Fachkräftemangel in Deutschland:"Migration bringt Modernisierung"

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Migrationsforscher Steffen Angenendt spricht über restriktive Einwanderungspolitik und warum Ausländer keine Jobs wegnehmen.

Interview: Laura Weißmüller

Deutschland hat zu wenige Fachkräfte. 20 Milliarden Euro gehen schon heute dadurch jährlich verloren, schätzt zumindest das Institut der Deutschen Wirtschaft. Ein weiteres Problem: die Gesellschaft altert. Deswegen braucht Deutschland gutausgebildete ausländische Arbeitskräfte. sueddeutsche.de sprach mit dem Migrationsforscher Steffen Angenendt, der am Montag ein Gutachten für die Friedrich-Ebert-Stiftung über Arbeitsmigration in Deutschland vorstellte.

Migrationsforscher Steffen Angenendt von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) glaubt, dass Deutschland dringend ausländische Fachkräfte braucht (Foto: Foto: oh)

sueddeutsche.de: Viele Deutsche befürchten nach wie vor, dass ausländische Arbeitskräfte ihnen die Jobs wegnehmen würden. Was ist falsch daran?

Steffen Angenendt: Hinter der Angst steckt die Vorstellung, dass es in einer Volkswirtschaft so etwas wie ein festes Arbeitsvolumen gibt. Aber das ist Unsinn. Das beste Beispiel sind Länder wie Großbritannien, die in jüngster Zeit viele Zuwanderer aufgenommen haben. Würde es ein begrenztes Arbeitsvolumen geben, müsste dort die einheimische Arbeitslosigkeit größer und das Lohnniveau gesenkt worden sein. Aber nichts davon ist passiert. Das bedeutet: Wenn Zuwanderung bestimmte Kriterien erfüllt, schafft sie Arbeitsplätze und auch Wohlfahrt.

sueddeutsche.de: Deutschland hält es mit einer restriktiven Einwanderungspolitik. Was verpasst das Land dadurch?

Angenendt: Letztlich einen Beitrag zur wirtschaftlichen Modernisierung und zum Wohlstand. Keiner kann heute noch ernstlich bezweifeln, dass hochqualifizierte Zuwanderer zur wirtschaftlichen Modernisierung beitragen. Aber auch qualifizierte Zuwanderer - Fachkräfte wie Krankenschwestern und Pfleger - tragen zum Wohlstand bei. Auch ihren Beitrag sollten wir anerkennen.

sueddeutsche.de: Hat die Zuwanderung nur wirtschaftliche Vorteile? Wie sieht es mit den gesellschaftlichen aus?

Angenendt: Wir müssen nur daran denken, wie die Bundesrepublik in den sechziger Jahren ausgesehen hat und wie sie heute aussieht. Deutschland ist offener, und bunter durch die Zuwanderung geworden. Migration bringt eben auch einen Modernisierungsschub für die Gesellschaft.

sueddeutsche.de: Soeben hat die Bundesregierung das Aktionsprogramm zur Reduzierung des Fachkräftemangels beschlossen. Akademiker aus den neuen EU-Staaten sollen ab nächstem Jahr ohne Beschränkung in den deutschen Arbeitsmarkt gelangen. Außerdem wurden die Einkommensgrenzen, die ausländische Hochqualifizierte in ihrem neuen Job vorweisen müssen, deutlich gesenkt. Reichen die Nachbesserungen aus?

Angenendt: Ich halte die Beschlüsse prinzipiell für gut und richtig. Aber sie sind noch nicht ausreichend. Außerdem halte ich den Ansatz für falsch, zunächst die Integration der bereits in Deutschland lebenden Immigranten und danach erst die Öffnung für die Zuwanderer zu betreiben. Wir müssen beides parallel versuchen. Wir haben nicht mehr viel Zeit. Integrationspolitik ist zwar unbedingt notwendig, aber sie wirkt nur sehr langsam und ist deswegen keine Antwort auf die kurzfristigen Lücken im Arbeitskräfteangebot.

sueddeutsche.de: Der Wettkampf um die klügsten Köpfe ist global. Ist Deutschland darauf überhaupt vorbereitet?

Angenendt: Wir vergessen immer, dass es neben den USA und Kanada inzwischen auch noch viele andere Länder gibt, die alles dafür tun, um hochqualifizierte Arbeitskräfte ins Land zu holen. Länder wie beispielsweise Malaysia, die versuchen, ausländische Studenten ins Land zu holen. Es gibt einen globalisierten Bildungsmarkt - aber bisher nehmen das erst wenige Menschen in Deutschland wahr.

sueddeutsche.de: Würde in diesem internationalen Wettbewerb nicht ein gesamteuropäischer Arbeitsmarkt von unschlagbarem Vorteil sein?

Angenendt: Das wäre in der Tat sehr attraktiv. Das ist eigentlich das Herzstück der EU-Vorschläge zur Bluecard: Diese sieht vor, den Arbeitsmarkt der EU als Ganzes zu sehen. Unter bestimmten Bedingungen - wenn nämlich die betreffenden Länder zustimmen - könnten Hochqualifizierte so den Zugang zu den Arbeitsmärkten anderer EU-Staaten bekommen. Und damit wären die EU-Staaten als Arbeitsplatz für Hochqualifizierte viel attraktiver. Das ist ein bahnbrechender neuer Ansatz. Leider steckt die Bluecard in politischen Blockaden fest.

sueddeutsche.de: Schon seit Jahren wird ein qualifiziertes Punktesystem wie in Kanada empfohlen. Darin wird der Zuzug von ausländischen Arbeitskräften nach Kriterien wie Ausbildung, Sprachkenntnissen und Alter geregelt. Warum fällt es Deutschland so schwer, ein solches Punktesystem zu installieren?

Angenendt: Es steckt zu viel Ideologie in unserer Debatte. Es wird immer nach der riesengroßen Lösung gesucht, aber keine pragmatische Diskussion geführt, warum wir Zuwanderung brauchen und wie wir sie gestalten wollen. Da sind uns die angelsächsischen Länder voraus, die auch mal etwas testen. Ohne Ausprobieren kann keiner vorhersehen, ob etwas überhaupt funktioniert.

sueddeutsche.de: 1955 hat Deutschland zum ersten Mal mit den italienischen Gastarbeitern ausländische Arbeitskräfte angeworben. Seitdem wird Arbeitsmigration eher mit unstrategischen Ad-hoc-Maßnahmen betrieben. Sind die Versäumnisse der letzten Jahrzehnte überhaupt aufholbar?

Angenendt: Das denke ich schon, aber die Zeit drängt. Der Bedarf wird sich nicht erst in 20 Jahren ergeben, sondern ist jetzt schon da. Wir müssen eine Aufholjagd machen, um international mithalten zu können. Andere Länder sind weitaus dynamischer und geben Gas.

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