Ex-Linken-Chef über Probleme seiner Partei:Lafontaine: "Die Reformer mäkeln nur herum"

Nach seinem Abschied von der Parteispitze greift Oskar Lafontaine den Reformflügel der Linken scharf an und kritisiert, dass sich die Genossen zu sehr mit sich selbst beschäftigen.

Thorsten Denkler

Oskar Lafontaine ist Fraktionsvorsitzender der Linkspartei im saarländischen Landtag. Bis Mai 2010 stand er außerdem der Bundespartei vor, legte dieses Amt jedoch aus gesundheitlichen Gründen nieder. Seit Jahrzehnten gehört Lafontaine zu den wichtigsten Politikern der Bundesrepublik, er war bereits saarländischer Ministerpräsident, SPD-Vorsitzender und Bundesfinanzminister. Lafontaine trieb die Gründung der WASG, deren Zusammenschluss mit der PDS und die Etablierung der Linkspartei in der deutschen Parteienlandschaft entscheidend voran.

Lafontaine zieht sich aus der Bundespolitik zurueck

Oskar Lafontaine: "Die Linke hält Krieg als Mittel der Politik nicht für gerechtfertigt."

(Foto: ddp)

sueddeutsche.de: Herr Lafontaine, in der FDP rumort es erheblich. Parteivorstand Wolfgang Kubicki sieht seine Partei dem Zerfall nahe. Sie auch?

Oskar Lafontaine: Es ist ungewöhnlich, dass eine Partei innerhalb eines Jahres so viel Zustimmung verliert. Der Grund liegt auf der Hand: Das zentrale Versprechen der FDP aus dem Bundestagswahlkampf - mehr Netto vom Brutto - ist nicht zu halten.

sueddeutsche.de: Kubicki vergleicht den Zustand der FDP mit dem der DDR in ihrer Endphase. Ein guter Vergleich?

Lafontaine: Er meint wohl, dass in der FDP-Führung zu wenig über die Gründe gesprochen wird, die zu diesen niedrigen Zustimmungswerten führen. Aber DDR-Vergleiche sind in Deutschland immer schwierig.

sueddeutsche.de: Manche Ihrer Genossen haben einen ähnlichen Blick auf die Linke wie Kubicki auf die FDP. Welche Parallelen sehen Sie zwischen Ihrer Partei und der FDP?

Lafontaine: Keine.

sueddeutsche.de: Ist es vielleicht noch viel schlimmer? Einzelne Landesverbände, vor allem im Westen, sind völlig zerstritten. In Bayern scheint die Linke gespalten. Der Höhenflug der Partei ist gemäß den Umfragen gestoppt. Die Themen der Linken interessieren nicht mehr richtig. Kursdebatten sind unerwünscht.

Lafontaine: Dieser Vorwurf trifft nicht zu. Kursdebatten sind erwünscht. Die Themen der Linken - Regulierung der Finanzmärkte, Wiederherstellung des Sozialstaates, friedliche Außenpolitik - sind hochaktuell. Die Linke liegt stabil bei zehn, elf Prozent.

sueddeutsche.de: Also alles in Ordnung?

Lafontaine: Nein. Die Linke hat zwei Probleme. Sie hat sich im zurückliegenden Jahr zu viel mit sich selbst beschäftigt. Zum anderen haben wir die bekannte Mediensperre. Eine Partei, die für ein gerechteres Steuersystem mit höherer Vermögenssteuer, Einkommenssteuer und Erbschaftssteuer eintritt, ist bei Verlagen und Chefredakteuren nicht beliebt.

sueddeutsche.de: Nun, wir reden ja auch gerade miteinander. So ganz umfassend kann die Mediensperre nicht sein. Woran machen Sie fest, dass Ihre Partei angeblich benachteiligt wird?

Lafontaine: Wenn in einer Hauptnachrichtensendung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens die Grünen 15 Mal so häufig berücksichtigt werden wie die Linke, dann ist das nicht vertretbar. Viele Journalistinnen und Journalisten haben vergessen, dass die Linke im Bundestag stärker ist als die Grünen.

sueddeutsche.de: Ihre Parteivorsitzende Gesine Lötzsch hat den umstrittenen Vorschlag gemacht, die Berichterstattung habe sich am Kräfteverhältnis im Bundestag zu orientieren. Das ist eine etwas seltsame Vorstellung von Pressefreiheit.

Lafontaine: In einer demokratischen Gesellschaft ist es ein Gebot der Fairness, die Parteien entsprechend ihrer Bedeutung zu berücksichtigen. Es ist unfair, dass oft nur SPD und Grüne erwähnt werden, wenn Stimmen der Opposition gesammelt werden. Da steckt System dahinter.

sueddeutsche.de: Ihr eigener saarländischer Landesverband hat jüngst den Entschluss gefasst, dass derjenige aus der Partei ausgeschlossen werden kann, der die Partei gegenüber der Presse diffamiert. Steht jetzt zu befürchten, dass mit diesem Maulkorberlass keinem Mitglied der Saar-Linken mehr ein kritisches Wort zur eigenen Partei über die Lippen kommt?

