Ex-Innenminister Maihofer gestorben:Im Zweifel für die Freiheit

Ex-Innenminister Werner Maihofer ist tot. Nach SZ-Informationen starb der Liberale vor knapp zwei Wochen. Er war einer der Väter der Freiburger Thesen - und kritisierte die Fixierung der FDP auf die CDU.

Heribert Prantl

Normale Menschen erhalten zum neunzigsten Geburtstag eine Rheumadecke. Große Gelehrte bekommen ein Kolloquium, bei dem nicht nur der Jubilar gelobt, sondern auch seine wissenschaftliche Lehre gepriesen wird. Im Idealfall ist das Werk immer noch frisch, aktuell und spannend, auch wenn der geehrte Gelehrte schon ziemlich hinfällig ist.

So war es, als der Strafrechtsprofessor und frühere Bundesinnenminister Werner Maihofer vor einem Jahr neunzig wurde: Die habilitierten Freunde und Weggefährten lobten den großen Strafrechtsreformer Maihofer, der vor über vierzig Jahren den Staub aus dem Strafgesetzbuch geklopft hat.

Kritik vom gebrechlichen Jubilar

Und der frühere FDP-Vorsitzende Wolfgang Gerhardt lobte den "herausragenden Liberalen" Maihofer und zitierte mit Genuss dessen alte Abrechnung mit der Großen Koalition der Jahre 1966 bis 1969. Maihofer hatte damals über diese erste Koalition von CDU/CSU und SPD, die Kiesinger-Koalition, geschrieben: "Große Worte überall, aber kleine Taten."

Dieses Zitat wandte Gerhardt also bei diesem Kolloquium sogleich auf die zweite große Koalition, auf die Koalition Merkel/Steinmeier an, um dann frohlockend zu verkünden, dass die FDP ja demnächst mit der Union koalieren werde. Zum Erstaunen von Gerhardt kam da auf einmal Leben und Feuer in den gebrechlichen Jubilar: Maihofer machte dem Festredner unmissverständlich klar, dass die FDP mit ihrer Anlehnung an die CDU einen historischen Fehler mache und ihr Profil verlieren werde.

Die Philippika, die der Jubilar hielt, war so packend, wie es einst seine Vorlesungen gewesen waren: Diese Maihofer-Vorlesungen in Saarbrücken und Bielefeld waren Sternstunden, sie handelten nicht nur von den Paragraphen, sondern von den Interessen, die hinter diesen Paragraphen stehen. Und sie waren Geschichts- und Philosophiestunden, in denen er Kant, Hegel, Feuerbach, aber auch Daumier, Anatol France und - das war mutig in den fünfziger Jahren - Marx auspackte und auslegte.

Deswegen saßen auch Verfassungsschützer in Maihofers Vorlesungen; später, als er Innenminister war, wollte er dann eine Verfassungsschützer-Schule errichten - auf dass dort gelehrt werde, was es eigentlich zu schützen gilt. Die Staatsschützer hätten viel lernen können von Maihofer: Er erzog seine Hörer zu kritischen Strafrechtlern; für ausufernde Staatsschutzdelikte hatte er wenig Verständnis.

Sozialliberal mit Leib und Seele

Maihofer war ein Aufklärer, ein Sozialliberaler mit Leib und Seele - einer, der im Bündnis des Liberalen mit dem Sozialen die Zukunft der Gesellschaft sah. Zusammen mit FDP-Generalsekretär Karl-Hermann Flach und Walter Scheel schrieb er die berühmten Freiburger Thesen der FDP, die der Aufbruch der Partei in den "Sozialen Liberalismus" waren: Die FDP forderte darin die Reform des Kapitalismus, die Eindämmung der Spekulation mit Grund und Boden und eine "Art Parität" zwischen Kapital und Arbeit.

Die Schlagzeilen von damals sind so verblichen wie die Erinnerung an Werner Maihofer, den stattlichen Mann mit der gewaltigen schwarzen Brille - der in seiner Jugend, 1936, zum olympischen Kader im Eisschnelllauf gehört hatte.

Politisch war Maihofer ein Spätberufener, er erkannte wie elektrisiert, was ein Professor bewirken kann, wenn er aus dem Elfenbeinturm ausbricht - und dann seine Strafrechtsreformpläne in Gesetze gießt: 1969, mit 51 Jahren, trat er der FDP bei, die ihm Platz eins auf der Liste für die Bundestagswahl eingeräumt hatte; ein Jahr später war er Mitglied des Präsidiums und Chef der Programmkommission.

Es war, als ob sich für ihn die Türen von selbst öffneten. 1972 wurde er im sozial-liberalen Kabinett Brandts Minister für besondere Aufgaben; dann Bundesinnenminister im Kabinett von Helmut Schmidt.

Sein Idealbild vom Staat ist im Grundgesetz-Entwurf von Herrenchiemsee beschrieben; er zitierte dessen Eingangssatz immer und immer wieder: "Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen." So wollte er es als Minister halten.

Gespanntes Verhältnis zu Kanzler Schmidt

Es waren aber schwierige Zeiten für solches Denken und Handeln: Die RAF hatte den Generalbundesanwalt Buback, den Bankier Ponto und den Arbeitgeberpräsidenten Schleyer ermordet. Maihofer trug einerseits die Strafrechtsverschärfungen mit, versuchte aber andererseits Initiativen zu entwickeln, um die Terroristen aus der Isolation und der Gewaltspirale herauszuführen.

Kanzler Schmidt hatte für Letzteres kein Verständnis, der linksliberale Flügel der FDP nicht für Ersteres. Maihofers Verhältnis zum gleichaltrigen Kanzler war gespannt - der konnte mit einem Minister nicht viel anfangen, der à la Bloch die "konkrete Utopie" suchen wollte. Im Interview lobte Schmidt also die FDP-Minister Genscher und Ertl, nicht aber Maihofer. Als der Journalist nachfragte, sagte Schmidt, das sei kein Zufall.

Ein großer Organisator war Maihofer nie, er war ein großer Denker. Einmal freilich handelte er wie ein kluger Feldherr. Er selbst hat berichtet, er sei es gewesen, "der den gewagten Entschluss fasste, der in Rom mit unbekanntem Flugziel gestarteten Landshut die GSG 9 in einem zweiten Flugzeug hinterherzusenden, so dass sie unmittelbar nach der Landung in Mogadischu ebenfalls dort eintraf und mit überraschendem Angriff die Geiseln befreien konnte".

Der Machtapparat des Innenministeriums war ansonsten nicht Maihofers Welt. Dort war dann der Lauschangriff auf den Atommanager Klaus Traube das Seil, über das Maihofer stolperte. Gerhart Baum, bisher sein Staatssekretär, wurde so sein Nachfolger. Maihofer kehrte zurück an die Uni Bielefeld, ins königliche Amt des Professors, wie er sagte; 1982 wurde er Präsident des Europäischen Hochschulinstituts in Florenz.

Soeben, in den Koalitionsverhandlungen, hat sich die FDP endlich an die berühmte Maihofer-Formel erinnert: "Im Zweifel für die Freiheit". Deren Schöpfer ist am Beginn dieser Verhandlungen gestorben; sein Tod war bisher nicht bekannt geworden.

An diesem Dienstag wird Maihofer nahe Frankfurt beerdigt, an dem Tag, der sein 91. Geburtstag gewesen wäre.

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