Expertenkommission:Juden beklagen mehr antisemitische Übergriffe

Kundgebung gegen Judenhass

Er könne Juden nicht mehr empfehlen, „jederzeit überall in Deutschland die Kippa zu tragen“, sagte Felix Klein. Das kam nicht gut an.

(Foto: Maja Hitij/dpa)
  • Moderne Formen von Antisemitismus finden auch heute noch in der breiten Bevölkerung Anklang.
  • Das geht aus einem Bericht hervor, den ein unabhängiger Expertenkreis des Bundestags vorstellte.
  • Darin wird auch Judenfeindlichkeit von Muslimen als wachsendes Problem bezeichnet.

Die jüdische Bevölkerung in Deutschland nimmt laut dem Unabhängigen Expertenkreis Antisemitismus wachsende antisemitische Tendenzen wahr und fürchtet eine Zunahme in den kommenden Jahren. Hier unterscheide sich die Wahrnehmung stark von der Mehrheitsbevölkerung, die Antisemitismus nicht als akut relevantes Problem sehe, erklärte der Expertenkreis bei der Vorstellung seines Berichts in Berlin.

Der nach rund zwei Jahren Arbeitszeit vorgestellte Bericht beschreibt auf etwa 300 Seiten Formen von Antisemitismus unter Deutschen und Migranten. Zudem wurden rund 550 Juden zu ihren Erfahrungen mit Antisemitismus befragt.

Zwar verbanne die Gesellschaft offenen Antisemitismus heute stärker als in den Nachkriegsjahren, so die Experten. Dennoch fänden moderne Formen auch heute noch in der breiten Bevölkerung Anklang. Judenfeindlichkeit unter Muslimen sei ein wachsendes Problem, doch sei nach wie vor das rechtsextremistische Lager die bedeutendste Stütze des Antisemitismus in Deutschland.

Der islamistische Fundamentalismus trage antisemitische Haltungen

Zwei Formen von Antisemitismus lassen sich laut den Experten immer häufiger beobachten. Einerseits seien das Aussagen, die ein Ende der Auseinandersetzung mit dem Holocaust fordern und den Juden vorwerfen, sie würden die Position als Verfolgte ausnutzen. Andererseits kritisieren die Experten israelbezogenen Antisemitismus, der etwa Israels Politik als "typisch jüdisch" bewerte.

Laut dem Bericht neigen Menschen aus "gewissen altbekannten Spektren, nämlich im Bereich des Rechts- und Linksextremismus" zu Antisemitismus. Aber auch der islamistische Fundamentalismus trage antisemitische Haltungen in sich. Zudem steige die Zahl antisemitischer Meinungsäußerungen, Propaganda und Übergriffe, während die Verbreitung antisemitischer Einstellungen in der Bevölkerung stabil bleibe.

Der Bericht schließt mit konkreten Handlungsempfehlungen. Die Experten schlagen etwa ein regelmäßiges, vom Bund finanziertes Monitoring antisemitischer Einstellungen vor, auf der Basis repräsentativer Bevölkerungsbefragungen. Denn momentan gebe es keine Studien, die sich spezifisch auf Antisemitismus fokussieren. Zudem sollten einzelne Bevölkerungsgruppen wie eingewanderte oder junge Personen qualitativ befragt werden. So würde mehr Wissen über das sich wandelnde Verständnis von Antisemitismus bekannt. Die Experten fordern zudem die Einsetzung eines nationalen Antisemitismus-Beauftragten.

Die Expertenkommission ist ein Kreis aus Wissenschaftlern und Praktikern und veröffentlicht in regelmäßigen Abständen Berichte, in denen sie die Entwicklung von Programmen empfiehlt, die Antisemitismus in Deutschland weiter bekämpfen sollen.

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