Expertenbericht zur Reaktorsicherheit:Röttgens Wunschergebnis

Deutsche Meiler sind im Großen und Ganzen "robust" - zu diesem Ergebnis kommt die Reaktorsicherheitskommission in ihrem Bericht. Allerdings schneiden die sieben ältesten deutschen Atomkraftwerke bei den Experten schlecht ab - und stehen womöglich vor dem Aus.

Thorsten Denkler, Berlin

Das Ergebnis ist so, wie es sich Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) nicht anders hätte wünschen können. Er kann seiner Linie treu bleiben, die da lautet: die sieben ältesten Atommeiler möglichst gar nicht mehr ans Netz gehen zu lassen und neuere AKW nur so lange laufen zu lassen, wie dies aus seiner Sicht vernünftigerweise geboten ist.

Röttgen stellt Bericht der Reaktorsicherheitskommission vor

Umweltminister Norbert Röttgen bei der Vorstellung des Berichts in Berlin. Die Experten liefern ihm darin wichtige Argumente für seine Position.

(Foto: dpa)

Auf 116 Seiten hat die Reaktorsicherheitkommission (RSK) ihm die dafür nötigen Argumente geliefert. Röttgen deutet denn auch bei der Vorlage des Prüfberichts an, dass das Ergebnis möglicherweise das Aus für jene Meiler bedeuten könnte, die nicht oder nur geringfügig gegen solche Szenarien gesichert sind. Besonders die Meiler Biblis A und B sowie Brunsbüttel und Philippsburg I hätten "keine nachgewiesene Sicherheitsauslegung" für diese Fälle, sagt Röttgen bei der Vorstellung des Berichtes an diesem Mittag in Berlin. Und noch eines spricht er von selbst an: den Schutzstatus der AKW bei Flugzeugabstürzen.

Die Erkenntnis ist nicht neu: Deutsche AKW sind kaum bis gar nicht vor Flugzeugabstürzen gesichert. Jetzt aber ist diese Einsicht auch bis zur Reaktorsicherheitskommission vorgedrungen. Sie stellt fest: Kein einziger Meiler würde den Absturz von größeren Passagiermaschinen aushalten. Das macht Atomkraftwerke zu einem potentiellen Ziel für Terroristen. Der 11. September 2001 hat deutlich gemacht, dass dies kein unwahrscheinliches Szenario ist.

Topographisch günstig gelegen

Es gibt aber Unterschiede. Die RSK hat für jedes Szenario von Hochwasser über Erdbeben bis zu Flugzeugabstürzen jeweils drei Schutzstufen definiert, die über die bisherigen Sicherheitsanforderungen hinausgehen.

Die sieben ältesten Meiler bieten demnach überhaupt keinen Schutz vor Flugzeugabstürzen. Sie erreichen nicht einmal die Schutzstufe eins. Selbst der Absturz einer kleineren Maschine, nach RSK-Definition etwa ein Privatjet oder ein kleineres Kampfflugzeug, könnte verheerende Folgen haben. Jüngere Atomkraftwerke sind dem Bericht zufolge etwas sicherer, erreichen aber maximal die Schutzstufe zwei. Demnach führt der Absturz kleinerer Flugzeuge bis mittlerer Passagiermaschinen nicht zu einem Ausfall "vitaler Funktionen" eines Atomkraftwerkes. Eine Kernschmelze wäre so ausgeschlossen.

Ähnlich sieht es beim Hochwasserschutz aus. Dort gibt es zwar AKW, die die Stufe drei erfüllen. Allerdings liegen diese "topographisch" so günstig, dass sie gar nicht überflutet werden können, wie der RSK-Vorsitzende Rudolf Wieland erklärt. Dazu gehören die AKW Biblis A und B sowie das AKW Unterweser.

Zwar bezeichnet Wieland die 17 deutschen Reaktoren trotz der Unterschiede als insgesamt solide: "Es gibt einen großen Robustheitsgrad der untersuchten Anlagen." Doch gemessen an den von der RSK aufgestellten Kriterien gibt es keinen einzigen Meiler in Deutschland, der durchgängig den Standards der Stufen drei oder zwei gerecht werden würde. Für Röttgen aber ist das noch lange kein Grund, gleich alle AKW sofort abzuschalten. Der Bericht habe schließlich auch ergeben, dass die Meilen gemessen an geltenden Auflagen alle Kriterien erfüllten.

