Fachkräftemangel:Das Nebenbei-Problem

Wie hält man ein großes Thema klein? Indem man Szenarien entwirft und diese mit der Jahreszahl 2040 versieht. Es wird dann immer Themen und Probleme geben, die scheinbar wichtiger und dringender sind.

Von Detlef Esslinger

Immer zum Monatswechsel gibt die Bundesagentur für Arbeit die aktuellen Arbeitslosenzahlen bekannt; sie löst damit immer zuverlässig eine kleine Debatte darüber aus, wie man Menschen wieder in Arbeit bringen oder wie man Arbeitsbedingungen verbessern kann. Das war 1998 so, als mehr als vier Millionen Menschen keine Arbeit hatten, und das ist jetzt so, da es nur noch 2,5 Millionen sind (eine Zahl, die manche Ökonomen einem seltsamerweise als Zustand der Vollbeschäftigung verkaufen wollen). Arbeitslosigkeit wird in einer Gesellschaft immer als dringendes Problem empfunden. Aber das Problem des Fachkräftemangels?

In den beiden vergangenen Tagen ist es ein Thema gewesen, wegen zweier Studien prominenter Institute und weil das Bundeskabinett den sogenannten Fortschrittsbericht dazu verabschiedet hat. Grundsätzlich jedoch ist der Fachkräftemangel immer nur vorübergehend Gegenstand der Debatte. An etwaiger mangelnder Bedeutung des Themas kann es nicht liegen. Vor allem wegen der Überalterung der Gesellschaft wird sich die Zahl der arbeitenden Menschen in Deutschland bis zum Jahr 2040 deutlich verringern. Die einen Schätzungen sagen: um 3,3 Millionen; die ganz pessimistischen nehmen sogar an: um mehr als neun Millionen.

Indem man die Jahreszahl 2040 nennt, hält man ein Thema klein

Womit der Grund für die relativ geringe Aufmerksamkeit auch schon genannt wäre - 2040! Arbeitslose sind immer sofort ein Problem, und zwar ein für jedermann offensichtliches. 4,3 Millionen Arbeitslose im Jahr 1998 kamen einer 4,3-millionenfachen Anklage gegen die Zustände in Deutschland gleich; abgesehen von dem Geld, das sie Tag für Tag kosteten. Deshalb sagte der damals neue Bundeskanzler Gerhard Schröder, am Abbau der Arbeitslosenzahl wolle er gemessen werden; deshalb entschied er sich später, die Hartz-Gesetze durchzuboxen. In Frankreich konnten sich im Frühjahr wegen der vielen Arbeitslosen die Rechtsradikalen ernsthaft Hoffnung aufs Präsidentenamt machen - Macron muss dieses Problem jetzt lösen, es ist wirklich dringend.

Aber 2040? Wann ist schon 2040? Beim Fachkräftemangel ist es so wie bei vielen Themen, die scheinbar erst in der Ferne bedrohlich sind; ähnlich wie bei Rente oder Klimaschutz. Erstens liegt immer etwas anderes an, das dringender ist. Zweitens baut sich diese Bedrohung nur peu à peu auf, sie ist keine, die man im Alltag spürt.

Das Problem ist nicht, dass es zu wenig Ideen gäbe, wie der Bedarf des Landes zu sichern wäre. Der Fachkräftebericht der Bundesarbeitsministerin zum Beispiel ist voll damit. Das Problem ist, dass nur so wenige das Thema für dringlich halten. In ihrer Sommerpressekonferenz am Dienstag musste die Kanzlerin von alleine darauf zu sprechen kommen, gegen Ende, kein Reporter fragte sie danach. Eine Gesellschaft, die ein Problem nicht wirklich als Problem empfindet, wird auch keinen Nachfragedruck zu dessen Lösung entwickeln. Also wird es ein Nebenbei-Thema bleiben. Und später, womöglich sogar vor 2040, wundern sich dann alle.

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