Ex-Premier von Island:Aus der Krise in die Freiheit

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Wer ist schuld am Zusammenbruch des isländischen Finanzsystems? Ex-Ministerpräsident Geir Haarde soll in einigen wichtigen Fragen sein Kabinett nicht ausreichend informiert haben. Bestraft wird er dafür aber nicht, entschied ein Sondergericht.

Gunnar Herrmann

Islands Ex-Ministerpräsident Geir Haarde kann für seinen Umgang mit der Finanzkrise nicht bestraft werden. Das Sondergericht "Landsdomur" sprach den 61-Jährigen am Montag in Reykjavík in drei von vier Anklagepunkten frei. Nur einen Vorwurf hielt das Gericht für gerechtfertigt: Haarde soll in einigen wichtigen Fragen sein Kabinett nicht ausreichend informiert haben. Bestraft wird er dafür aber nicht.

Geir Haarde soll in einigen wichtigen Fragen sein Kabinett nicht ausreichend informiert haben. Bestraft wird er dafür aber nicht. (Foto: REUTERS)

Es war eine illustre Truppe, die Anfang März im Zeugenstand vor dem Landsdomur befragt wurde. Ehemalige und noch regierende Minister mussten dort ebenso aussagen wie die Ex-Bosse der mittlerweile bankrotten Banken. Die Anklägerin Sigridur Fridjonsdottir hatte versucht, zu beweisen, dass Haarde eine Reihe von Gelegenheiten hatte, den Zusammenbruch der isländischen Finanzwirtschaft zu verhindern - aber alle Warnungen in den Wind schlug. Haardes Verteidiger Andri Árnason meinte dagegen, dem Ministerpräsidenten seien wichtige Informationen vorenthalten worden, ihn treffe darum keine Schuld. Als Höchststrafe hätten zwei Jahre Haft gedroht.

Eine Insel am Rande des Staatsbankrotts

Island wurde von der Finanzkrise besonders hart getroffen. Der Zusammenbruch der drei größten Banken trieb die Insel an den Rand des Staatsbankrotts. Bis heute hat das Land mit den Folgen zu kämpfen. Der Prozess gegen Haarde drehte sich vor allem um die Frage, warum die Regierung dem hochriskanten Spiel der Finanzwirtschaft nicht Einhalt geboten hatte. Nach dem Crash erzwangen die Isländer mit heftigen Protesten Neuwahlen. Haardes konservative Partei, die jahrzehntelang die Politik der Insel dominiert hatte, landete dabei in der Opposition.

Möglich wurde der Prozess gegen den Ex-Regierungschef durch eine Klausel in der isländischen Verfassung, die seit dem Inkrafttreten 1944 noch nie angewandt worden war. Sie gestattet dem Parlament, Kabinettsmitglieder per Mehrheitsbeschluss vor ein Sondergericht zu stellen. Von Anfang an gab es eine heftige Debatte darüber, ob eine Anwendung der Klausel im Fall Haarde sinnvoll ist - auch deshalb, weil das Parlament auf eine Klage gegen Haardes ehemalige Kabinettskollegen verzichtete, unter ihnen Minister der heute noch regierenden Sozialdemokraten.

In der Bevölkerung gab es zuletzt für den Prozess nur noch wenig Zustimmung. Laut dem Politologen Eirikur Bergmann stimmten die linken Parteien ursprünglich wohl für die Anklage gegen Haarde, weil sie sich davon Sympathiegewinne versprachen. Nun sind die linken Regierungsparteien allerdings im Umfragetief. Die konservative Unabhängigkeitspartei, der Haarde angehört, genießt dagegen wieder die gleiche hohe Zustimmung wie vor der Krise.

© SZ vom 24.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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