Fall Edathy provoziert Regierungskrise:Koalition der Widersprüche

Der Fall Edathy, Friedrichs Sturz und die Folgen: Die CSU feiert den ehemaligen Innen- und Agrarminister als Märtyrer und betont gleichzeitig das beschädigte Vertrauen zur SPD. Überzeugende Gründe für das Misstrauen können die Konservativen allerdings nicht nennen.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Tag vier nach dem Rücktritt von Hans-Peter Friedrich als Landwirtschaftsminister. Am Morgen bittet erst der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Michael Grosse-Brömer, zum Pressefrühstück, kurz danach die CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt zum weiß-blauen Stammtisch. Was die beiden sagen, bestimmt die Tonlage für den Tag. Sie geben den Spin vor, der die Berichterstattung dominieren soll. An diesem Dienstag geht es um die Deutungshoheit über den Fall Edathy.

Die Sprachregelung ist schnell zusammengefasst. Zur Rolle von Ex-Innenminister und jetzt auch Ex-Landwirtschaftsminister Hans-Peter Friedrich klingt es so: Friedrich habe, sagt Hasselfeldt, "menschlich anständig gehandelt" und "eigene Interessen untergeordnet den Interessen des Gemeinwohls". Es sei "schon bitter, dass jemand, der Schaden vermeiden wollte, letztlich dann selber Schäden davon trägt". Friedrich habe aber "selbst entschieden" vom Amt des Landwirtschaftsministers zurückzutreten. Ob der Schritt rechtlich notwendig gewesen sei, will sie nicht bewerten.

Auch CDU-Mann Grosse-Brömer sagt, Friedrich habe "selbst entschieden" sein Amt zur Verfügung zu stellen. Die Gründe will auch er nicht weiter bewerten. Darüber gebe es offenbar "unterschiedliche Auffassungen".

Nur zur Erinnerung: Friedrich steht unter Verdacht, als Innenminister im Oktober 2013 Dienstgeheimnisse an SPD-Chef Sigmar Gabriel weitergegeben zu haben. Er erwähnte damals, dass der Name des SPD-Abgeordneten Edathy bei internationalen Ermittlungen auf einer Namensliste aufgetaucht sei. Doch Grosse-Brömer und Hasselfeldt erwähnen diesen Verdacht am Dienstag noch nicht einmal.

Stattdessen wird Friedrich geradezu gefeiert. In der CSU-Landesgruppensitzung am Montagabend sollen die Abgeordneten Friedrich in höchsten Tönen gelobt haben. Einstimmig entschieden die Mitglieder der Landesgruppe, Friedrich - quasi als Dankeschön - den Posten eines Vize-Fraktionsvorsitzenden zu geben. Auf die Idee, die Fragwürdigkeit der Weitergabe eines Dienstgeheimnisses zu thematisieren, kam offenbar niemand.

Kein Rücktritt aus freien Stücken

Friedrich ist für die CSU jetzt ein Held, ein Märtyrer, der sich für eine gute Sache geopfert hat. Und das auch noch aus freien Stücken.

So frei aber scheint er dann doch nicht gewesen zu sein. In seiner Rücktrittserklärung vom Freitag sagte Friedrich, "dass der Druck in den letzten Stunden auf mich so gewachsen ist", dass er sein Amt nicht mehr mit der "politischen Unterstützung, die dafür notwendig ist" ausüben könne.

Deutlicher konnte Friedrich kaum ausdrücken, dass er eben nicht freiwillig gegangen ist. Der Druck kam von Bundeskanzlerin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer. Entweder er geht oder er wird gefeuert. Um etwas anderes ging es da nicht mehr.

