Facebook:Sehr künstliche Realität

Lesezeit: 2 min

Manipuliert die Plattform Nachrichten und ihre Gewichtung? Warum die Macht von Facebook eine Gefahr im Wettbewerb um Aufmerksamkeit und Informationen ist.

Von Johannes Boie

Man kann sich Facebook als größten Kiosk aller Zeiten vorstellen. An diesem Bild, so sehr es die Vergangenheit beschwört, arbeitet der kalifornische Konzern selbst. Dort heißt es sinngemäß: Man verteile Nachrichten an die Nutzer, ganz wie ein Kiosk, der Magazine und Zeitungen in seine Auslage legt. Man entscheide aber nicht über Nachrichten. Man erschaffe sie nicht. Man gewichte sie nicht. Man sei nicht mehr als eine neutrale Plattform.

An diesem Bild, das die Kalifornier so gerne zeichnen, stimmt nichts. Das liegt einerseits daran, dass selbst der gute alte Kioskverkäufer durchaus entscheidet, wo er welche Zeitung in die Auslage legt - gut greifbar direkt an der Kasse, oder versteckt hinter die Eingangstür. Wer also von sich selbst behauptet, neutral zu handeln, verkennt, dass es diese Neutralität schlicht nicht geben kann.

Die Macht der Plattform ist eine Gefahr für den Informationsmarkt

Bei Facebook kommt es noch schlimmer: Die Plattform präsentiert ihren Nutzern Listen von Nachrichten. Diese Liste, sogenannte trending topics, soll lediglich widerspiegeln, welche Nachrichten andere Nutzer gerade interessant finden. Doch vieles spricht dafür, dass Facebook-Mitarbeiter in diesen automatisierten Prozess eingegriffen haben. Ehemalige Facebook-Mitarbeiter haben dem Portal "Gizmodo" erzählt, wie sie diese Listen auf Anweisung ihrer Chefs oder auch nach persönlicher Lust und Laune manipuliert haben. Themen, die kaum jemand interessant fand, wurden so stark verbreitet. Andere Themen, für die sich im Netz viele interessierten, sollen nach Angaben der Mitarbeiter von den Listen ferngehalten worden sein, ebenso wie Nachrichten, die Facebook selbst zum Thema hatten. Außerdem sollen Neuigkeiten von konservativen Webseiten systematisch den Nutzern vorenthalten worden sein.

Das ist schon deshalb kein kleiner Skandal, weil an Facebook selbst nichts klein ist. Für mehr als eine Milliarde Menschen ist die Plattform der Kiosk, an den sie mindestens täglich, oft auch minütlich laufen, um sich zu informieren. Trifft der Vorwurf zu, hat Facebook für diese Milliarde Menschen eine Realität konstruiert, die es nicht gibt. Unabhängig davon, wie sehr dieser Kiosk seine Nutzer nun tatsächlich belügt und für dumm verkauft, muss der Konzern endlich für Transparenz sorgen. Darüber, wie Nachrichten auf Facebook zu den Nutzern gelangen.

Facebook und besonders sein Gründer Mark Zuckerberg sind sehr bestrebt, die Welt zu verändern. Dafür legen sie eine gewaltige Energie an den Tag. Zuckerberg präsentiert sich einschließlich einer ostentativ zur Schau gestellten Bescheidenheit als moderner Held, der Demokratie verbreitet, Arbeitsplätze und Wohlstand schafft und Probleme wie die Armut ganzer Weltregionen zu lösen imstande ist. Offenbar scheint sich bei Facebook der Glaube durchgesetzt zu haben, dass der Zweck die Mittel heiligt. Das Gegenteil ist der Fall: Wer so dringend die ganze Welt verbessern möchte, sollte selbst zuerst das Richtige tun.

© SZ vom 11.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: