Europawahl:Warum die Gefahr von rechts wächst

Land Niedersachsen will gezielter gegen Rechts vorgehen

Aufmarsch von Neonazis in Deutschland

(Foto: dpa)

Sie schlagen im EU-Parlament vor, Flüchtlingsschiffe zu versenken oder rufen zum "Krieg gegen den Islamismus" auf: Ein neues Buch widmet sich Europas Rechtsradikalen - und warum sie nach der Europawahl im Mai 2014 gefährlicher werden könnten.

Von Tanjev Schultz

Wenn in einer der Hauptstädte Europas Rechtsradikale aufmarschieren, gibt es glücklicherweise meistens auch eine Gegendemonstration. Oft ist sie größer und imposanter als die Versammlung der Neonazis, die ihren Mangel an Masse und intellektuellem Gewicht durch lautes Gebrüll wettzumachen versuchen.

In London sind vor einiger Zeit die Kräfteverhältnisse auf beinahe komische Weise deutlich geworden, als eine überschaubare Schar von Demonstranten der rechtsextremen British National Party (BNP) im Zentrum der Stadt plötzlich einer großen Versammlung von Gegnern der in England üblichen Dachsjagd gegenüberstand. Da protestierten viele Menschen mit einer Dachsmaske. Als sie auf die BNP stießen, forderten Aktivisten nicht nur ein Ende der Jagd auf Dachse, sondern auch ein Ende der radikalen Hetzparolen der BNP.

Dennoch darf man die rechtsradikalen Parteien in Europa nicht unterschätzen. Bewusst setzen sie, neben ihrem nationalistischen Getöse, auch auf so populäre und sensible Themen wie Tierschutz oder den Kampf gegen Kinderschänder, um Anhänger zu gewinnen. In den vergangenen Monaten spielte ihnen außerdem die europäische Wirtschafts- und Finanzkrise in die Hände. Für die kommende Europawahl im Mai 2014 verheißt das nichts Gutes.

In vielen EU-Staaten haben wegen fehlender oder schwacher Sperrklauseln auch kleinere Parteien gute Aussichten, Abgeordnete nach Straßburg zu entsenden. In Deutschland hofft die finanziell angeschlagene und bei Wahlen zuletzt wenig erfolgreiche NPD darauf, dass das ihre Rettung sei. Das Bundesverfassungsgericht hat die in Deutschland bisher gültige Fünf-Prozent-Hürde bei Europawahlen gekippt, und die Rechtsextremisten werden nun alles dafür tun, mindestens einen Abgeordneten zu stellen.

Die NPD könnte damit einem Parteiverbot zuvorkommen, das der deutsche Bundesrat durchsetzen will. Zuletzt hatte es auf dem Weg zu einem Verbotsantrag immer wieder Verzögerungen gegeben - und der Ausgang des Verfahrens vor Gericht ist ungewiss. Bei der Bundestagswahl hatte die NPD von Anfang an nicht viel zu erwarten und so sparte sie ihre beschränkten Kräfte lieber für die Europawahl auf. Martin Langebach und Andreas Speit zitieren in ihrem Buch den NPD-Chef Holger Apfel, der seinen Anhängern versichert hat, 2014 würden Abgeordnete nach Straßburg ziehen, die sich für Deutsche einsetzen, "die Deutsche bleiben wollen".

Das Buch über Europas radikale Rechte kommt zur rechten Zeit. Es bietet allerdings keine detaillierte Analyse der Parteien und Gruppen, sondern setzt auf reportageähnliche Impressionen aus den verschiedenen Ländern, von Deutschland, Dänemark und Italien bis Tschechien und Ungarn. Auch der Schweiz und Norwegen, die der EU nicht angehören, sind Passagen gewidmet. Am Ende geben die Autoren noch einen Überblick über die schon jetzt im Europaparlament vertretenen rechtsradikalen Parteien.

Flüchtlingsboote im Meer versenken

Die britische BNP beispielsweise, die 2009 erstmals ins Europäische Parlament einzog, machte dort den Vorschlag, die Flüchtlingsboote aus Nordafrika auf ihrem Weg nach Europa einfach im Meer zu versenken. Von solcher Qualität sind viele der Initiativen, mit der Europas radikale Rechte in Straßburg Aufmerksamkeit erregen wollen. Die Autoren zitieren Martin Schulz (SPD), den Präsidenten des Europäischen Parlaments, mit den Worten, in der laufenden Wahlperiode seien im Parlament "rassistische Äußerungen und antisemitische Vorurteile zum Alltag geworden". Das permanente Brechen von Konventionen des Parlamentsbetriebs habe mittlerweile Methode. Es wäre kein gutes Zeichen, wenn die Demokraten sich daran gewöhnten.