Lafontaine: Es sollte doch selbstverständlich sein, dass man nicht Mitglieder der eigenen Partei oder die ganze Partei diffamiert.

Maulkorberlass bei der Linken?

sueddeutsche.de: Sie beklagen eine Mediensperre und bauen für Ihre eigenen Mitglieder selbst eine auf. Wie passt das zusammen?

Lafontaine: Wenn man die Mitglieder ermahnt, die eigene Partei und die eigenen Parteifreunde nicht zu verleumden, dann ist das keine Mediensperre.

sueddeutsche.de: Der Partei laufen reihenweise Mitglieder davon, die eine schlechte Debattenkultur in der Linken beklagen. Es trifft vor allem Reformer, die sich gegen Schmähangriffe aus den eigenen Reihen von der Parteiführung nicht ausreichend in Schutz genommen fühlen. Sorgt Sie das?

Lafontaine: Die von den Medien mal als Reformer, mal als Pragmatiker bezeichnete Gruppe hat bisher keinen einzelnen erwähnenswerten Reformvorschlag gemacht. Diese Gruppe macht bedauerlicherweise nur durch Mäkelei an der Partei und ihrer Führung von sich reden. Im Übrigen hat die Die Linke Mitgliederzuwachs.

sueddeutsche.de: Bei den Streitereien geht es meist um Grundsätzliches. Die einen sind bereit zum Kompromiss, um aus der Regierung heraus das Land verändern zu können. Die anderen und offenbar mächtigeren Parteifreunde predigen lieber die reine Lehre.

Lafontaine: Eine große Mehrheit in der Partei ist sich einig, dass die Linke in einer Regierung erkennbar sein muss. Sie kann sich daher nicht an Regierungen beteiligen, in denen Privatisierungen vorgenommen oder soziale Leistungen und Personal abgebaut werden.

sueddeutsche.de: Sie wollen sofort raus aus Afghanistan. In Ihrer Partei kämpfen Reformer dafür, die Gefahr eines Bürgerkriegs nicht außer Acht zu lassen, sollte die Bundeswehr sofort abziehen. Sie fühlen sich schon ausgegrenzt dafür, dass sie es damit wagen, eine Grundposition der Partei in Frage zu stellen. Warum ist es nicht möglich, in der Linken eine offene Debatte über diese Frage zu führen?

Lafontaine: Es kann selbstverständlich offen debattiert werden. Das geschieht ja auch seit Jahren. Aber die große Mehrheit unserer Mitglieder ist der Auffassung, dass der Afghanistankrieg durch nichts zu rechtfertigen ist. Nach neun Jahren erkennt sogar die Bundesregierung, dass dieser Krieg nicht zu gewinnen ist: Er war von Anfang an eine Fehlentscheidung.

sueddeutsche.de: Was würde es die Partei kosten, würde sie um der Regierungsfähigkeit willen eine differenziertere Position einnehmen?

Lafontaine: Die Linke hält Krieg als Mittel der Politik nicht für gerechtfertigt. Das gilt solange, bis der Satz widerlegt ist, mit viel weniger Geld können ungleich mehr Menschenleben gerettet werden als mit den Kriegen in Afghanistan oder im Irak. Damit vertreten wir eine Position, die auch lange Zeit der Sozialdemokratie zu eigen war und die von der großen Mehrheit der Bevölkerung geteilt wird.

sueddeutsche.de: Wenn Sie irgendwann im Bund mitregieren wollen, müssten Sie langsam anfangen, Kompromissfähigkeit zu zeigen. Das gilt auch für Hartz IV und andere Themen, wo die Linke dazu neigt, selbst Detailfragen zu Grundüberzeugungen auszubauen.

Lafontaine: Die Linke wird in eine Regierung eintreten, wenn die dann notwendigen Kompromisse sie nicht zwingen. Die Ablehnung des Krieges als Mittel der Politik ist eine solche Grundposition, die die Linke nicht aufgeben wird.

sueddeutsche.de: Teilen Sie die These von Gregor Gysi, der sagt, dass sich mit Themen wie Rente mit 67 und Hartz IV die Menschen kaum noch mobilisieren lassen?

Lafontaine: In diesem Jahr standen die Themen nicht so sehr im Vordergrund. Darüber wird im Ausland bereits gespottet. In fast allen europäischen Hauptstädten wird gegen Sozialabbau demonstriert. In Deutschland wird gegen Stuttgart 21 und die Castortransporte auf die Straße gegangen. Im Zuge der Banken- und der Euro-Krise wird die soziale Frage wieder in den Vordergrund rücken.

