Fabrikeinsturz in Bangladesch:Beruhigungspille aus Papier

In den modernen Sklavenhallen von Bangladesch arbeiten Näherinnen unter unwürdigen Bedingungen - auch, weil im Westen gerne T-Shirts für fünf Euro gekauft werden. Nach einem Fabrikeinsturz mit mehr als 1100 Toten ist nun endlich ein Abkommen für Feuer- und Gebäudesicherheit in Kraft getreten. Doch diese Initiative ist nicht mehr als eine Beruhigungspille für schlechtes Gewissen.

Ein Kommentar von Tobias Matern

Sie verdienten einen Dollar pro Tag, ihre Arbeitsbedingungen waren mies: Es gab keinen Kündigungsschutz, keinen Mindestlohn, keinen ordentlichen Brandschutz. Als das Feuer ausbrach und von Stockwerk zu Stockwerk seinen zerstörerischen Weg nahm, saßen die Näherinnen in der Falle. Die Notausgänge waren abgeschlossen, mit der Begründung, dass die Frauen sonst zu leicht in Versuchung geraten könnten, Stoff zu stehlen. Die verriegelten Türen waren für die Arbeiterinnen wie ein Todesurteil - fast ein Drittel der Belegschaft kam beim Brand in der Triangle Shirtwaist Company ums Leben.

Das Drama hat sich vor mehr als 100 Jahren in New York ereignet. Aber es könnte auch eine aktuelle Meldung aus den modernen Sklavenhallen von Bangladesch sein, in denen Näherinnen unter unwürdigen Bedingungen arbeiten - auch, weil im Westen gerne T-Shirts für fünf Euro gekauft werden. Nach mehreren Bränden und dem Einsturz einer Fabrik in Dhaka mit mehr als 1100 Toten ist nun endlich ein Abkommen für Feuer- und Gebäudesicherheit in dem südasiatischen Land in Kraft getreten. 70 Textilunternehmen verpflichten sich darin, die Fertigungsstätten regelmäßig zu prüfen und auf eigene Kosten auch Reparaturen vorzunehmen.

Dass für einen solchen Schritt erst viele Menschen ums Leben kommen mussten, wirft ein Schlaglicht auf ein System, in dem gerne auf Selbstverpflichtung, Fairness und Fortschritte im Umgang mit den Arbeitern verwiesen wird. Bislang hat sich die Industrie aber nur dem Druck gebeugt, der nach den schockierenden Bildern verschütteter Fabrikarbeiter entstanden ist. Immerhin fangen die Konsumenten nun langsam an, sich Gedanken über die Produktionsbedingungen in der Textilbranche zu machen. Dies fangen die Firmen mit ihrer Initiative auf. Aber mehr als eine Beruhigungspille für das schlechte Gewissen ist sie noch nicht.

Lebensgefährliche Bedingungen

So zwingend und überfällig das Abkommen ist, es hat Makel. Einige amerikanische Unternehmen ziehen beispielsweise nicht mit, sie wollen weiterhin lieber auf freiwillige Selbstverpflichtungen setzen. Diese hat es früher schon gegeben, angesichts der Brand- und Einsturzkatastrophen der vergangenen Monate ist der Verweis darauf geradezu zynisch.

Die nun in Kraft getretene Vereinbarung deckt auch Mängel in der Gesetzgebung und vor allem bei der Umsetzung bestehender Regeln in Bangladesch auf. Auf der einen Seite agieren korrupte Politiker und Beamte, die wegschauen und teilweise auch selbst kräftig mitverdienen. Auf der anderen Seite stehen die ausländischen Textilfirmen, die oft auf den Preisdruck im westlichen Handel verweisen. Und sie treffen auf dankbare Verbraucher mit ihrer Geiz-ist-geil-Mentalität. All dies ergibt lebensgefährliche Bedingungen, für diejenigen, die Jeans und T-Shirts nähen.

Aber sich bei der Kritik nur auf Bangladesch zu konzentrieren, reicht nicht. Im Textilhandel sind umfassendere, globale Abkommen zum Schutz der Arbeitnehmer nötig, damit die Karawane nicht einfach weiterziehen und sich das nächste, noch billigere Produktionsland suchen kann. Das würde die potenziellen Katastrophen nur verlagern.

Nach dem Brand bei der Triangle Shirtwaist Company brachte New York mehr als 60 neue Gesetze auf den Weg - für einen besseren Feuerschutz, für fairere Arbeitsbedingungen, für einen gerechteren Umgang mit den Angestellten. Davon ist Bangladesch noch weit entfernt. Abkommen wie das nun geschlossene werden mit großer Fanfare verabschiedet, aber entscheidender ist die Umsetzung. Erst wenn keine Gebäude mehr einstürzen und Näherinnen einen fairen Lohn für ihre harte Arbeit erhalten, haben die Firmen bewiesen, dass sie nicht nur über Verantwortung reden.

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