Glücklicherweise zünden die wenigsten der geistigen Sprengsätze von rechts, denn die Mehrheit der Abgeordneten im Europaparlament nimmt die Extremisten nicht ernst, und die Korrespondenten der großen europäischen Medien berichten kaum über sie. So bekommen die wenigsten Bürger überhaupt mit, was die Nationalisten in Straßburg treiben.

Zu Beginn der Wahlperiode verhinderten Abgeordnete, dass der Gründer des französischen Front National, Jean-Marie Le Pen, Alterspräsident des EU-Parlaments werden konnte. Und bisher war außerdem noch immer Verlass darauf, dass sich die Rechtsradikalen in internen Auseinandersetzungen aufreiben und sich durch Abspaltungen und personelle Querelen früher oder später selbst schwächen.

Allerdings bemühen sich rechte Gruppen durchaus darum, über Nationen hinweg Bündnisse zu schließen, und sei es nur aus taktischen Gründen. So sind beispielsweise die Europäische Allianz für Freiheit und die Europäische Allianz nationaler Bewegungen entstanden. Zudem gibt es längst "eine transnationale Praxis aus politischen Aktionen und kulturellen Veranstaltungen im vorpolitischen Raum", schreiben Langebach und Speit. Die radikalen Rechten besuchen sich gegenseitig bei ihren Aufmärschen, und über das Internet betreiben sie einen regen Austausch mit Ideen, Plänen und Propagandamaterial.

Enge Verbindungen zwischen den braunen Kameraden

Ihre Ablehnung der EU und ihre Zuflucht bei der Idealisierung eines "Vaterlandes" hindere sie nicht unbedingt daran, international zusammenzuarbeiten, schreiben die Autoren. Deutsche Neonazis haben enge Verbindungen zu braunen Kameraden in Tschechien und Schweden, nicht zuletzt durch ihre Musikszene.

Die gegenwärtige Krise in Südeuropa könnte bei der nächsten Wahl auch neue rechtspopulistische Parteien nach Straßburg bringen, die sich gegen weitere Schritte zur Integration Europas stemmen würden. Das Buch von Langebach und Speit, die sich seit Jahren mit Neonazis auseinandersetzen, geht aber nicht eigens auf europaskeptische Strömungen wie die Alternative für Deutschland ein, die ja auch nicht im selben Atemzug mit rechten Extremisten genannt werden wollen.

In ihren Länder-Reports beschreiben die Autoren Szenen von Veranstaltungen eindeutig rechtsextremer und islamfeindlicher Gruppen. Im dänischen Aarhus waren sie dabei, als im vorigen Jahr eine "Anti-Dschihad-Kundgebung" stattfand, an der auch Deutsche von der Partei Die Freiheit und der Vorsitzende der English Defence League teilnahmen. Der Engländer blies dort zum "Krieg gegen den Islamismus". In Frankreich haben die Autoren die Parteizentrale des Front National in Nanterre bei Paris besucht. Das graue Bürogebäude liegt hinter einem hohen weißen Metallzaun, der Blick auf die schlichte Kulisse hat dann allerdings wenig Erkenntniswert.

In Ungarn beobachten die Autoren ein Sommerfest von Jobbik, der "Bewegung für ein besseres Ungarn". Viele ihrer Anhänger bekennen sich zum Magyarentum, diskriminieren Roma und Sinti und träumen von einem Großungarn. Auf dem Sommerfest werden T-Shirts verkauft mit den Umrissen Großungarns, Kinder reiten auf Ponys und basteln Runenschmuck.

So interessant solche Szenen sind, insgesamt leisten die Autoren etwas zu wenig, um die einzelnen Eindrücke zu verdichten zu einer schlüssigen Erzählung, die helfen könnte, die Stärke und die Gefährlichkeit von Europas radikalen Rechten einzuordnen. Das Buch ist jedoch gut und leicht zu lesen, und es verschafft dem Leser zumindest einen ersten Eindruck von jenen Kräften, die dem großen Friedensprojekt "Europa" entgegenstehen. Europas Demokraten müssen wachsam sein.

Martin Langebach, Andreas Speit: Europas radikale Rechte. Bewegungen und Parteien auf Straßen und in Parlamenten. Orell Füssli Verlag, 2013. 287 Seiten, 21,95 Euro.

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