"Meine Nachfolger sind nicht überfordert"

sueddeutsche.de: An diesem Freitag wird im Bundesrat über die Hartz-Reform entschieden. Der saarländische Grünen-Chef Hubert Ulrich ist Zünglein an der Waage. Erst hatte er seine Bereitschaft erkennen lassen, zuzustimmen, wenn die Bundesregierung dem Saarland ein lukratives Angebot macht - jetzt lehnt er die Reform doch ab.

Lafontaine: Die Grünen im Saarland, die von der FDP gekauft sind, eiern herum. Mittlerweile hat sich aber auch herausgestellt, dass diese unklare Haltung die Bundespartei weiter beschädigt.

sueddeutsche.de: Die Linke fordert 500 Euro für jeden Hartz-IV-Empfänger. Dazu kommen dann ja immer noch Wohnung und Heizkosten. Die Sozialverbände wollen 420 bis 450 Euro. Warum legt die Linke noch eine Schippe drauf?

Lafontaine: Die Forderung der Wohlfahrtsverbände zu berücksichtigen, wäre ein erster Schritt. Es kann schließlich niemand bestreiten, dass die vergangenen Jahre von einer riesigen Umverteilung von unten nach oben gekennzeichnet waren. Wir haben mittlerweile den größten Niedriglohnsektor unter den Industriestaaten. Zugleich steigen die Vermögen der oberen Zehntausend immer weiter. Der entscheidende Fehler von Hartz IV ist die Formel, dass jeder, wenn er nicht Leistungskürzungen riskieren will, jede Arbeit annehmen muss - sei sie noch so schlecht bezahlt und noch so weit weg von seiner Qualifikation. Diese gesetzlich verordnete Lohndrückerei verantworten SPD, Grüne, CDU/CSU und FDP.

sueddeutsche.de: Das erklärt noch nicht, warum die Linke 50 bis 80 Euro mehr fordert als die Sozialverbände.

Lafontaine: 500 Euro braucht man in Deutschland, um einigermaßen leben zu können.

sueddeutsche.de: Gysi fordert die Parteichefs Klaus Ernst und Gesine Lötzsch in Interviews auf, sich stärker um Demokratiefragen zu kümmern, weil die Sozialthemen nicht mehr ziehen. Kommen die darauf nicht alleine?

Lafontaine: Wir haben uns von Anfang an als demokratische Erneuerungsbewegung verstanden. Wir haben als erste Partei den Mitgliederentscheid zur Grundlage unserer Richtungsentscheidungen gemacht. Wir fordern Volksbegehren auf allen Ebenen. Und wir fordern das Instrument des politischen Streiks, damit die Bevölkerung sich gegen Sozialabbau zur Wehr setzen kann.

sueddeutsche.de: Warum profitieren dann ausgerechnet die Grünen von der Demokratiedebatte?

Lafontaine: Dass die Grünen so stark profitieren, ist schon erstaunlich. Sie sind verantwortlich für Krieg, Hartz IV, die Agenda 2010 und die Deregulierung der Finanzmärkte. Es war die rot-grüne Bundesregierung, die Hedgefonds zugelassen hat und jene Giftpapiere, die uns jetzt so große Probleme bereiten. Manche Wählerinnen und Wähler scheinen das vergessen zu haben.

sueddeutsche.de: Dennoch schafft es die Linke nicht, mehr Gewinn aus der Situation zu schlagen. Es regiert der neoliberale Klassenfeind - und das auch noch erkennbar schlecht. Zigtausende Menschen gehen auf die Straße, die sich als Bürger nicht mehr ernst genommen fühlen. Ist das Führungsduo Gesine Lötzsch und Klaus Ernst vielleicht einfach überfordert, die Linke gut zu positionieren?

Lafontaine: Gesine Lötzsch und Klaus Ernst sind nicht überfordert. Die Linke liegt stabil bei zehn, elf Prozent. Neben der Mediensperre muss man noch sehen, dass die anderen Parteien uns mit undemokratischen Mitteln bekämpfen und ausgrenzen. Die Linke, die als politische Partei eine hohe Resonanz in der Bevölkerung hat, wird weiter vom Verfassungsschutz beobachtet. Das sind Methoden einer Bananenrepublik.

sueddeutsche.de: Das kann jetzt nicht ernsthaft der Grund sein, warum sich Lötzsch und Ernst so schwer tun.

Lafontaine: Die Kritik and den beiden Vorsitzenden ist an den Haaren herbeigezogen, sie machen eine gute Arbeit.

sueddeutsche.de: Gut ist offenbar nicht gut genug. Würden Sie den Job gerne wieder übernehmen? Es gibt ja nicht wenige, die Sie lieber heute als morgen als Parteichef zurückhaben wollen.

Lafontaine: Wir haben eine gute Parteichefin und einen guten Parteichef.

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