Exportweltmacht Deutschland:Keiner liebt den Superstar

Wenn das kein Grund ist, stolz zu sein: Deutschland hat 2011 so viele Waren exportiert wie noch nie. Doch der Erfolg schafft weltweit Misstrauen - als habe sich die Bundesrepublik den Wohlstand erschummelt.

Marc Beise

Schneller, höher, weiter, danach fiebert das Publikum nur im Sport. In der Wirtschaft sind Rekorde eher verpönt, werden Jubelzahlen der Unternehmen, die Kraft der Volkswirtschaft insgesamt von immer mehr Menschen kritisch hinterfragt. Im Jahr 2011 haben deutsche Unternehmen so viel exportiert wie nie zuvor, Waren und Dienstleistungen im Wert von mehr als einer Billion Euro.

Was die Mitarbeiter dieser Firmen und Branchen freut, erregt anderswo Misstrauen und Missgunst. Manche Reaktion klingt so, als sei die neue Bestmarke eine Schande, ein Zufallsprodukt, schlimmer noch: widerrechtlich angeeignet und vergleichbar einer sportlichen Höchstleistung, bei der Doping im Spiel war.

Aufputschmittel niedrige Lohnkosten?

Das unerlaubte Aufputschmittel wären dabei die vergleichsweise niedrigen Arbeitskosten. Dank jahrelanger Lohnzurückhaltung könne Deutschland billiger produzieren als seine Nachbarn und drücke damit seine Waren auf deren Märkte, heißt es dann. Kein Wunder, wenn diese Länder sich dann bis über die Ohren verschuldeten und heute am Rande der Insolvenz stünden.

Als ganz übel gilt, dass die Deutschen ihren Erfolg auch noch idealisieren. Dass sie sich den darbenden Staaten Südeuropas als Vorbild hinstellen und Nachahmung einfordern. Das kommt nicht nur in diesen Ländern schlecht an, sondern findet auch nicht den Gefallen der Vordenker im angelsächsischen Raum.

Deutschland produziert "all dies Zeug"

Deutschland sei, höhnte kürzlich ein wichtiger US-Wissenschaftler, das Musterbeispiel eines Denkfehlers: Man verwechsle einzelwirtschaftlichen Erfolg mit einer Strategie für die Weltwirtschaft. Es gäbe doch bald niemanden mehr, der "all dieses Zeug" kaufen könne, was da produziert werden solle.

In Wirklichkeit liegt der Denkfehler bei denen, die so argumentieren. Denn die Lohnzurückhaltung, die Flexibilisierung der Arbeit, der Ausbau von Zeit- und Leiharbeit - das alles war ja kein Spiel, sondern eine notwendige Reaktion auf die große deutsche Krise in den ersten Jahren des Euro, als das Geld der Investoren in andere Staaten floss, die sich kurzsichtig über alle Maßen verschuldeten.

Deutschlands Erfolg ist hart erkämpft

Deutschland dagegen musste mit einer Massenarbeitslosigkeit kämpfen, wurde als "kranker Mann Europas" verspottet. Eine riesige Kraftanstrengung, politisch bekannt als "Agenda 2010", mutete vielen viel zu, drehte die Wirtschaft. Der Erfolg von heute ist hart erkämpft und bitter bezahlt. Ihn einfach so preiszugeben, wäre töricht.

Übrigens: Das "Zeug, das bald keiner mehr will", ist auf den Weltmärkten hoch willkommen - nicht weil es billig wäre (häufig im Gegenteil!), sondern weil es hochwertig ist. Das gilt für Konsumgüter und erst recht für die innovativen Produkte des deutschen Maschinenbaus: Investitionsgüter, die dezidiert der Produktion und damit der Wirtschaftsentwicklung in den Zielländern dienen.

Richtig ist allerdings auch, dass die Ungleichgewichte so groß geworden sind, dass dies gefährliche wirtschaftliche Verwerfungen zur Folge haben kann. Das gilt erst recht innerhalb der durch den Euro zusammengebundenen Wirtschafts- und Währungsunion.

Anderswo wettbewerbsfähige Strukturen schaffen

Hier gegenzusteuern, daran sollten die Deutschen - aus Solidarität und im eigenen Interesse - führend mitwirken. Aber nicht indem sie sich selbst schwächen, etwa durch überzogene Lohnsteigerungen, Steuer- und Beitragserhöhungen, die das deutsche Wirtschaftswunder abwürgen können, sondern indem sie helfen, anderswo wettbewerbsfähige Strukturen zu schaffen: vernünftig finanzierte Haushalte, funktionierende Institutionen, investitionsfreundliche Standortbedingungen.

Allerdings: Wenn andere wieder erstarken, wird das Deutschland fordern, womöglich schwächen. Das aber wäre dann Ergebnis eines fruchtbaren und im Ergebnis offenen Wettkampfes. Und nicht Folge einer mutwilligen Selbstverstümmelung, die niemandem hilft.

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