Experten:USA suchen die falschen Chemie-Kampfstoffe

Hans Leyendecker

(SZ vom 29.4.2003) Es gehört schon zum tagtäglichen Ritual: Irgendwo in den Weiten des Irak stößt ein Suchtrupp der amerikanischen Streitkräfte auf verdächtige Fässer. Manchmal stehen in der Gegend auch seltsame irakische Laster herum, wie man sie in Texas noch nie gesehen hat.

Reporterteams werden alarmiert, und ein Militär meldet gehorsamst: Die Truppe sei möglicherweise auf chemische Kampfstoffe gestoßen, und es müsse geprüft werden, ob es sich bei den Fahrzeugen um mobile Labors zur Bio- und Chemiewaffenproduktion handele. In den Abendnachrichten sind dann Soldaten zu sehen, die Gasmasken und Schutzanzüge tragen, und der Kommentator sagt, die entnommenen Proben müssten noch analysiert werden.

So lief es auch am Sonntag ab, als amerikanische Soldaten in der Nähe einer Ortschaft namens Baidschi nördlich von Bagdad Fässer und Fahrzeuge fanden. Ein Militär schlug Alarm, dann kam, mit einiger Verspätung, die Entwarnung: eine Fehlspur - wie schon so häufig in den vergangenen Wochen. Bisher haben sich alle Meldungen über den Fund von Senfgas, Sarin oder anderen Substanzen in Nichts aufgelöst.

Das mag daran liegen, dass die Iraker die chemischen Kampfstoffe (und nur um diese Massenvernichtungswaffe geht es momentan noch) an geheimen Plätzen versteckt haben. Vielleicht aber gibt es auch nur noch minimale Restbestände der von Außenminister Colin Powell noch im Februar im Irak vermuteten hundert bis fünfhundert Tonnen chemischer Kampfstoffe. Dass Powell damals von einer "konservativen Schätzung" sprach, klingt heute etwas übertrieben.

Die Schatzsuche der Amerikaner hat komische und tragische Züge. Zunächst hinter der Front, dann auf freiem Feld hastet eine amerikanisch-britische Sondereinheit, die 75. Exploitation Task Force, von Fund zu Fund. Fünfhundert militärische und zivile Fachleute sowie Angehörige der Nachrichtendienste arbeiten Listen von Orten ab, die Geheimdienste zusammengestellt haben. Die Truppe soll bald 1500 auf Mitarbeiter anwachsen, hat aber derzeit mit der eigenen Organisation schon große Probleme.

Vier mobile Einsatzteams, MET genannt, gingen an den Start. Die Teams Charlies und Delta sind für die Dokumentation irakischer Kriegsverbrechen und für die Suche nach Geheimdienstmaterial abgeordnet worden. Die Teams Alpha und Bravo klagen Reportern wie Judith Miller von der New York Times manchmal ihr Leid: Es gebe zu wenig Fahrzeuge, Hubschrauber müssten wegen des schlechten Wetters oder mangelnder Wartung am Boden bleiben. Es fehle sogar an Funkgeräten.

"Nicht flunkern"

Sie wissen nicht genau, was sie wo suchen sollen und irren durchs Gelände. An neunzig Orten immerhin sind die Teams gewesen, aber der Oberkommandierende General Tommy R. Franks vermutet, dass mehr als eintausend Plätze abgesucht werden müssen. Das könne dauern. "Wir wollen es nicht wie Bagdad Bob machen", sagte der General noch. Er meinte, die US-Spezialisten sollten wahrhaftig sein und nicht flunkern wie der untergetauchte irakische Informationsminister, den Franks "Bagdad Bob" nennt.

Die Spurensuche nach Massenvernichtungswaffen wird von früheren UN-Inspekteuren mit einer Mischung aus Spott und fachmännischem Interesse verfolgt. Zwar hat UN-Chefinspekteur Hans Blix den USA die Hilfe der Rüstungs-Kontrolleure angeboten, doch die US-Administration misstraut seiner Person und der Auswahl der Unmovic-Truppe.

Die früheren Kundschafter hingegen betrachten das Ziel der US-Truppen skeptisch, die vor allem nach Anthrax und dem Nervengas VX in Fässern Ausschau halten. "So wird das nie was", sagt ein ehemaliger UN-Inspekteur, der anonym bleiben möchte. VX sei die falsche Spur und Anthrax vermutlich auch.

Er empfehle, nach Produktionsanlagen zu schauen. Fabrikationen für Raketengift oder Pestizide beispielsweise. Da könne auch Senfgas produziert worden sein. Die US-Spurensucher sollten überdies nicht den eigenen Hochrechnungen trauen.

Viele Bausteine für chemische Waffen könnten genauso für zivile Projekte verwendet werden. So habe der Irak lange vor dem Krieg große Mengen Chlor geordert, die man für die Produktion von Senfgas verwenden könne. Aber Chlor wird auch für die Klärung von Trinkwasser benötigt. Und sauberes Wasser braucht das Land.

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