Ex-Bildungsministerin besucht Wahlkreis:Schavan flieht zu den Narren

"Hier sind Sie willkommen, hier sind Sie daheim": Ihr erster öffentlicher Auftritt als Ex-Bildungsministerin führt Annette Schavan in ihren schwäbischen Wahlkreis. Dort soll sie, vier Tage nach ihrem Rücktritt, Fastnacht feiern.

Von Roman Deininger, Ehingen

An jedem anderen Tag wäre Peter Groß im Bett geblieben, 39 Grad Fieber, ein scheußliches Kratzen im Hals. Aber heute? Sicher nicht. Am Fasnetsdienstag ist Narrensprung in Ehingen, die Tradition geht viele hundert Jahre zurück.

Und diesmal wollen die Ehinger Narren ja nicht nur lustig sein bei ihrer Zunftmeistersitzung im Lindenwirt. Sondern auch einen Moment lang ernst. "Wir warten auf eine ganz besonders liebenswerte Person", sagt der Zeremonienmeister, und Groß nickt gemessen in seinem weinroten Dämonenkostüm. "Häs" heißt das hier, eine Viertelautostunde südwestlich von Ulm.

"Ich hätte an ihrer Stelle die gerichtliche Klärung abgewartet", sagt Groß, der CDU-Fraktionschef im Gemeinderat, "ich wäre nicht zurückgetreten". Jetzt nicken auch die anderen Dämonen am Tisch, genau wie die "Krettenweiber" und "Muckenspritzer".

Schavan kämpft als Abgeordnete weiter um ihr Recht

Annette Schavan hat die gerichtliche Klärung der Plagiatsvorwürfe gegen ihre Dissertation nicht abgewartet, sie ist als Bundesbildungsministerin zurückgetreten, wenige Tage nachdem ihr die Universität Düsseldorf ihren Doktortitel aberkannt hatte. Schavan, 57, will jetzt als einfache Bundestagsabgeordnete um ihr Recht kämpfen.

Als sie am Samstag mit Kanzlerin Angela Merkel vor die Presse trat, in den schwersten zehn Minuten einer bald zwanzig Jahre währenden Freundschaft, konnte sie, wollte sie den Schmerz nicht verbergen. Und nun, nur vier Tage später, soll sie Fastnacht feiern?

Ehingen, jüngst schwer getroffen von der Pleite der ortsansässigen Drogeriekette Schlecker, ist eine konservative Stadt, 58 Prozent hatte die CDU bei der Gemeinderatswahl vor vier Jahren. Der Zeremonienmeister hat Gemeinderat Groß gerade zur Begrüßung körperlich und politisch mit Franz Josef Strauß verglichen, dann sagt er: "Die Grünen sind schon auch immer eingeladen. Die kommen nur nie."

"Sie ist immer für uns da"

Seit 2005 sitzt Schavan für die Region im Bundestag. Der gebürtigen Rheinländerin ist es indes lange nicht mal gelungen, ihren eigenen Kreisverband für sich zu begeistern - inzwischen hat sie das aber offensichtlich geschafft. "Am Anfang war sie zu wenig im Wahlkreis präsent", sagt Parteifreund Groß, "heute ist das ganz anders, sie ist immer für uns da."

Und jetzt, findet Groß, sei eben der Augenblick gekommen, in dem sie für Schavan da sein müssen. Vor ein paar Wochen hat die Alb-Donau-CDU die Ministerin mit 96 Prozent Zustimmung als Kandidatin für die Bundestagswahl nominiert. Auch ohne Amt werde die Partei "zu hundert Prozent hinter ihr stehen", sagt Groß.

Nicht einen Hauch von Zweifel, so hat das CDU-Kreischef Paul Glökler nur Stunden nach der Uni-Entscheidung verkündet, gebe es an der Kandidatin Schavan: "Bei den Beziehungen und Netzwerken, die die Frau hat, ist sie für uns immer noch Gold wert". Man rechne mit einem glänzenden Ergebnis im September.

Um halb eins schiebt sich eine Blaskapelle in den Lindenwirt, sie spielt "Ein Schiff wird kommen". Und dann kommt Schavan. Die Narrenmütze hat sie in der Hand statt auf dem Kopf. Lothar Huber, der Ehinger Zunftmeister, blauer Frack, grauer Zylinder, hat nicht nur ein paar warme Worte für sie vorbereitet, er steckt gleich mal ein Feuer der Sympathie an: "Liebe, verehrte Frau Schavan, hier sind Sie willkommen, hier sind Sie daheim. Hier bei Ihren engsten Freunden, bei ihren Narren, die es ehrlich mit Ihnen meinen. Sie bleiben uns treu, und wir bleiben Ihnen treu."

Schavan ist mit sich "im Reinen"

Ein Land, das eine Frau wie Schavan so herzlos aus dem Amt jage, sei "auf dem besten Weg zur Bananenrepublik", findet Huber. Schavan lächelt sich routiniert durch den Applaus. Der Dame neben ihr hilft alle Routine nichts: Hilde Mattheis lauscht der Bananen-Theorie ein wenig ratlos - bei der Wahl soll sie für die SPD Schavan das Direktmandat streitig machen.

Vor der für Gegend und Tageszeit obligatorischen Maultasche nimmt sich Schavan leicht genervt ein paar Minuten für die Journalisten, eine kühle Brise in der Hitze von Ehingen. Natürlich komme sie zur Fastnacht, sagt sie, "warum sollte ich Termine unter Freunden absagen?" Sie habe eine "anstrengende Zeit" hinter sich, aber es gehe ihr gut, "ich bin mit mir im Reinen".

Dämonen, Krettenweiber und Muckenspritzer nicken eifrig. Am Sonntag sei sie bei ihrer Mutter gewesen, am Abend fliege sie nach Berlin, am Mittwoch werde sie ihr Büro ausräumen, am Donnerstag ihre Entlassungsurkunde abholen. Es klingt jetzt, als würde sie ihren Kalender vorlesen. Zumindest der Eintrag für Freitag dürfte ihr genehm sein: Dann, sagt sie, "nehme ich den ICE nach Ulm".

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