Beruhigen soll wohl auch, dass nach Analyse der RSK die Atomkatastrophe von Fukushima-1 nicht eingetreten wäre, wenn die Anlage den dort geltenden Sicherheitsbestimmungen entsprochen hätte. Die Flutwelle nach dem Erdbeben sei in einer Höhe gewesen, die vorher hätte berücksichtigt werde müssen und können. Am Ende sei es das Wasser gewesen und nicht das Erdbeben, das Fukushima zum Verhängnis geworden sei, so die Schlussfolgerung der RSK. Dem widerspricht allerdings eine aktuelle Analyse der japanischen Betreiberfirma Tepco: Demnach begann die Kernschmelze in dem Katastrophen-AKW bereits nach dem Erdbeben.

Die Zeit nach dem Moratorium

Wie belastbar der Bericht der RSK sein wird, muss sich erst noch erweisen. Viele Fragen sind noch nicht abschließend beantwortet. Rechtlich bindende Kraft wird der Bericht kaum haben können. Einige Kriterien hat der Rat "eher über den Daumen, ohne, dass es wissenschaftlich belegt ist", aufgestellt, sagt Wieland freimütig. Etwa beim Hochwasserschutz. Da wurde zum Teil einfach nur nachgeschaut, für welches Hochwasser die Anlage ausgelegt ist und welchen Puffer sie nach oben hat. "Dann haben wir noch den Faktor zwei draufgelegt."

Atomkraftwerk Biblis

Das hessische Atomkraftwerk Biblis: Das Kernkraftwerk gehört zu den sieben Meilern, die den Experten zufolge noch nicht einmal gegen Abstürze kleinerer Flugzeuge ausreichend gesichert sind.

(Foto: dpa)

Trittin: "Schockierende" Testergebnisse

Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin bezeichnete das Ergebnis des Berichts als "schockierend" - und forderte für die sieben alt-AKW: "Keines dieser alten Kraftwerke darf jemals wieder ans Netz gehen." SPD-Vize-Fraktionschef Ulrich Kelber sagte Reuters, kein AKW habe das höchste Sicherheitslevel trotz veralteter Kriterien erreicht. "Das ist bezeichnend." Die SPD verlange nun eine Debatte über die Tatsache, dass keines der AKW gegen einen Terrorangriff aus der Luft geschützt sei. Die Umweltorganisation Greenpeace erklärte, der Bericht besiegele das Schicksal der sieben ältesten AKW. "Ein Weiterbetrieb wäre unverantwortlich", sagte Energieexperte Heinz Smital. Eine Nachrüstung zum Schutz gegen Flugzeugabstürze sei praktisch nicht möglich.

Doch nach wie vor ist die Frage ungeklärt, wie es nach dem Ende des Moratoriums Mitte Juni weitergehen soll. Solange es keine neuen gesetzlichen Bestimmungen gibt, müssten die Atommeiler spätestens dann wieder an Netz gehen. Das sei Aufgabe der Länder, redet sich Röttgen raus. Die seien für die Atomaufsicht zuständig und würden jetzt wohl erst mal den RSK-Bericht prüfen, bevor sie Entscheidungen treffen.

Für eine Verlängerung des Moratoriums aber dürfte es kaum eine rechtliche Grundlage geben. Es gibt schließlich auch nach dem Bericht der RSK offenbar keinen Zweifel, dass alle AKW die geltenden rechtlichen Bestimmungen erfüllen.

Dass der Bundestag bis Mitte Juni neue Gesetze verabschiedet hat, ist unwahrscheinlich. Noch fehlt der Abschlussbericht der von der Bundesregeierung eingesetzten Ethikkommission. Bevor der nicht da ist, werden auch keine Gesetzesvorlagen geschrieben.

Jedenfalls: Dringend gebraucht scheinen die Atomkraftwerke nicht zu werden. Röttgen räumte ein, dass die 17 deutschen Reaktoren derzeit lediglich 33 Prozent ihrer möglichen Strommenge liefern. Das Licht ist deshalb nirgends ausgegangen.

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