Fall Oury Jalloh:Erneuter Verdacht nach zwei Prozessen

Fall Oury Jalloh: Gendenken im Dessauer Polizeirevier - an den aus Sierra Leone stammende Flüchtling Oury Jalloh.

Gendenken im Dessauer Polizeirevier - an den aus Sierra Leone stammende Flüchtling Oury Jalloh.

(Foto: imago stock&people)
  • Vor zwölfeinhalb Jahren verbrannte der Asylbewerber Oury Jalloh in einer Polizeizelle in Dessau.
  • Zwei Prozesse konnten den Mordverdacht gegen die diensthabenden Polizisten nicht aus der Welt schaffen. Ein Fernsehbericht erhebt erneut Vorwürfe.
  • Ein Vermerk des früheren Oberstaatsanwalts deutet darauf hin, dass er Mordverdacht schöpfte. Nun will er sich jedoch nicht äußern.

Von Hans Holzhaider

München - Es gibt, wieder einmal, Bewegung im Fall Oury Jalloh. Von einer "dramatischen Wende" berichtet das WDR-Politmagazin "Monitor". Es beruft sich auf "Ergebnisse der jüngsten Gutachten und Brandversuche" sowie auf ein "Schreiben" des Leiters der Staatsanwaltschaft Dessau, Folker Bittmann. Darin, so Monitor, gehe Bittmann "von einem begründeten Mordverdacht aus" und nenne sogar "konkrete Verdächtige aus den Reihen der Dessauer Polizeibeamten".

Der aus Sierra Leone stammende Asylbewerber Oury Jalloh war am 7. Januar 2005 in einer Haftzelle im Polizeirevier Dessau verbrannt. Die Frage, wie es dazu kommen konnte, war Gegenstand zweier Strafprozesse gegen den Polizeibeamten Andreas S., der zum Zeitpunkt des Brandes Dienstgruppenleiter im Dessauer Polizeirevier war. Die Staatsanwaltschaft ging in beiden Prozessen davon aus, dass Jalloh die Matratze, auf der er angekettet war, mit einem Feuerzeug selbst in Brand gesteckt habe. Dem Polizeibeamten wurde lediglich zur Last gelegt, er habe auf den durch einen Rauchmelder ausgelösten Alarm nicht schnell genug reagiert und so den Tod Jallohs fahrlässig verursacht. Andreas S. wurde im ersten Prozess vor dem Landgericht Dessau nach mehr als 20-monatiger Verhandlung freigesprochen. In Erinnerung blieben die Schlussworte des Vorsitzenden Richters Manfred Steinhoff: "Ich habe keinen Bock, zu diesem Scheiß noch irgendwas zu sagen." Nachdem der Bundesgerichtshof das Urteil aufgehoben hatte, wurde Andreas S. im Dezember 2012 vom Landgericht Magdeburg zu einer Geldstrafe verurteilt.

Unter dem Eindruck eines Brandversuchs fertigte Bittmann den Vermerk

Die internationale Unterstützergruppe, die von Anfang an mit der Parole "Oury Jalloh - das war Mord" durchs Land gezogen war, gab 2013 selbst ein Brandgutachten in Auftrag. Der in Irland lebende Sachverständige Maksim Smirnou kam zu dem Ergebnis, der Zustand der völlig verkohlten Leiche Jallohs sei nur durch den Einsatz großer Mengen eines Brandbeschleunigers erklärbar. Daraufhin veranlasste Oberstaatsanwalt Bittmann die Wiederaufnahme der Ermittlungen im Fall Jalloh. Im Zuge dieser Ermittlungen wurde im August 2016 am Institut für Brand- und Löschforschung in Dippoldiswalde ein erneuter Brandversuch durchgeführt, dessen Auswertung erst im April 2017 abgeschlossen war. Offensichtlich unter dem Eindruck dieser Ergebnisse fertigte Bittmann dann seinen Vermerk, in dem er den Anfangsverdacht für ein Tötungsdelikt bejahte. Im Juni 2017 übertrug die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg jedoch das Todesermittlungsverfahren Oury Jalloh an die Staatsanwaltschaft Halle. Als Begründung wurde eine "Überlastung" der Staatsanwaltschaft Dessau genannt, die zeitgleich die Ermittlungen wegen der Tötung einer chinesischen Studentin zu führen hatte.

Am 12. Oktober 2017 stellte die Staatsanwaltschaft Halle das Ermittlungsverfahren ein. "Die beiden beauftragten Sachverständigen sind einhellig zu dem Ergebnis gekommen, dass der Einsatz größerer Mengen eines Brandbeschleunigers auszuschließen ist", sagte die Leitende Oberstaatsanwältin Heike Geyer zur SZ. Sie könnten auch nicht ausschließen, dass Jalloh die Matratze selbst entzündet habe, auch wenn es Indizien für eine Beteiligung Dritter gebe. Die Rechtsmediziner, so Geyer, hätten ebenso einhellig erklärt, dass Jalloh bei Ausbruch des Brandes noch gelebt haben müsse; nicht sicher sei, ob er noch handlungsfähig war.

Bittmann ließ ausrichten, er nehme keine Stellung zu dem Bericht

Die Einschätzung des Dessauer Oberstaatsanwalts Bittmann habe sich auf die Äußerung eines Brandsachverständigen zu rechtsmedizinischen Fragen gestützt, für die diesem Sachverständigen aber das nötige Fachwissen fehle. Die Auswertung der zahlreichen Gutachten verschiedener Fachrichtungen lasse nur den Schluss zu, dass der konkrete Ausbruch des Brandes, dessen Verlauf und das Verhalten von Oury Jalloh nicht sicher nachgestellt und nicht eindeutig bewertet werden könnten. "Es macht Sinn, den Sachverhalt durch einen Spezialisten für Kapital- und Branddelikte prüfen zu lassen", sagte die Oberstaatsanwältin. Folker Bittmann gilt in Fachkreisen als Spezialist für Wirtschaftsstrafsachen; er ist unter anderem Autor eines Handbuchs zum Insolvenzstrafrecht. Bei der Staatsanwaltschaft Dessau war am Donnerstag kein Pressesprecher im Amt; Bittmann selbst ließ durch sein Vorzimmer ausrichten, er nehme keine Stellung zu dem "Monitor"-Bericht.

Die Anwältin der Familie Jalloh, Gabriele Heinecke, hat gegen die Einstellung des Verfahrens Beschwerde eingelegt. Darüber muss jetzt die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg entscheiden.

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