Fall Skripal:"Einfach weggehen und die Klappe halten"

Fall Skripal: Die britische Regierungschefin Theresa May besucht in Salisbury den Tatort, an dem Sergej Skripal und seine Tochter Julia vergiftet wurden.

Die britische Regierungschefin Theresa May besucht in Salisbury den Tatort, an dem Sergej Skripal und seine Tochter Julia vergiftet wurden.

(Foto: AFP)
  • Im Fall Skripal verschärft Großbritannien den Ton gegenüber Russland - und Moskau droht seinerseits.
  • Auch Russland werde "sehr bald" britische Diplomaten ausweisen, wird Außenminister Lawrow zitiert.
  • Der 66-jährige Ex-Spion Skripal und seine Tochter sind Anfang des Monats vergiftet worden - und kämpfen seitdem um ihr Leben.
  • Der Fall führt in Großbritannien auch zu innenpolitischem Streit.

Von Alexander Menden, London, und Daniel Brössler, Brüssel

Die Worte werden hin und her geschleudert. Der Giftanschlag auf den Ex-Doppelagenten Sergej Skripal ist längst mehr als ein britisch-russischer Streit, die Fronten sind verhärtet. Schon in der Nacht zu Donnerstag war das im UN-Sicherheitsrat zu beobachten, als sich Großbritannien und Russland bei einer Sondersitzung einen Schlagabtausch lieferten.

Premierministerin Theresa May sorge für eine "hysterische Atmosphäre", giftete der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja. London werde sich nicht von Moskaus "Leugnungen, Ablenkungen und Drohungen" beirren lassen, konterte der britische UN-Botschafter Jonathan Allen.

Nachdem May am Mittwoch neben einer Reihe weiterer Sanktionen die Ausweisung von 23 russischen Diplomaten angekündigt hatte, reagierte Moskau am Donnerstag in ähnlicher Manier: Auch Russland werde "sehr bald" britische Diplomaten ausweisen, zitierte die Nachrichtenagentur RIA den russischen Außenminister Sergej Lawrow. Der 66-jährige Ex-Spion Skripal und seine Tochter waren Anfang des Monats im südenglischen Salisbury bewusstlos gefunden worden. Sie kämpfen seitdem in einer Klinik um ihr Leben. Bei dem Anschlag wurde nach britischen Angaben ein Nervengift eingesetzt, welches das sowjetische Militär in den Siebziger- und Achtzigerjahren entwickelt hat.

Der britische Verteidigungsminister Gavin Williamson schlug bei einer Rede in Bristol am Donnerstag einen harschen Ton an. Er wiederholte die Einschätzung der Regierung, Russland stehe hinter Skripals Vergiftung. "Offen gesagt sollte Russland jetzt einfach weggehen und die Klappe halten", so Williamson. Der Verteidigungsminister kündigte einen Finanzierungsschub von 48 Millionen Pfund für das Zentrum der britischen Chemie- und Biowaffenforschung in Porton Down an.

Das nur etwa zehn Kilometer von Salisbury entfernt liegende Labor hatte das Gift, das gegen Skripal verwendet wurde, als den sowjetischen Nervenkampfstoff Nowitschok identifiziert. Porton Down solle nun zum "Chemiewaffen-Verteidigungszentrum" ausgebaut werden, um für die wachsende Bedrohung gewappnet zu sein, die laut Williamson "nicht nur von Russland" ausgehe. Zudem werden Tausende britischer Soldaten vorsorglich gegen Milzbrand-Erreger geimpft werden, die ebenfalls als biologischer Kampfstoff eingesetzt werden können.

Die Nato positioniert sich eindeutig

Auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg positionierte sich am Donnerstag eindeutig und griff Moskau scharf an: Er sieht den Mordfall Skripal "vor dem Hintergrund des Musters eines rücksichtslosen russischen Verhaltens seit vielen Jahren". Dies reiche von der Annexion der Krim über die Unterstützung der Separatisten in der Ostukraine und die russische Militärpräsenz in Moldau sowie Georgien bis zur Einmischung in Montenegro und anderen Staaten des westlichen Balkan. Hinzu komme eine russische Aufrüstung von Nordeuropa bis zum Nahen Osten. Auf gefährliche Weise verwische Russland in seiner Militärdoktrin zudem die Grenzen zwischen konventioneller und nuklearer Kriegsführung.

"Die Antwort der Nato wird standhaft, defensiv und verhältnismäßig sein", sagte der Generalsekretär am Donnerstag in Brüssel. Den Dialog im Nato-Russland-Rat wolle man aber fortsetzen. Eine weitere Sitzung werde vorbereitet. "Der Dialog ist schwierig. Aber er ist von vitaler Wichtigkeit, um die Transparenz zu erhöhen und Risiken zu verringern", so Stoltenberg.

In London entfacht der Angriff auf den Ex-Doppelagenten auch einen innenpolitischen Streit

Zu beobachten war am Donnerstag in London auch, dass der Fall Skripal das Königreich nicht durchgehend eint, sondern einen innenpolitischen Streit befeuert, der sich am Labour-Parteivorsitzenden Jeremy Corbyn entzündet. Er hatte im Unterhaus die Vergiftung Skripals zwar verurteilt, aber gemahnt, die Reaktion müsse "mit den Gesetzen in Einklang" sein und "auf klaren Beweisen basieren". Er fragte May, ob sie der russischen Forderung nach Übersendung einer Probe des in Salisbury verwendeten Giftes entsprochen habe.

Besonders wütende Reaktionen seitens der Tory-Abgeordneten hatte Corbyn für seine Bemerkung geerntet, es sei "überaus bedauerlich", dass der britische diplomatische Dienst in den vergangenen fünf Jahren Budgetkürzungen von 25 Prozent habe hinnehmen müssen. Das verstanden viele als Kritik an der Regierung, zu wenig Energie in eine diplomatische Lösung des Konflikts mit Russland zu investieren.

Corbyns Äußerungen wurden von Medien und Politikern aller Parteien verurteilt. Sammy Wilson, ein Abgeordneter der nordirischen Democratic Unionist Party, bezichtigte ihn des "Appeasements", der Tory Mark Francois sagte, Corbyn könne "sich einfach nicht dazu durchringen, Russland zu tadeln", weil er ein "Apologet des russischen Staates" sei. Auch von Labour kam Kritik am eigenen Vorsitzenden. So sagte der Abgeordnete John Woodcock, "in Zeiten wie diesen" müsse das Unterhaus "mit einer Stimme für die Nation sprechen". Die Premierministerin könne sicher sein "dass eine klare Mehrheit der Labour-Abgeordneten gemeinsam mit den Vorsitzenden aller anderen Parteien ihre entschlossene Haltung" unterstützten.

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