Merkel selbst drückt es an diesem Dienstag so aus: Die Koalitionspartner hätten die Verpflichtung, "den Rechtstaat so zu leben, dass die Menschen den Eindruck von Transparenz haben und dass sie (...) Vertrauen in unsere Abläufe haben". Friedrich habe Verantwortung dafür übernommen, dass Vertrauen zerstört worden sein könnte. Ob Friedrich sich "menschlich anständig" verhalten habe, wie Hasselfeldt sagt, scheint zumindest für Merkel keine Rolle zu spielen, wenn es um eine mögliche Missachtung des Rechts geht.

Der Ärger der Bayern über die SPD

Der zweite Teil der Sprachregelung bezieht sich auf den Umgang mit der SPD. Das "Vertrauen ist geschädigt worden", sagt Hasselfeldt. Ähnlich formuliert es CDU-Mann Grosse-Brömer. Es gebe "Widersprüche und Ungereimtheiten", erklärt nebulös Hasselfeldt. Es sei jetzt eine "Aufarbeitung innerhalb der SPD" nötig. Es müsse geklärt werden, "warum wer was wem gesagt hat" und wie es zu dem "Umgang mit vertraulichen Informationen" gekommen sei.

Sie meint damit mitnichten Friedrich, der geheime Informationen ausplauderte. Für sie geht es um SPD-Chef Gabriel. Der hat sich nach Friedrichs Hinweis mit Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier und dem damaligen parlamentarischen Geschäftsführer Thomas Oppermann besprochen.

Sie vereinbarten untereinander Vertraulichkeit und versichern, nichts an Edathy herangetragen zu haben. Klar war danach nur, dass Edathy in der neuen Bundesregierung nichts mehr werden würde. Im Unterschied zu Friedrich aber war Gabriel nicht an das Dienstgeheimnis gebunden.

Zusammengefasst hat ein CSU-Innenminister womöglich unbefugt Dienstgeheimnisse an die SPD weitergegeben, die CSU hält aber jetzt der SPD Vertrauensbruch vor, weil das Geheimnis statt allein bei Gabriel zunächst unter sechs Augen blieb; im Dezember wurde Oppermanns Nachfolgerin Christine Lambrecht informiert.

Mutmaßungen über "Geschwätzigkeit"

Auch Horst Seehofer hat der SPD "Geschwätzigkeit" vorgeworfen, weil Oppermann die Info-Kette öffentlich gemacht habe. Tatsächlich aber hat sich der 59-Jährige wohl erst nach detaillierten Medienanfragen entschlossen, den ganzen Vorgang vor einigen Tagen publik zu machen. So stellte es am Montag Gabriel dar. Die Pressemitteilung habe Oppermann in Absprache mit Friedrich veröffentlicht. Der hatte offenbar keine Einwände. Wenn Oppermann geschwätzig gewesen sein soll, dann war das wohl eine mit Friedrich abgesprochene "Geschwätzigkeit".

Die einzige bekannte Verfehlung auf Seiten SPD könnte aus heutiger Sicht in einem Telefonat liegen, dass Oppermann mit BKA-Chef Jörg Ziercke führte. Oppermann wollte von ihm wissen, was dran ist, an der Edathy-Geschichte. Das könnte den Verdacht auf Anstiftung zum Geheimnisverrat begründen. Ein Grund für Misstrauen zwischen den Koalitionären wäre das wohl kaum.

Viel schlimmer dürfte aus Sicht der Union wiegen, dass mit Schleswig-Holsteins Innenminister Andreas Breitner, ein SPD-Mann, vergangene Woche Friedrichs Rücktritt verlangte. Friedrich sei "für ein Kabinett völlig untragbar", wenn der "in einem Ermittlungsverfahren das Umfeld eines Beschuldigten über das Verfahren selbst informiert", argumentierte Breitner.

Das sahen am Ende allerdings wohl auch Merkel und Seehofer ganz ähnlich, wenn sie es auch nicht laut aussprechen würden - sonst wäre Friedrich noch im Amt. Merkel, so betonte sie am Dienstag, hält Friedrichs Rücktritt übrigens weiterhin "für absolut richtig und notwendig".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: