Europawahl 2009: Parteien im Internet:Der Wahlsinn regiert

Stell dir vor, es ist Europawahl - und keiner klickt hin: Mit überladenen und amateurhaften Internetangeboten vergraulen die Parteien potentielle Wähler.

Jannis Brühl und Michael König

Ein Fußgänger ist auf dem Weg ins Wahlbüro, er passiert eine Straße, bleibt auf einem Gullydeckel stehen - und schwups, weg ist er. Schnitt! Markus Ferber, der CSU-Spitzenkandidat für Europa, lächelt in die Kamera. Und spricht: "Gehen Sie keine Gefahren ein. Nutzen Sie die Briefwahl."

Europawahl 2009: Parteien im Internet: Der bayerische Asterix: Der CSU-Spitzenkandidat geht mit humorigen Videos in den Europawahlkampf. Damit liegt er voll im Trend.

Der bayerische Asterix: Der CSU-Spitzenkandidat geht mit humorigen Videos in den Europawahlkampf. Damit liegt er voll im Trend.

(Foto: Screenshot: sueddeutsche.de)

Das Video ist nicht etwa der neue Streich eines Satiremagazins, sondern ein Werbespot der CSU. Er heißt "7. Wahlsinn" - und wirft die Frage auf, ob die PR-Strategen der Parteien im Superwahljahr 2009 eigentlich wahlsinnig geworden sind.

Die Ferber-Spots, die es auf Youtube zu sehen gibt, sind nur ein Beispiel dafür, wie stiefmütterlich viele Parteien ihre Webauftritte noch immer gestalten. Dabei kratzt das Internet in der Gunst der Nutzer längst am Thron des Fernsehens, wenn es um Politik geht: Zwei Drittel der Teilnehmer der aktuellen W3B-Umfrage unter Internet-Nutzern gaben an, das Netz einzusetzen, um sich politisch zu informieren. Nur jeder Zehnte sucht dabei aber die Websites der Parteien auf.

Gerade bei der anstehenden Europawahl am 7. Juni ist Information vonnöten: Die EU ist in den Augen vieler Europäer noch immer ein Moloch der Bürokratie - entsprechend gering fiel die Wahlbeteiligung aus. Bei der Europawahl 2004 lag sie in Deutschland bei 43 Prozent.

Diesmal könnte es schlimmer kommen, weil der Wahltermin in drei Bundesländern mit den Pfingstferien kollidiert. Kommissionspräsident José Manuel Barroso kündigte vorsichtshalber schon einmal an, er könne diesmal auch mit einer Wahlbeteiligung unter 50 Prozent leben - die Legitimation der EU sei trotzdem nicht gefährdet.

"Das große Problem der europäischen Politik ist ihre Darstellung", sagt Lutz Meyer, dessen Kommunikationsagentur Scholz & Friends eine EU-weite Kampagne entworfen hat, um Wähler an die Urne zu locken. Die deutschen Parteien müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, nicht unbedingt zu einer guten Darstellung beizutragen.

Statt gezielt zu informieren und zu werben, schießen sie ihre Botschaften mit dem Schrotgewehr in die Welt. Das Internet als Medium kennt keine Platzbeschränkung, das machen sich die Wahlkämpfer zu nutze. Statt Klasse wird Masse produziert, Inhalte werden beliebig oft wiederholt - in einigen Fällen sogar auf mehreren Websites. Das einstige Ideal des Internets, der schnelle Zugang zu Informationen, geht in dem Wust unter.

So frustriert beinahe jede Partei den potentiellen Wähler auf eigene Weise, statt das Potential zu nutzen, das im Internetwahlkampf liegt: Jeder dritte deutsche Nutzer gibt laut der W3B-Studie an, dass er das Netz nutzen will, um sich hinsichtlich der kommenden Bundestagswahl über Parteien und Parteiprogramme zu informieren. Beinahe jeder Vierte will versuchen, dort "detaillierte, persönliche Informationen" über Politiker zu erhalten. Und jeder Zehnte geht davon aus, dass das Internet "einen wesentlichen Einfluss auf seine Wahlentscheidung" haben wird.

Auf der nächsten Seite: Die Wahlkämpfer veröffentlichen Videos um jeden Preis - Qualität und Aussage sind zweitrangig.

Hauptsache bewegt!

Im Frühling des Wahljahres 2009 scheint unter Politikern der Glaube an den Erfolg von Wahlkampf-Videos ausgebrochen zu sein. Mehr Wähler, jüngere Wähler, modernere Wähler könnte man im Netz erreichen, scheint man in den Wahlkampfzentralen zu glauben - in Zeiten niedriger Wahlbeteiligung hofft man, im Netz das Allheilmittel gefunden zu haben.

Dass ein lieblos, amateurhaft oder anbiedernd gemachtes Video aber im besten Fall gar keinen Effekt hat und einen Politiker im schlimmsten Fall zur Lachnummer macht, scheint keinen der Macher zu interessieren. Gnadenlos setzen die Parteien auf Quantität statt Qualität. Doch die Netz-Gemeinde will nicht so recht darauf anspringen. Laut einer Statistik der Internetseite videocounter.com sind die beliebtesten Wahlvideos im Netz der Bundestagswahlspot der Linkspartei, und die von SPD und Grünen zur Europawahl. Insgesamt sahen im Mai 153.000 Menschen die drei Videos. Zum Vergleich: Das Video eines Hamsters, der vor der Kamera einschläft, sahen im gleichen Zeitraum 400.000 User.

Ein Hauch von Sozialdrama

Wurden diese drei Filme dank ihrer professionellen Machart noch gut angenommen, werden andere Spots schlichtweg ignoriert. So geschehen mit dem Video von Markus Ferber, das auf Youtube gerade mal 1600 Leute sehen wollten.

Ferber versucht sich an einer Asterix-Parodie, ein Versuch, Kurzweile im Wahlkampf zu erzeugen. Der CSU-Spitzenkandidat lässt sich von einer Stimme aus dem Off als "pfiffiger Kämpfer" beschreiben, der gegen die "Brüsseler Cäsaren" zu Felde zieht. Was unter europakritischen Bajuwaren vielleicht noch als leidlich funktionierende Analogie durchgehen würde, kippt schnell ins Klamaukhafte: Mit aufgerissenem Mund rennt Ferber in eine Scheune und zieht die Tür zu, um "die Bauern vor Übergriffen zu schützen".

Es folgt ein Hauch von Sozialdrama: Eine Familie bibbert in Winterjacken am Esstisch. Der Vater beruhigt seine Tochter: "Der Markus Ferber wird ja glei kumma." Und wie er kommt: Ferber rollt ein Heizölfass die Straße entlang. Er ist ja, so der Kommentar, "Energieexperte".

Dann geht alles ganz schnell. Schnitt: Ferber springt in ein Feuerwehrauto. Schnitt: Der CSU-Asterix trinkt "Zaubertrank" aus einem Bierkrug. Unter seinem zufriedenen Seufzen wird das Parteilogo eingeblendet. Der Versuch Humor, Volkstümlichkeit und Europapolitik für die Generation Youtube zu verrühren, muss als gescheitert betrachtet werden.

"Machen Sie Briefwahl!"

Nachdem man sich mühsam zur Europawahl-Homepage der Freien Wähler durchgeklickt hat, wird man mit dem zwar knallorangefarbenen, aber ungelenk formulierten Slogan "Machen Sie Briefwahl" begrüßt. Daneben, endlich, der Link zum Wahlwerbespot.

Seit ihrem CSU-Austritt wird Pauli gerne als "Ex-Rebellin" betitelt. Auf dieses Image setzen auch die Freien Wähler im Werbespot, auch wenn fraglich ist, ob ein Image mit einem davorgestellten "Ex-" sich nicht automatisch selbst zerstört.

Also brettert Gabriele Pauli auf dem Motorrad über eine Landstraße. Doch die "Kraft, Leidenschaft und Freude", die der Ritt auf der Ducati symbolisieren soll, verfliegen, sobald die Kandidatin in die Kamera spricht. Die als locker und modern vermarktete Pauli spricht steif und abgehackt über Steuerverschwendung und zu wenig Demokratie in Europa. Das Video erinnert dabei an ein überambitioniertes Schüler-Referat. Buchstaben fliegen wild durchs Bild, Powerpoint lässt grüßen. Und die europäische Fahne, die während Paulis Statements hinter ihr weht, ist doch relativ eindeutig nicht anderes als eine Bluescreen-Animation.

Offensichtlich abgelesen

Das professionell produzierte Video der Linkspartei zum Bundestagswahlkampf, in der ein rothaariges Mädchen den Zuschauer durch das Parlament führt, ist der bisher erfolgreichste Wahlwerbespot der Saison. In ihrer Youtube-Reihe "60 Sekunden", in deren Rahmen auch für die Europawahl geworben wird, verzichtet die Partei dagegen auf jegliche Schnörkel: Eine Minute lang wendet sich ein mehr oder weniger bekanntes Parteimitglied direkt an das Wahlvolk.

Vielleicht zu direkt: Europapolitiker Helmut Scholz spricht in die Kamera; ohne sich zu bewegen, ohne Schnitte. Das Filmchen verweigert sich konsequent den visuellen Möglichkeiten, die Videoplattform bietet. So kann der User einem Mann mittleren Alters beim Sprechen zusehen. Immerhin 1000 Menschen haben das schon getan.

Man hätte seine Ansprache auch als Tonaufnahme ins Netz stellen können. Allerdings müsste ein Zuhörer dann darauf verzichten, Scholz' Augen dabei zu beobachten, wie sie ununterbrochen von links nach rechts, von oben nach unten hüpfen: Hier wird allzu offensichtlich abgelesen, von Tafeln oder vom Teleprompter. Kein Wunder, lassen sich Bandwurmsätze, in denen es um das aufgebrauchte "Vertrauen in radikale Marktversprechen und staatliche Bevormundung im Interesse neoliberaler Strategen" geht, nur schwer auswendig lernen. Trotzdem schafft es Scholz, sich zu versprechen und die meisten Sätze falsch zu betonen. Spontan und modern soll es sein, doch es wirkt leider nur hölzern.

Auf der nächsten Seite: Ein Besuch im Haus, das Verrückte macht.

Das Haus, das Verrückte macht

"Die SPD kennt das Netz", schreibt die SPD über sich selbst. Wer das Netz kennt, der weiß: es ist sehr groß. Um sich dort Aufmerksamkeit zu verschaffen, braucht es folglich auch einen großen Internetauftritt. Oder gleich mehrere Auftritte.

Dieser Strategie sind die Sozialdemokraten im Superwahljahr 2009 offensichtlich verfallen. Die Zeiten, in denen man bloß "spd.de" in seinen Browser tippen musste, um alles über die Partei zu erfahren, sind vorbei. Heute gibt es "wahlkampf09.de", "meinespd.net" sowie "sozial-und-demokratisch.de". Der Kanzlerkandidat firmiert unter "frankwaltersteinmeier.de". Von den zahlreichen Konten, die die SPD bei sozialen Netzwerken wie StudiVZ und Facebook unterhält, ganz zu schweigen.

Kurios wird es, wenn es um Informationen zur Europawahl geht. Wer bei Google nach dem SPD-Spitzenkandidaten Martin Schulz sucht, erhält "martin-schulz.info" als ersten Treffer. Dort finden sich ein Steckbrief, Argumente für die SPD und einige Bilder. Sowie eine Meldung, die auf einen weiteren Internetauftritt des Politikers hinweist: "martin-schulz.eu".

Dort erwartet den Besucher beinahe der gleiche Inhalt, optisch etwas hübscher verpackt - und außerdem Verweise auf alle anderen SPD-Seiten.

Es wirkt, als hätten die Wahlkampfstrategen dem "Haus, das Verrückte macht" ein Denkmal setzen wollen - dem Verwaltungsgebäude, in dem Asterix und Obelix im Film "Asterix erobert Rom" beinahe die Nerven verlieren, weil sie von Korridor zu Korridor und von Schalter zu Schalter geschickt werden, um den Passierschein "A 38" zu erhalten.

Mit der Unsitte, immer neue Adressen anzulegen, ist die SPD nicht allein: Die FDP hat "fdp.de", "liberale.de" sowie "fdp-fuer-europa.de" im Programm. Die CDU ist unter "cdu.de" zu erreichen, hinter "cdutv.de" verbirgt sich der Youtube-Kanal der Partei, und "team2009.de" ist die Wahlkampfseite von Angela Merkel.

Die Freien Wähler schicken "freie-waehler-deutschland.de", "fw-europa.eu" und "fw-lounge.eu" ins Rennen. Asterix wäre daran garantiert verzweifelt.

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