Fall Sami A.:Böser Verdacht

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Falls die zuständigen Behörden in Deutschland mit der Abschiebung von Sami A. demonstrieren wollten, dass der Staat im Umgang mit unerwünschten Ausländern gut und richtig handelt, dann ist ihnen das auf atemberaubende Weise misslungen.

Von Ferdos Forudastan

Falls die zuständigen Behörden und Politiker mit der Abschiebung von Sami A. nach Tunesien demonstrieren wollten, dass der Rechtsstaat funktioniert, dann ist ihnen das auf atemberaubende Weise misslungen. Wie Deutschland sich des mutmaßlichen Leibwächters von Terroristenchef Osama bin Laden entledigt hat, zeigt eines sicher nicht: dass Maßstab staatlichen Handelns in diesem Fall das Recht war. Und dass die Verantwortlichen auch nur eine Ahnung davon haben, was politisch klug ist.

Da wird ein Mann abgeschoben, obwohl das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen genau das untersagt hatte. Da redet sich das Flüchtlingsministerium in Nordrhein-Westfalen damit heraus, dass das Fax mit der Entscheidung der Richter zu spät eingetroffen sei. Dabei hätten die Beamten wissen müssen, dass diese Entscheidung ausstand. Und ihnen war sicher bekannt, dass es nicht nur gute Praxis, sondern dass es in solchen Fällen auch verfassungsrechtlich geboten ist zu warten, bis die Richter zu einem Beschluss gekommen sind. Wäre es anders, würde nichts Geringeres leerlaufen als die Rechtsschutzgarantie in Artikel 19 Grundgesetz. Wenn Behörden Fakten schaffen, bevor das zuständige Gericht endgültig über die Klage gegen eine Anordnung entschieden hat, ist die Verfassungsbestimmung nicht das Papier wert, auf dem sie steht. Mehr noch, dann machen sich die Beteiligten der Rechtsschutzverhinderung schuldig.

Man möchte den Mann nicht im Land haben. Trotzdem war die Abschiebung auszusetzen

Als wäre es nicht schlimm genug, dass staatliche Stellen sich über Verfassungsrecht hinwegsetzen, kommt nun auch noch ein böser Verdacht hinzu: dass beteiligte Behörden die Gelsenkirchener Richter getäuscht haben. Hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) dem Verwaltungsgericht bewusst suggeriert, Sami A. werde vorerst nicht abgeschoben? Wollte es damit verhindern, dass die Richter einen Zwischenbeschluss fassen, der dieser Abschiebung vor einer endgültigen Entscheidung des Gerichts im Weg steht? Falls die Antwort Ja lautet, dann wäre das ein außerordentlich gravierender Vorgang. Dann könnte der neue Chef des Bamf seinen Schreibtisch gleich wieder räumen. Dann würde zu Recht auch der Stuhl des Bundesinnenministers wackeln. Horst Seehofer ist übrigens nicht nur oberster Dienstherr des Flüchtlingsamts. Ihm untersteht ebenso die Bundespolizei. Und sie, verantwortlich für die Organisation des Flugs, musste den Abschiebetermin auf jeden Fall kennen. Sollten nordrhein-westfälische Behörden das Gelsenkirchener Gericht hinters Licht geführt haben, dann hätte der hierfür Verantwortliche zu gehen.

Ja, Rechtsstaat kann manchmal sehr anstrengend sein. Man möchte Sami A., einen mutmaßlichen Helfershelfer des früheren Al-Qaida-Chefs, einen Islamisten, einen möglichen Gefährder, zwar nicht im Land haben. Aber es war trotzdem richtig, die Abschiebung in seine Heimat Tunesien so lange auszusetzen, wie ihm dort Folter drohte - weil unsere Gesetze das aus gutem Grund verbieten. Und es ist, egal wie Tunesien sich nun dazu verhält, egal ob es Sami A. jemals frei- und ausreisen lässt, auch nachvollziehbar, dass die Richter die Rückholung des Mannes verlangt haben. Denn seine Abschiebung war in Anbetracht der Umstände schlicht und einfach rechtswidrig. Das zu ignorieren, wie dies AfD und Teile der CSU tun, heißt nichts weniger, als den Rechtsstaat zu missachten.

© SZ vom 16.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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