individuelle und umfassende Möglichkeiten, um Angehörige zu pflegen", sagte Hundt. Die Metallarbeitgeber lehnen gesetzliche Regelungen ebenfalls ab. Die Pflege sei zwar ein wichtiges Thema.

Aber dafür gebe es heute schon genügend Möglichkeiten, Arbeitszeit-Guthaben anzusparen, auch über mehrere Jahre. "Solche Guthaben sind flexibel einsetzbar, für Auszeiten, für Weiterbildung, natürlich auch für die Pflege von Angehörigen", sagt der Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, Martin Kannegiesser.

Das klingt nicht nach großer Unterstützung. Im Gegenteil. Zumal die Opposition, anders als einst in Zeiten von der Leyens, nicht etwa Unterstützung signalisiert, sondern Widerstand ankündigt. Zu sehr scheint ihr Vorschlag noch zu Lasten Dritter zu gehen. Schröder selbst sagt, gewisse Dinge wolle sie noch durchrechnen lassen. Das scheint dringend nötig zu sein. Wenn ihr die Pflege wirklich so wichtig ist, dann erhöht sie ihre Glaubwürdigkeit nur, wenn sie selbst für ihre Idee einen Preis zu zahlen bereit ist.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: